Sturm auf die Zitadelle

Kriegszone Kabul Die Taliban zeigen US-Sonderbotschafter Holbrooke, dass er nicht in den Süden oder Westen reisen muss, um sie zu treffen. Sie sind auch in Kabul präsent

Der Regierung von Hamid Karzai ist zum wiederholten Mal durch einen Bombenanschlag bescheinigt worden, dass sie in den Augen der Taliban eine hilflose Marionette ist. Die Attentäter haben sich bis nach Kabul und damit in die Zitadelle einer labilen Exekutive vorgearbeitet, deren Vertreter inzwischen auch an dem Ort kein sicheres Gefühl mehr haben können, an dem sie doch eigentlich am besten geschützt sein sollten. Dieser Vorgang transportiert eine Botschaft. Sie lautet: Wir stellen euch, auch wenn ihr hinter Sandsäcken und Stacheldraht verschanzt seid und euch auf die Amerikaner verlasst.

Es ist eine Demütigung und Blamage für den afghanischen Präsidenten, der gerade auf der Münchner Sicherheitskonferenz – noch keine vier Tage ist es her – die Absicht bekundet hat, mit moderaten Taliban zu verhandeln und nach einem Weg der nationalen Versöhnung zu suchen. Er tat das nicht zum ersten Mal, ohne von seinen Schutzmächten und vor allem den Adressaten seines Angebots erhört zu werden. Inzwischen dürfte es sowieso zu spät sein, eine Bresche in die Taliban-Front zu schlagen. Kollaborateure oder gar Überläufer werden sich kaum finden. Ohnehin ist Hamid Karzai viel zu machtlos, um einen Gesprächsfaden zu spinnen, der nicht bei der erstbesten Gelegenheit wieder reißt. Karzai will mehr Eingenverantwortung, aber dazu brauchte er vor allem mehr Macht. Die aber verweigern ihm seine Schirmherren von NATO und ISAF ebenso wie die Clanchefs und Warlords in den Provinzen.

Der zweite Adressat der Anschlagserie von Kabul war zweifellos Richard Holbrooke – Barack Obamas neuer Afghanistan-Emissär, der in der Region gerade seinen diplomatischen Einstand gibt, zunächst in Kabul, danach in Islamabad. Die Taliban zeigen ihm, dass er nicht in den Süden oder Westen des Landes reisen muss, um sie zu treffen. Wenn es sein muss, erwarten sie ihn in Kabul. Vielleicht ist Holbrooke ein Anhänger der Dialektik und dankbar für diese Demonstration der Stärke. Besser lässt sich zögernden Bündnispartnern der Ernst der Lage nicht vorführen. Besser lassen sich Zweifler zu Hause nicht überzeugen, dass die Aufstockung um maximal 30.000 Soldaten gebraucht wird. Besser lässt sich vielleicht auch Präsident Karzai nicht überzeugen, dass er das Klagen über amerikanische Luftangriffe besser unterlässt und sich stattdessen vergewissert, wer ihn stützt, schützt und aushält.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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