Barack Obama will und kann in Afghanistan keine Zeit verlieren. Wer aus dem Irak mit der Begründung abzieht, am Hindukusch das militärische Finale einläuten und eine Entscheidung erzwingen zu wollen, der steht unter Erfolgsdruck und denkt nicht daran, diesen allein auszuhalten. Die NATO ist wie noch nie seit dem Sturz der Taliban im Oktober 2001 gefordert, den in Afghanistan stationierten US-Truppen zu assistieren. Und zwar bald – sprich: im ersten Halbjahr 2009 –, weil die Gotteskrieger des Mullah Omar jeden Juli ihre operativen Einheiten im Süden und Westen auf bis zu 60.000 Kämpfer aufstocken. Allein die von März auf August verschobenen Präsidentschaftswahlen deuten darauf hin, dass sie auch in diesem Jahr so verfahren werden. Diese Eingreifreserve wird dort gesammelt, wo nach wie vor eine der wichtigsten Rekrutierungsbasen dieser Guerilla-Armee zu finden ist: In den pakistanischen Religionsschulen, die ihre Studenten für die Ferienzeit gern auf die afghanischen Schlachtfelder entlassen.
US-Vizepräsident Joseph Biden wird demnach auf der Münchner Sicherheitskonferenz heute und morgen keine Streicheleinheiten verteilen, sondern einen Baum der Wünsche schütteln, auf dass sich besonders Angela Merkel reich beschenkt fühlen kann. Deutschland und Großbritannien, Europas besten und willigsten Afghanistan-Kämpfern, schlägt die Stunde der Bewährung, die sie auch als Stunde der Wahrheit nehmen können. Die Vorzeichen sind untrüglich. Wer im Hotel Bayrischer Hof Obamas Gesandten zuhören darf, wird mit Sicherheit erfahren, wie sich die neue US-Administration der transatlantische Verhältnis bis auf Weiteres vorstellt. Und er könnte erfahren, dass mit der Formel von Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe nicht zuletzt die Pflicht zu gleicher Verantwortung gemeint ist.
Niemand sollte der Illusion erliegen, die NATO könnte die Gleise verlassen, die mit dem NATO-Gipfel im April 1999 in Washington gelegt wurden, als mit der neuen Doktrin eine globale Interventionsagentur aus der Taufe gehoben wurde. Seinerzeit war der Präsident im Weißen Haus ebenfalls ein Demokrat. Bill Clinton hat all das befürwortet, was die westliche Allianz auf den verhängnisvollen Weg des Völkerrechtsbruchs und der Abkehr von ihrer Charta lotste. Dieser Weg führte bis nach Afghanistan, wo die NATO zum Rückgrat des herrschenden Besatzungsregimes wurde. Er wird dort auch enden – so oder so. Die NATO kann sich in diesem regionalen Krieg aufreiben und verschleißen, womit das Schicksal des Nordatlantikpaktes besiegelt sein wird. Oder sie kann sich zur Umkehr entschließen und den geordneten Rückzug antreten, was zunächst nichts Anderes heißen muss, als sich auf eine verbindliche Exit-Strategie zu einigen. Die freilich dürfte Joseph Biden nicht mit nach München bringen.
Kommentare 4
Die neue US-Strategie wird auf jeden Fall Afghanistan sein. Jo Biden wird auf der Sicherheitskonferenz verdeutlichen, was Obama und sein Team im Wahlkampf gesagt haben. Deutschland muss sich ohne Zweifel auf schwierige 4 oder gar 8 Jahre einstellen.
Ich denke, die Obama-Euphorie wird in kürze erste Dellen kriegen, vielleicht schon jetzt in München. Der uralte Spruch, wonach bürgerliche Wahlen verboten wären, wenn es denn freie Wahlen wären – es gibt leider noch keinen besseren. Und er gilt natürlich in besonderem Maße für die Konfetti-Wahlen in USA. Der Bürger darf entscheiden, durch welches Segment des militärisch-industriellen Komplexes er sich in der nächsten Legislatur-Periode am meisten – um es vornehm auszudrücken: lenken lassen möchte. (diesmal etwas weniger Öl im Portfolio) Das Super-Budget, das Obama für seinen Wahlkampf zur Verfügung stand, kam ihm ja nicht vom Himmel in den Schoß geregnet wie einst dem seligen Sterntalerkind. Die Damen und Herren Spender wollen Ergebnisse sehen, auch geopolitisch. Mal gucken, wer da als erster die Hosen runterlässt… wir dürfen gespannt bleiben!
Man darf ja skeptisch sein, was Obama angeht, aber eine echte Chance sollten man ihm dennoch geben. Was hat man denn davon, keine Hoffnung mehr auf Veränderung zu haben, außer dem Gefühl wahrscheinlich Recht zu behalten?
Ich gönne mi jedenfalls meine Obamamania und setze mich dem Risiko aus, mal wieder enttäuscht zu werden.
Ein gut recherchierter Pro - und Contra -Artikel zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan wäre doch schön: Wo wir zum einen klar erkennen können, dass die Taliban als waschechte faschistische Bewegung lediglich durch militärische Gewalt bekämpft werden können (und mit der Strategie der Selbstmordattentate ohnehin von politischer Gestaltungskraft auf der Erde entfremdet sind) , zum anderen keine größere funktionierende Demokratie ohne militärische Absicherung und polizeiliche Ordnungsaufgaben bekannt ist und wir zum dritten aber vielleicht keine genügend gut ausgebildete Bundeswehr haben. Den alt bekannten deutschen Antiamerikanismus sollten wir bei diesen Überlegungen mal hinten an stellen.
Lustig ist, dass so viele politischen Färbungen in Deutschland diese Überlegung umgehen.