Pakistan segelt seit Monaten an der Grenze zur Zahlungsunfähigkeit, und Indiens hindu-nationalistische 14-Parteien-Regierung erweist sich zusehends als Koloß auf tönernen Füßen, der mit wenig Fortune agiert. In derart prekärer Situation gehören militärische Ausfallschritte zum Repertoire, wenn man sich auf eine jahrzehntelang gepflegte bilaterale Feindschaft verlassen kann. Doch die beiden Regierungschefs Nawaz Sharif und Atal Behari Vajpayee haben statt dessen am 20. Februar 1999 die Bus-Diplomatie von Lahore aus der Taufe gehoben und »Geschichte vergessen« wollen. Eine Geschichte, in der bisher dem jeweils anderen gelegentlich das Existenzrecht bestritten wurde. Aber läßt sich »Geschichte vergessen«, wenn sie die Gegenwart so unerbittlich prägt, wie das allein mit den vorhandenen Kernwaffen-Arsenalen Pakistans und Indiens der Fall ist? Zwar besteht ein Teststop-Moratorium, aber dagegen darf verstoßen werden, wenn das »überragende nationale Interessen« gebieten sollten. Außerdem verweigert Delhi nach wie vor einem weltweiten Testverbot die Unterschrift - und solange ein derartiges Veto gilt, wird Pakistan dem entsprechenden Vertrag kaum beitreten. Auch die Verpflichtung zum Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag ließ die »Lahore-Deklaration« aus, allein vor dem Hintergrund des Kaschmir-Konflikts eine recht brisante Leerstelle. Andererseits wollten Sharif und Vajpayee keinen Durchbruch, sondern eine Wiederannäherung, nachdem 1998 mit den Kernwaffentests beider Seiten jeder Gesprächsfaden gerissen war. Das verdient Respekt, zumal niemand weiß, ob und wie lange die Premierminister ihren Bus-Stop politisch überleben werden. In Lahore jedenfalls haben die militanten Anhänger der Jamaat-Islami-Partei rücksichtslos mobil gemacht.
Stop over
Geschrieben von
Lutz Herden
Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“
Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.
Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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