Sinn für Utopien

Ukraine Zu seinem Amtsantritt hat Präsident Poroschenko Ziele formuliert. Wie realistisch sind sie? Waffenruhe im Osten wird Verhandlungen mit den Aufständischen brauchen
Ausgabe 24/2014

Man betet den Gott des nationalen Prestiges an, auf dass er der ukrainischen Regierung günstig ist. Was bleibt dem neuen Präsidenten auch anderes übrig, als auf diesem Hochseil zu stehen und nach den Sternen zu greifen? Schließlich hat man Petro Poroschenko vor Tagen nicht als Oberhaupt eines Rumpfstaates vereidigt, der die Reste zusammenfegt.

Daher kann es ihm keiner verdenken, wenn er auf einer Rückgabe der Krim besteht und territoriale Integrität beschwört. Dass Poroschenko zugleich den EU-Beitritt will, mag ebenfalls als logisch empfinden, wer sich vergegenwärtigt, welchen Umständen dieser Oligarch das höchste Staatsamt verdankt. Jedoch kam postwendend der Bescheid des französischen Außenministers Fabius, daran sei vorerst nicht zu denken. Das wird kaum Druck aus dem Kiewer Kessel nehmen, wo man sich nichts sehnlicher wünscht, als Russland die kalte Schulter zu zeigen. Nur scheinen für Brüssel die Kosten zu hoch.

So wirken die präsidialen Vorhaben wie Utopien. Fällt eine Waffenruhe für die Ostukraine, die Poroschenko in Aussicht stellt, ebenfalls in diese Rubrik? Möglicherweise, denn mit wem soll sie vereinbart werden? Werden die Aufständischen als „Terroristen“ bekämpft, können sie schlecht über Nacht zu Verhandlungspartnern mutieren. Noch am 25. Mai, einen Tag nach seiner Wahl zum Staatschef, hatte Poroschenko verlangt, dass diesen Gegner die Härte des Anti-Terror-Einsatzes von Armee und Nationalgarde treffen müsse. Was inzwischen offenbar auch für unbeteiligte Zivilisten gilt. Da werden die Kiewer Emissäre, wenn sie im Donbass über einen Waffenstillstand verhandeln wollen, kaum in offene Arme laufen. Zumal sich Poroschenko jeder substanziellen Föderalisierung verweigert. Nur wie soll er sonst bei den Gläubigern im Internationalen Währungsfonds und in der EU zaghafte Erwartungen wecken, dass sie einmal zurückbekommen, was sie heute geben? Dafür werden die Ressourcen im Osten gebraucht.

Legt man zugrunde, dass nicht nur, was einer sagt, sondern auch, warum er dies tut, geprüft werden muss, stellt sich schon die Frage, ob dieser Präsident weiß oder mehr ahnt, welches Land er regieren soll.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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