Suche nach Krisenpaten

USA/China Donald Trump wird während seines Peking-Besuchs das Problem Nordkorea wohl kaum bei seinen Gastgebern auslagern können
Über Staatschef Xi sagt Trump: "Ich mag ihn sehr, für mich ist er ein Freund"
Über Staatschef Xi sagt Trump: "Ich mag ihn sehr, für mich ist er ein Freund"

Bild: Getty Images

„Es geht darum, die Kräfteverhältnisse in Ostasien zu unseren Gunsten zu gestalten und China zu ermutigen, die eigenen Interessen in einer Weise zu verfolgen, die mit denen ihrer Nachbarn und den Interessen der Vereinigten Staaten vereinbar sind“, heißt es im Dokument United States Strategy für the East Asia-Pacific-Region des US-Verteidigungsministeriums von Ende 1995. Alles in allem hat sich an diesem Tableau nicht viel geändert. China und die USA stehen sich auch 22 Jahre später noch als Kontrahenten gegenüber, die Interessen abgleichen und sich zur Kooperation durchringen müssen.

Fast ein viertel Jahrhundert vor jener Strategiestudie war das ebenfalls kaum anders. Auch wenn beide Staaten nach 1970 so etwas wie Verbündete zu sein schienen. Der damalige US-Präsident Richard Nixon reiste im Februar 1972 nach Peking, um Mao Zedong und Premierminister Zhou Enlai zu treffen. Beide Seiten hatten „echte gemeinsame Anliegen“, wie es Henry Kissinger, der diesen Besuch als Außenminister vorbereitet hatte, in eine euphemistisch angehauchte Semantik kleidete.

Das „gemeinsame Anliegen“ ergab sich durch den gemeinsamen Gegner, den China in der Propaganda für den Hausgebrauch als „nahen Barbaren“ bezeichnete, gegen den man sich des „fernen Barbaren“ als Zweckverbündeten versichern müsse. Dieser „barbarische Dritte“, der wie ein Geist über Nixons China-Trip schwebte, war die Sowjetunion. Die betrachtete China auf dem Weg zu Weltgeltung als größtes Hindernis, gegen das man sich zur Wehr setze. Und da waren die USA als Partner und „ferner Barbar“ durchaus erwünscht.

Das heißt, schon 1972 konnte kein Zweifel am instrumentellen Charakter der chinesisch-amerikanischen Beziehungen bestehen, mit denen jeder für sich geostrategische Bedürfnisse zu bedienen suchte.

Unabdingbare Gewissheiten

Im November 2017 besteht diese Konstellation im Prinzip fort. Nur ist die Volksrepublik inzwischen von einer potenziellen zu einer realen Weltmacht aufgestiegen, die sich mehr vorstellen kann, als nur auf Dominanz oder Hegemonie in Asien bedacht zu sein. Da trifft es sich nicht unbedingt, dass Donald Trump in Peking seinem Nordkorea-Dilemma entkommen will, in das er sich durch allzu bellizistische Rhetorik manövriert hat. Bietet es sich wirklich an, die Herausforderung, wie sie vom nordkoreanischen Newcomer unter den Atommächten ausgeht, an China zu delegieren?

Selbstverständlich wird und muss sich die Volksrepublik als regionaler Anrainer des Konflikts um Deeskalation bemühen. Doch sitzen die Adressaten von Kim Jong-uns nuklearer Selbstermächtigung ganz klar in Washington und nicht in Peking. Davon abgesehen kollidiert Trumps Suche nach Krisenpaten mit Umständen, die bei der Perzeption des Atomkonflikts mit Pjöngjang in der Regel nicht genügend beachtet werden.

Die Begründung Kim Jong-uns für seine nukleare Option – Kernwaffen seien die allein verlässliche Versicherung gegen Angriffe auf das eigene Territorium und die eigene Gesellschaftsordnung – unterscheidet sich wenig bis gar nicht vom Grundmotiv, das China in den 1960er Jahren geltend machte, als es sein Kernwaffen-Programm auflegte: Abschreckung als Selbstverteidigung.

Darüber hinaus ist es mitnichten gesagt, dass Peking über einen solchen Einfluss auf Kim Jong-un verfügt, dass der sich zur Kurskorrektur bewegen ließe. Die müsste zunächst darin bestehen, auf weitere Raketentests wie Flugkörper mit interkontinentaler Reichweite zu verzichten, die das Staatsgebiet der USA erreichen können. Sollte diese Möglichkeit des Einwirkens aber vorhanden sein – nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen –: Wer will sich dafür verbürgen, dass China davon Gebrauch macht? Wenn die Regierung in Pjöngjang sich und ihren Staat schützt, trifft sie Vorsorge gegen einen Regimewechsel. Den zu verhindern, liegt im Interesse Chinas. Denn allein die jetzige Administration in Nordkorea bietet die Gewähr gegen ein territoriales Nachrücken Südkoreas und damit der USA, was zur Folge hätte, dass sich China an einer gut 1.400 Kilometer langen Grenze quasi direkt mit den Vereinigten Staaten konfrontiert sieht. Das dürften weder Washington noch Peking anstreben – jeder bilaterale Zwist wäre davon überlagert, sich ausgerechnet im Norden der koreanischen Halbinsel Auge in Auge gegenüberzustehen.

Insofern sind die Aussichten für Donald Trump eher schlecht, China für ein Containment zu vereinnahmen, welches die nordkoreanische Führung zum Wohlverhalten veranlasst und in einen Verzicht auf nukleare Ambitionen mündet. Trump dürfte soweit Realpolitiker sein, um zwei Gewissheiten zuzulassen: Erstens – das atomare Arsenal Nordkoreas lässt sich auf absehbare Zeit so wenig aus der Welt schaffen wie die davon ausgehende Botschaft der Stand- und Wehrhaftigkeit. Zweitens — die Aussicht, dieses Potenzial vollständig zu zerstören, ohne empfindliche militärische Gegenschläge hinnehmen zu müssen, tendiert gegen null. Wer es versucht, riskiert eine ganze Region, besonders den US-Alliierten Südkorea aus den Angeln zu heben.

Moratorium denkbar

„Xi und Trump haben die Möglichkeit, gemeinsam ein neues Kapitel der Geschichte aufzuschlagen“, hieß es am 8. November im Editorial der staatsnahen chinesischen Zeitung Global Times, die den Besuch des amerikanischen Präsidenten als Chance begrüßt, „das aufsteigende China“ zu präsentieren. Wenn das so ist, sollte dieses China den großen diplomatischen Aufschlag wagen. Der kann nur darin bestehen, die Amerikaner dafür zu gewinnen, dass der seit 1953 zwischen Nord- und Südkorea bestehende Waffenstillstand durch ein auch die USA einschließendes Friedensabkommen ersetzt wird. Nur so lassen sich die Sicherheitsinteressen und -bedenken Nordkoreas auffangen, auch wenn es eine Illusion sein dürfte, die Uhr zurückdrehen zu können. Diese Staat wird Atommacht bleiben, die Frage ist nur – mit welchen Kapazitäten und welchem Zerstörungspotenzial. Bestenfalls scheint ein Moratorium denkbar, das einfriert, aber nicht beseitigt, was bereits vorhanden ist. Dies zu erreichen, wäre ein Akt der Entspannung, wie ihn beide koreanische Staaten im Prinzip ersehnen, zu dem sie aber allein nicht in der Lage sind.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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