Russland auf Abstand halten, solange es sich nicht der Demut und Entsagung befleißigt, die westliche Führungsnationen täglich vorleben. Weil Wladimir Putin und seine Regierung davon nichts wissen wollen, bleibt es beim harten Kurs. Kanzlerin Merkel hat auf dem Alpen-Gipfel mitgeteilt, es bestehe ein G7-Konsens: Man binde eine mögliche Aufhebung der Sanktionen gegen Russland „an die Umsetzung des Minsker Friedensabkommens“ (Minsk II).
Da lohnt sich die Frage, wie andere Mitunterzeichner des Agreements vom 12. Februar 2015 die Umsetzung vorantreiben. Wie viel und was hat etwa die ukrainische Regierung implementiert? Man war in der weißrussischen Kapitale übereingekommen, dass die Ukraine bis Ende 2015 eine Verfassungsreform ins Werk setzt, die das pol
ie Ukraine bis Ende 2015 eine Verfassungsreform ins Werk setzt, die das politische System des Landes dezentralisiert und mit den Aufständischen im Osten abgestimmt wird. Bisher gibt es in Kiew nicht einmal den Entwurf einer neuen Magna Charta, geschweige denn Konsultationen mit den Abtrünnigen aus dem Donbass. Desgleichen unterschrieb Präsident Poroschenko in Minsk, dass innerhalb von 30 Tagen Gespräche mit Abtrünnigen im Osten beginnen sollten, um Lokalwahlen in den Rebellengebieten abzuhalten. Dies sollte – um Minsk II zu zitieren – „auf der Basis der Wiedereinführung des Gesetzes über den Sonderstatus der Rebellengebiete“ erfolgen. Auch hier steht Kiew mit leeren Händen da und ist seinen Verpflichtungen so wenig nachgekommen wie bei der Minsk-II-Vereinbarung, den Zahlungsverkehrs für die Ostukraine zu reaktivieren. Das hat zur Konsequenz, dass die Bewohner der provisorischen Volksrepubliken Lugansk und Donezk von Sozialleistungen und Rentenzahlungen suspendiert bleiben. Es sei denn, sie sind dazu in der Lage, physisch, mental und finanziell, die Demarkationslinie in der Waffenstillstandszone zu überqueren, auf die andere Seite zu reisen und sich dort zu holen, was ihnen zusteht. Von dieser bescheidenen Minsk-Bilanz der ukrainischen Autoritäten war auf Schloss Elmau – offiziell zumindest – nicht die Rede. Wozu auch? Man steht mit der Ukraine im gleichen Lager und wird sich hüten, deren Führung Defizite anzukreiden und die Wahrheit zu sagen.Stattdessen schien der Gipfel auffallend bemüht, das konfrontative Verhältnis zu Russland auf absehbare Zeit als Normalzustand zu deklarieren und zu pflegen. Wohl auch eine politische Kompensation für das nach wie vor dosierte militärische Engagement zugunsten der Ukraine, auch wenn die NATO gerade ihre sogenannte Speerspitze – also ihre Schnelle Eingreiftruppe – ins Manöver nach Polen schickt. Unheilige AllianzMan sollte sich nach Elmau von der Illusion lösen, dass die G7 ihr Verhältnis zu Russland möglichst rasch entkrampfen wollen. Sie scheinen eher darauf angewiesen zu sein, dass es verkrampft und spannungsgeladen bleibt. Der Grund: Die westliche Eingemeindung der Ukraine als modifizierte, aber strategisch um so mehr ambitionierte Osterweiterung von EU und NATO ist vorerst nicht gelungen. Die Europäische Union hat das auf ihrem Riga-Gipfel im Mai bereits eingestanden und die "Östliche Partnerschaft" als Vorstufe zur EU-Mitgliedschaft postsowjetischer Republiken abgeschrieben. Die NATO will zwar Polen und das Baltikum schützen, aber nicht die Ostukraine für Poroschenko und gegen die Aufständischen gewaltsam zurückerobern. Warum hat man sich in eine Sackgasse manövriert, die letzten Endes nur dazu gut ist, sich auf den „Gegner Russland“ zu kaprizieren?Woran das liegtViele Gründe ließen sich anführen. Es gab schwere taktische Schnitzer gegenüber Moskau, geschuldet der unseligen Allianz, wie sie besonders in Deutschland mediale Grobschlächtigkeit und politische Selbstüberschätzung immer häufiger eingehen. Wie sehr im Westen eine Liaison aus Propaganda und Politik rationales Verhalten domestiziert, zeigt sich unter anderem an Folgendem: Keiner der beteiligten westlichen Diplomaten – bis hin zum deutschen Außenminister – hat es gewagt, das am 21. Februar 2014 in Kiew geschlossene Übergangsabkommen zwischen der Regierung Janukowytsch und der Opposition zu verteidigen und dessen Bruch durch den Janukowytsch-Sturz einen Tag später wenigsten zu beklagen, wenn schon nicht zu verurteilen. Russland, das seinerzeit an den Verhandlungen in Kiew beteiligt war, wurde dermaßen brüskiert, dass eine Reaktion unausweichlich war. Wer vor vollendete Tatsachen gestellt wird, revanchiert sich zumeist, indem er – siehe Krim – genauso verfährt. Andererseits wollte man auf Schloss Elmau nicht soweit gehen, die Russland-Sanktionen zu verschärfen, sondern dies lediglich anzudrohen. Das erinnert an den Umgang mit der Sowjetunion, als die noch einen gegnerischen Block führte. Tatsächlich kehren die G7 in die Zeit vor 1989 zurück und gerieren sich als klassischer westlicher Block, der darauf bedacht ist, sich über Feindbilder zu definieren und den Ist-Zustand seines Verhältnisses zu Russland als Soll-Zustand zu markieren. Dessen tragende Säulen sind die Sanktionen, die Aufrüstung und das Vortrupp-Gebaren der NATO, der politische Boykott Präsident Putins und die damit einher gehende systemgebräuchliche Selbstvergewisserung. Man hat sich augenscheinlich gewollt verrannt.Sinnvolles AngebotEine moderne Außen- und Sicherheitspolitik, die im 21. Jahrhundert zuhause ist, hätte sich nicht damit begnügt, eine festgefahrene strategische Situation auch noch festzuklopfen, wie in Elmau geschehen. Sie hätte Russland das Angebot unterbreitet, die wechselseitigen Sicherheitsbedürfnisse in eine gemeinsame Erklärung zu schreiben und diese gemeinsam zu unterschreiben. Sie hätte erkannt und gesagt, dass die G7 die Bündnisfreiheit der Ukraine garantieren, darunter aber weder das Recht auf Selbstbestimmung des Volkes wie einzelner Teile dieses Volkes leiden dürfe. Man lade Russland zu einer Sicherheitspartnerschaft ein, damit aus dem Krieg in der Ukraine kein Schlagabtausch um die Ukraine werde. Das hieße, man müsste von Parteilichkeit wieder auf Partnerschaft umschalten und die Krim erst einmal auf sich beruhen lassen. Die Annexion "respektieren", nicht anerkennen, wie das Egon Bahr angeregt hat. Damit übernähmen die G7 weltpolitische Verantwortung statt daran zu glauben, diese wie selbstverständlich beanspruchen zu können.