Dieses Nachspiel zum viertägigen Corona-Gipfel Ende Juli haben sich die EU-Regierungschefs redlich verdient. Es wird wenig bis nichts schuldig bleiben. Anberaumt als Debatte im EU-Parlament, hat es gerade begonnen und den langen Atem sowieso. Für Drama, wenn nicht Eklat bürgen Europaparlamentarier, die einfach nicht hinnehmen wollen, worauf man sich in Brüssel am 21. Juli mühevoll geeinigt hat. Es geht um den mehr als eine Billion Euro schweren Etat von 2021 bis 2027, die 750 Milliarden des Corona-Fonds „Next Generation EU“ und das nachvollziehbare Ansinnen von Abgeordneten, noch einmal umzuverteilen, wovon bisher kein Cent verteilt ist. Das Argument lautet, und es überzeugt, dieses Parlament ist von mehr als 200 Millionen EU-Bürgern gewählt. Es muss mitentscheiden, wie 1.824,3 Milliarden Euro eingesetzt werden.
Schließlich sind die Mittel für Forschung, Umwelt- und Klimaschutz oder das Erasmus-Programm zugunsten der Pandemie-Hilfen gestutzt worden. Infrage gestellt wird ebenfalls, ob jetzt und auf alle Zeit zwei Drittel der Haushaltsgelder für Agrarförderung und Strukturhilfen fließen sollten, damit der freie Markt – in der Landwirtschaft zum Beispiel – nicht anrichten kann, was er anderswo anrichten darf. Beachtung verdienen gleichsam die Empfindlich- und Eitelkeiten dieser Legislative. Sie hadert damit, von der EU-Kommission wie dem Europäischen Rat nicht derart emanzipiert zu sein, wie das eine Mehrheit der Abgeordneten wünscht. Ein Konflikt, der eines Tages so alt sein wird, wie die EU werden will. Hoffentlich überlagert ihn im Augenblick die Gewissheit aller 705 Abgeordneten: Wir müssen uns entscheiden, auf Prinzipien zu bestehen oder Ökonomien beizustehen, die ab Januar mit ersten Zuwendungen rechnen.
Und gewiss brauchen, aber nur erhalten werden, wenn das EU-Parlament dem Geldpaket ebenso zustimmt, wie das für die Legislative jedes EU-Staates gilt – und nicht sicher ist. Gesetzt den Fall, Polen oder Ungarn oder beide werden wegen poröser Rechtsstaatlichkeit von Corona-Hilfen suspendiert, dann dürften sich der Sejm in Warschau wie das Parlament in Budapest vermutlich verweigern. Warum sollten sie dafür sein, bestraft zu werden?
Es fehlt nicht an EU-Parlamentariern, die in dieser Hinsicht den EU-Gipfel korrigieren wollen. Der hatte sich geeinigt, sollten rechtsstaatliche Kriterien dazu führen, Mitgliedern Hilfsgelder zu streichen, hat das mit qualifizierter Mehrheit zu geschehen. Das heißt, 55 Prozent der Mitgliedsländer müssten dem zustimmen, also 15 von 27 Staaten unter der Bedingung, dass diese 15 mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren. EU-Parlamentarier der Grünen wie der Fraktion „Renew Europe“ aus liberalen und zentristischen Parteien wollen das umkehren. Sie erklären, Sanktionen sollten nur dann zu verhindern sein, wenn eine qualifizierte Mehrheit dagegen aufgeboten wird.
Dieses Thema ist geeignet, Politiker wie Andrzej Duda, Jarosław Kaczyński oder Viktor Orbán in der Auffassung zu bestärken, dass in der EU nationale Interessen und eigener Wille ausgerechnet in Krisenzeiten kollektiver Disziplinierung verfallen. Wer die riskieren will, soll es tun. Daran genesen wird die EU nicht, im Gegenteil.
Dem Ratspräsidenten Deutschland obliegt es nun, all diese Konflikte einzuhegen und dabei appellativ zu werden: Uns ist die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg auferlegt, wir müssen ihr gewachsen sein. Ob das hilft?
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