Natürlich bietet sich die Floskel vom Gesetz der Serie an: Paris, Nizza, Berlin, Stockholm, zweimal London in diesem Jahr, nun also Barcelona. Jedesmal sind es Anschläge nach einem wiederkehrenden Muster. In europäischen Metropolen steuern Attentäter Fahrzeuge in Menschengruppen, um zu vernichten, zu töten, zu schrecken und zu schockieren.
Doch verdient nicht nur das stereotype Szenario eines ungezügelten Tötungswahns Beachtung. Gleichermaßen sind es die Schauplätze, für die sich die Täter entschieden haben. Es geraten Orte ins Visier, an denen sich Menschen treffen, entspannen, feiern, konsumieren, Freizeit genießen, als Touristen unterwegs sind, sich treiben lassen. Ereignisorte wie der Boulevard „Las Ramblas“ im Her
222;Las Ramblas“ im Herzen Barcelonas sind dafür prädestiniert, eine unbekümmerte Lebensweise auszukosten, der die hedonistische Färbung des Augenblicks schwerlich bestritten werden kann. So wie das als weitgehend unbewusste Botschaft verstanden werden kann, sind die Attentäter augenscheinlich auf die ihre, möglicherweise sehr bewusste Botschaft bedacht. Sie setzen diesem „savoir vivre“ ihr erbarmungsloses „es reicht“ entgegen, um jene Lebensart dort zu treffen, wo sie besonders verwundbar ist – in ihrer öffentlichen und gemeinschaftlichen Präsenz. Das kann eine Erklärung dafür sein, dass sich die Reihe der Anschläge, wie sie seit dem Massaker im Pariser Konzerthaus Bataclan am 13. November 2015 verübt wurden, von ähnlichen Verbrechen unterscheiden, zu denen es vor mehr als zehn Jahren kam. Gemeint ist die in einem Vorortzug bei Madrid am 11. März 2004 von islamistischen Terroristen ausgelöste Bombenexplosion oder die Anschlagsserie am 7. Juli 2005 auf Bus und Untergrundbahn in der Londoner City. Dort sollten Menschen getroffen werden, wo sie sich der urbanen Umstände halber konzentrierten, und die Zahl der Opfer hoch zu sein versprach. Vergewisserung und KampfansageBei den jetzigen Tatorten bietet sich die Vermutung an, dass sie zum Sinnbild eines Kulturkampfes taugen und deshalb in Frage kamen. Für das Handeln der Täter gilt das ebenso wie für die Reaktionen nach der Tat. Letztere bestehen in der inzwischen mehr oder weniger ritualisierten Beteuerung, kolportiert durch Medien und Politik: Wir lassen uns nicht davon abbringen, unser Leben so weiter zu führen, wie wir das gewohnt sind – und uns das schuldig glauben. Bei diesem Vorsatz halten sich Selbstvergewisserung und Kampfansage die Waage. Solcherart Bekenntnis muss darauf gefasst sein, hinterfragt zu werden. Was ist damit gemeint? Mehr als nur eine Freizeit- und Feierkultur. Schließt es die Versicherung ein, wir lassen uns einen überbordenden, die Umwelt schröpfenden, in mancher Weltgegend die Menschen zu Dienstleistungsmannequins degradierenden Tourismus nicht nehmen? Heißt es auch, wir lassen uns ebenso wenig erschüttern in unserem Beobachterstatus und der emotionalen Indifferenz, wenn die Seenotrettung im Mittelmeer derart beschnitten wird, wie das gerade geschieht? Es grenzt an Totschlag durch Unterlassen, wenn bisherige Seenotretter vertrieben und so fortan noch mehr schiffbrüchige Flüchtlinge ertrinken könnten. Schließlich auch nicht dort ankommen, wo sie hin wollten. Sie zumindest werden niemanden mehr stören in seinem „weiter so“ und „jetzt erst recht“. Und wie steht es um die teils verheerenden Kollateralschäden, wie sie ein Anti-Terror-Krieg hinterlässt, der kein Ende nimmt, weil der Westen siegen will und siegen muss? Wut ist der SchlüsselDiese Deutungen entschuldigen nichts und niemanden. Sie sollen Barbarei und Grausamkeit mitnichten relativieren oder die Opfer von Barcelona instrumentalisieren. Nur, wie leicht und schnell ist der Anspruch auf die Unerschütterlichkeit eines hedonistischen Lebensentwurfs formuliert, der mehr einschließt als gedacht? Nach dem jüngsten Amoklauf der Gewalt reißen die Bekundungen eines digitalisierten Mitgefühls nicht ab. Längst hat sich eine Post-Action-Social-Media-Kultur herausgebildet, die so üppig ist, dass es ihr an Glaubwürdigkeit gebricht. Wie viel wäre gewonnen, würde stattdessen analytische Schärfe walten, die Wurzeln des Terrors freilegt und entsprechend einzugreifen sucht? Nach 9/11 schrieb die indische Schriftstellerin Arundhati Roy: Wut ist der Schlüssel. Wut hilft verstehen, was passiert ist. Wie gesagt, das rechtfertigt keinen Massenmord – aber an diesem Befund hat sich eben nichts geändert. Ein Schritt zur Einsicht wäre der Verzicht auf Floskeln, mit denen auf einem Lebensstil beharrt wird, der sich überlebt hat. Wer ihm anhängt, kann das nicht aus voller Überzeugung – nur noch aus Trotz – tun.