Silowiki und Ekonomiki

Machtgefüge In Rußland herrscht ein neues System der Teilung der Gewalten – das ganz anders ist als im Westen
Ausgabe 26/2017
Gewaltenteilung unter Putin
Gewaltenteilung unter Putin

Illustration: der Freitag; Fotos: Imago (10), AFP/Getty Images (6)

Je näher die Präsidentenwahl 2018 rückt, desto mehr sind im informellen Machtgefüge der Russischen Föderation Leistung und Loyalität gefragt. Die Erklärung liegt auf der Hand: Die Machthorizontale aus dem Sicherheits- (Silowiki), dem Wirtschafts- (Ekonomiki) und dem Regierungskomplex (Gosudarstwenniki) wird von der Präsidialverwaltung kontrolliert und moderiert. Wer sich des Missmanagements schuldig macht, den schützt die Nähe zu Wladimir Putin kaum. So gab es zuletzt personelle Zäsuren, die erstaunten. Als Chef der Präsidialverwaltung wurde Sergej Iwanow entlassen, der zuweilen als möglicher Putin-Nachfolger galt. Ende 2016 musste Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew gehen, als ihm nachgesagt wurde, Bestechungsgelder angenommen zu haben. Nicht nur im Regierungsapparat, auch bei den Staatsmonopolen der vier Schlüsselbranchen – den „Energetikern“, den „Verarbeitern“, den „Agrariern“ und dem Militärisch-Industriellen Komplex (MIK) – kam es zu personeller Erneuerung.

Dass es in dieser Machthorizontale ein eingespieltes System der Checks und Balances gibt, hat gewiss mit den Präsidentschaften Putins von 2000 bis 2008 und von 2012 bis vorerst 2018 zu tun. Dass sie überhaupt als Struktur existiert und die Exekutive (Kreml) wie Legislative (Duma/Föderationsrat) überlagert, geht wiederum auf die ersten Jahre einer chaotischen Systemtransformation zurück. Nach 1991 kam es zur Abkehr von der zentralen Ressourcenverteilung und zu einer Privatisierung, bei der sich nicht das Voucher-Verfahren als Vergabe von Anteilsscheinen an Staatsfirmen durchsetzte. So entstand keine große Gruppe kleiner Aktionäre, sondern eine kleine Schicht omnipotenter Oligarchen, die ganze Industriezweige beherrschten.

Hinzu kam ein zweites Phänomen: Während die Wirtschaft an integrativer Substanz verlor, erfasste auch die Politik eine desintegrative Tendenz. Russland war unter dem Präsidenten Boris Jelzin in lokale Kriege wie in Tschetschenien verstrickt, dazu in Konflikte um die territoriale Neuordnung des postsowjetischen Raumes in Georgien, Transnistrien oder zwischen Armenien und Aserbaidschan. Parallel dazu geriet 1998 der Rubel durch eine hohe Binnenverschuldung, spekulative Bankgeschäfte und ein überbordendes Haushaltdefizit unter Druck. Nicht zufällig kam der Kursabsturz dem oligarchischen Überbau zugute. Wer mit Energie- und Rohstoffunternehmen riesige Vermögen angehäuft hatte, konnte nun erst recht akquirieren, was billig zu haben war.

Putin hegt Oligarchen ein

Es zeichnete sich ein nationaler Ausverkauf ab, sofern es nicht gelang, oligarchische durch staatliche Monopole zu ergänzen. Schon Ende 1993 hieß es in einem Papier des Moskauer Zentrums für sozialpolitische Studien: „Die wahrscheinlichste Entwicklungsvariante für Russland sieht wie folgt aus – Vollzug einer quasi Marktwirtschaft, die von Monopolen und einem mit diesen verbundenen Staatsapparat kontrolliert wird. Dabei wird der Privatsektor größtenteils gezwungen sein, als Anhängsel eines staatsmonopolistischen Sektors zu existieren ...“

Bevor die „ökonomische Opposition“ der Oligarchen und die Reste staatlicher Autorität in eine unwiderrufliche Konfrontation gerieten, kam es Ende 1999 zum Rückzug Boris Jelzins. Beerbt wurde er vom damaligen Premier Putin, der mit seiner Hausmacht aus St. Petersburg vorwiegend Personal aus den Sicherheitsorganen etablierte, das für innere Stabilität ebenso bürgte wie die Maxime, jede Art von Preisgabe des Landes zu verhindern. Oligarchen, die darauf aus waren wie der Ölmilliardär Chodorkowski oder der Medienmogul Beresowski, wurden entmachtet. Magnaten, die auf loyale Kooperation bedacht waren wie Wladimir Potanin oder Viktor Vekselberg blieben unangetastet. Putin und seine Entourage konnten sich freilich nur behaupten, weil sie die staatliche Regulierung der Wirtschaft revitalisierten und protektionistische Importbarrieren errichteten. Gerade der Schutz des Binnenmarktes war ein Angebot zur Kooperation an den Allrussischen Unternehmerverband und andere. Diese „Pressure Groups“ wurden wie die Sicherheitsorgane zu tragenden Säulen einer Machtarchitektur. Sie brauchten keine eigenständigen politischen Strukturen, weil sie zum informellen Teil des politischen Systems aufgestiegen waren.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden