Je näher die Präsidentenwahl 2018 rückt, desto mehr sind im informellen Machtgefüge der Russischen Föderation Leistung und Loyalität gefragt. Die Erklärung liegt auf der Hand: Die Machthorizontale aus dem Sicherheits- (Silowiki), dem Wirtschafts- (Ekonomiki) und dem Regierungskomplex (Gosudarstwenniki) wird von der Präsidialverwaltung kontrolliert und moderiert. Wer sich des Missmanagements schuldig macht, den schützt die Nähe zu Wladimir Putin kaum. So gab es zuletzt personelle Zäsuren, die erstaunten. Als Chef der Präsidialverwaltung wurde Sergej Iwanow entlassen, der zuweilen als möglicher Putin-Nachfolger galt. Ende 2016 musste Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew gehen, als ihm nachgesagt wurde, Bestechungsgelder angenommen zu haben. Nicht nur im Regierungsapparat, auch bei den Staatsmonopolen der vier Schlüsselbranchen – den „Energetikern“, den „Verarbeitern“, den „Agrariern“ und dem Militärisch-Industriellen Komplex (MIK) – kam es zu personeller Erneuerung.
Dass es in dieser Machthorizontale ein eingespieltes System der Checks und Balances gibt, hat gewiss mit den Präsidentschaften Putins von 2000 bis 2008 und von 2012 bis vorerst 2018 zu tun. Dass sie überhaupt als Struktur existiert und die Exekutive (Kreml) wie Legislative (Duma/Föderationsrat) überlagert, geht wiederum auf die ersten Jahre einer chaotischen Systemtransformation zurück. Nach 1991 kam es zur Abkehr von der zentralen Ressourcenverteilung und zu einer Privatisierung, bei der sich nicht das Voucher-Verfahren als Vergabe von Anteilsscheinen an Staatsfirmen durchsetzte. So entstand keine große Gruppe kleiner Aktionäre, sondern eine kleine Schicht omnipotenter Oligarchen, die ganze Industriezweige beherrschten.
Hinzu kam ein zweites Phänomen: Während die Wirtschaft an integrativer Substanz verlor, erfasste auch die Politik eine desintegrative Tendenz. Russland war unter dem Präsidenten Boris Jelzin in lokale Kriege wie in Tschetschenien verstrickt, dazu in Konflikte um die territoriale Neuordnung des postsowjetischen Raumes in Georgien, Transnistrien oder zwischen Armenien und Aserbaidschan. Parallel dazu geriet 1998 der Rubel durch eine hohe Binnenverschuldung, spekulative Bankgeschäfte und ein überbordendes Haushaltdefizit unter Druck. Nicht zufällig kam der Kursabsturz dem oligarchischen Überbau zugute. Wer mit Energie- und Rohstoffunternehmen riesige Vermögen angehäuft hatte, konnte nun erst recht akquirieren, was billig zu haben war.
Putin hegt Oligarchen ein
Es zeichnete sich ein nationaler Ausverkauf ab, sofern es nicht gelang, oligarchische durch staatliche Monopole zu ergänzen. Schon Ende 1993 hieß es in einem Papier des Moskauer Zentrums für sozialpolitische Studien: „Die wahrscheinlichste Entwicklungsvariante für Russland sieht wie folgt aus – Vollzug einer quasi Marktwirtschaft, die von Monopolen und einem mit diesen verbundenen Staatsapparat kontrolliert wird. Dabei wird der Privatsektor größtenteils gezwungen sein, als Anhängsel eines staatsmonopolistischen Sektors zu existieren ...“
Bevor die „ökonomische Opposition“ der Oligarchen und die Reste staatlicher Autorität in eine unwiderrufliche Konfrontation gerieten, kam es Ende 1999 zum Rückzug Boris Jelzins. Beerbt wurde er vom damaligen Premier Putin, der mit seiner Hausmacht aus St. Petersburg vorwiegend Personal aus den Sicherheitsorganen etablierte, das für innere Stabilität ebenso bürgte wie die Maxime, jede Art von Preisgabe des Landes zu verhindern. Oligarchen, die darauf aus waren wie der Ölmilliardär Chodorkowski oder der Medienmogul Beresowski, wurden entmachtet. Magnaten, die auf loyale Kooperation bedacht waren wie Wladimir Potanin oder Viktor Vekselberg blieben unangetastet. Putin und seine Entourage konnten sich freilich nur behaupten, weil sie die staatliche Regulierung der Wirtschaft revitalisierten und protektionistische Importbarrieren errichteten. Gerade der Schutz des Binnenmarktes war ein Angebot zur Kooperation an den Allrussischen Unternehmerverband und andere. Diese „Pressure Groups“ wurden wie die Sicherheitsorgane zu tragenden Säulen einer Machtarchitektur. Sie brauchten keine eigenständigen politischen Strukturen, weil sie zum informellen Teil des politischen Systems aufgestiegen waren.
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