Spät, aber nicht zu spät

USA/Israel Erst die UN-Resolution gegen Israels Siedlungsbau, nun die Rede von US-Außenminister Kerry. Zwei politische Paukenschläge, die auch Donald Trump gelten
John Kerry (r.), Benjamin Netanjahu. Nicht einmal mehr auf Blickkontakt bedacht
John Kerry (r.), Benjamin Netanjahu. Nicht einmal mehr auf Blickkontakt bedacht

Foto: AFP

Barack Obama und John Kerry hätten früher Zeichen dieser Klarheit setzen sollen. Es hätte ihrer Glaubwürdigkeit gut getan und den Palästinensern geholfen, denen der US-Präsident gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit der Rede vom 4. Juni 2009 in Kairo in ungewöhnlicher Weise Respekt zollte. Er befand, dass sie in einer misslichen Lage seien und sich daran etwas ändern müsse. Obamas Versprechen stand seinerzeit unter dem Motto „A New Beginning“.

Zwei-Staaten-Lösung passé?

Leider hat es seine Administration danach fast acht Jahre lang versäumt, so zu handeln, dass es zu einem "Neubeginn" zwischen Amerikanern, Israelis und Palästinensern kam. Von ihrem Staat sind letztere Ende 2016 weiter entfernt als im Frühsommer 2009. Die Verantwortung dafür liegt vorrangig bei den israelischen Regierungen, die während Obamas Präsidentschaft ausschließlich von Benjamin Netanjahu geführt wurden. Der tat mit seinen ultrarechten wie nationalreligiösen Koalition, was immer ihm möglich war, um durch forcierten Siedlungsbau in der Westbank und die Isolation des Gazastreifens eine Zwei-Staaten-Lösung zu blockieren, aber stets zu behaupten, genau diesen Ausweg beschreiten zu wollen. Allein palästinensische Obstruktion und palästinensischer Terror hinderten ihn daran.

Warum hat die US-Regierung die ganze Zeit über dennoch an einer Lösung festgehalten, die praktisch gescheitert ist? Warum die EU, warum im besonderen Deutschland? Weshalb die UN?

Es lässt sich folgende Erklärung bemühen: Im Interesse Israels gibt es dazu keine Alternative. Schon in 20 oder 25 Jahren könnte die demografische Entwicklung innerhalb dieses Staates zu einer arabischen Mehrheit führen, die sich der Akzeptanz Israels als jüdischem Staat verschließt. Wie wäre der dann aufrechtzuerhalten? Dank autokratischer Führung und militärischer Macht, sprich: durch Verhältnisse, wie sie bereits seit Jahrzehnten in der Westbank vorherrschen?

Eben deshalb gilt, so hat es John Kerry soeben in seiner letzten Nahostrede als Außenminister formuliert: Sollte es bei einem einzigen Staat bleiben, wird der entweder jüdisch oder demokratisch sein. Man könnte ergänzen: autoritär oder pluralistisch, rassistisch oder multiethnisch, kolonialistisch oder nicht-kolonialistisch.

Mehr als Revanche

Und doch wird die Regierung Obama bei der Abstimmung vom 23. Dezember im UN-Sicherheitsrat nicht nur auf das übliche Veto verzichtet haben, weil die gegenwärtige Führung Israels, die Zukunft des Landes zu verspielen droht. Samantha Power, die UN-Botschafterin der USA, hat mit ihrer Enthaltung – ob gewollt oder nicht – auch ein Vermächtnis begründet, um die scheidende Administration gegen das abzugrenzen, was sich unter dem kommenden Präsidenten andeutet. Und von Netanjahu schon mit demonstrativer Sehnsucht erwartet wird.

Die Frage wird allerdings sein, ob sich die USA unter Donald Trump den Schulterschluss mit der destruktiven Manie einer rechtskonservativen Regierung Netanjahu leisten können, die Selbstisolation zur Tugend erklärt und aus einer Wagenburgmentalität heraus Legitimation zu gewinnen sucht. Dies allein ist der maßgebliche Grund für den seit fast drei Jahren andauernden Verhandlungsboykott gegenüber den Palästinensern, der einer grundsätzlichen Absage gleichkommt. Über welchen Staat sollten sie mit den Israelis reden, der in einer be- und zersiedelten Westbank lebensfähig sein soll? Verhandlungen haben jeden Sinn verloren, solange es keinen Verhandlungsgegenstand gibt, über den zu verhandeln wäre.

Unter diesen Umständen ist der amerikanische Veto-Verzicht vom 23. Dezember mehr als eine Revanche in der Restlaufzeit. Trump wird gezwungen, sich davon abzusetzen, indem er sich hinter Netanjahu stellt und damit in einen Gegensatz zum diplomatischen Mainstream der Staatengemeinschaft gerät. Er müsste dann auch eine Lesart des Atomabkommens mit dem Iran übernehmen, das die Atomacht Israel als Bedrohung ihrer Sicherheit regelrecht verdammt.

Eine Abkehr von jenem Agreement mit Teheran hat Trump zwar angekündigt, doch würde er sich damit in einen Widerspruch zu elementaren Interessen der anderen Signatarstaaten Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Russland bringen. Und das in einer schwer kriegsversehrten Region. Besser kann man sich gar nicht verrennen. Trump wird eine solche Irrfahrt nur vermeiden können, wenn er auf Distanz zu Netanjahu geht. Will er das?

Die Obama-Regierung hat es vermocht, ihn in diese Zwickmühle zu manövrieren. Ihr zu entkommen, heißt Federn lassen. So oder so.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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