Später vielleicht

Bruchstellen Im Krieg gegen den IS gibt es zu viele Ungereimtheiten. Dessen ökonomische Ressourcen bleiben weitgehend unangetastet
Ausgabe 48/2015
Ein Ölfeld nahe Homs, das wieder unter Kontrolle der syrischen Regierung ist
Ein Ölfeld nahe Homs, das wieder unter Kontrolle der syrischen Regierung ist

Foto: STR/AFP/Getty Images

Vergeltung und Geltungsmacht heißt die Devise, der sich besonders Frankreich beim Kampof gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien verschrieben hat. François Hollande hat bis vor Weihnachten Gipfeltreffen in Serie absolivert – mit David Cameron, Barack Obama, Angela Merkel und Wladimir Putin. Man konnte zuweilen den Eindruck gewinnen, westliche Führungsmacht sei von Washington nach Paris umgezogen.

Weitgehend Symbolpolitik

Frankreich wollte mit Großbritannien, den USA, Deutschland und Russland auf der Schwelle zu einer neuen „Koalition der Willigen“ stehen. Diesmal nicht gegen Saddam Hussein, einst Diktator des Irak, sondern den IS. Diese Entente sollte an militärischer Schlagkraft aufbieten, was möglich war. Wie ein Flaggschiff kreuzte der Flugzeugträger Charles de Gaulle im Mittelmeer, als wollte Hollande sagen: Ich habe schon entschieden, wo und wie man diesen Konflikt austrägt. Tatsächlich? Wurde nicht für einen Krieg getrommelt, ohne zu wissen, wie man ihn führen soll, um siegreich zu sein? Mit Bodentruppen oder nicht? Vorerst nicht, später vielleicht, war zu hören.

Und sollte siegreich bedeuten, das ein belastbarer Waffenstillstand angestrebt wurde? Die Voraussetzung für Frieden in einem territorial und administrativ weitgehend intakten syrischen Staat?

In Anlehnung an Carl von Clausewitz ließe sich sagen, Krieg kann die Fortsetzung von Symbolpolitik mit militärischen Mitteln sein, über deren Sinn sich streiten lässt. Will heißen, bei allem Verständnis für den Drang der französischen Regierung, die Schuldigen am Inferno von Paris in der Nacht vom 13. zum 14. November zu bestrafen, blieben stets Zweifel angebracht. Sie resultierten nicht nur aus dem Eindruck, dass Hollande in seiner bellizistischen Aufwallung überzog und nicht wahrhaben wollte, weshalb der IS ergebene Anhänger unter den Erniedrigten und Beleidigten französischer Vorstädte finden konnte. Die Zweifel rührten und rühren ebenso aus den Ungereimtheiten, die dem "Feldzug gegen den Terror" bis heute anhaften.

Lebende Bank

Warum wird so gut wie nie gefragt, was kann getan werden, bevor Schlachtschiffe auffahren und Luftangriffe auch Unbeteiligte töten? Weshalb wird das ökonomische Potenzial der IS-Kalifate im Irak und in Nordsyrien kaum angetastet? Das gilt für Ölfelder, den Handel mit archäologischen Funden oder das Finanzsystem der Extremisten, deren Pfründe ohne Gönner am Golf – etwa in Saudi-Arabien oder in Katar – undenkbar wären. Eine Studie des Iraq Energy Institute beschreibt Administratoren in Syriens IS-Kapitale Rakka als „lebende Bank“. Es werde die gleiche Finanzphilosophie vertreten wie einst durch Al-Qaida. Man müsse völlig unabhängig sein, um den Dschihad führen zu können.

Der Ölhandel des IS, vor allem in Richtung Türkei, floriert auch deshalb, weil Abnehmer in Irakisch-Kurdistan, in der Türkei und in Jordanien daran verdienen. Wenn nicht die genannten Staaten, so profitiert doch deren Ökonomie vom Geschäft mit dem IS. Warum widmet sich der Anti-Terror-Kampf nicht solcherart Interessengeflecht? Weshalb keine Sanktionen gegen die stillen Teilhaber des Terrors? Ganz zu schweigen von der Absurdität, dass die türkische Armee mit ihren Schlägen gegen kurdische Milizen, nicht nur Kombattanten der PKK, den Widerstand gegen den IS am Boden schwächt.

Als Erklärung kommt in Betracht: Es zählt allein der nun ausgerufene Krieg. Er wird um den Preis geführt, endlos zu sein.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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