So manchem hat Tayyip Erdogan unbeabsichtigt einen Gefallen getan. Für Angela Merkel wird es nun noch leichter, die Türkei von der EU fernzuhalten. Wer Demonstranten durch die Polizei zusammenschlagen lässt, dem fehlt die demokratische Reife. Der betet die europäische Werte nicht so inbrünstig an, wie man das von einem EU-Debütanten – noch dazu an der Peripherie des Kontinents – erwartet wird. Syriens Präsident Assad kann registrieren, dass ihn Erdogan künftig schlecht als abscheulichen Tyrannen geißeln kann, solange er selbst den großen Knüppel schwingt. Die kurdische PKK wird wissen, dass einer angeschlagenen Regierung in Ankara bei den laufenden Verhandlungen mehr abzuringen ist als einer unangefochten herrschenden. Schließlich darf auch die NATO froh sein. Sie hat es vermieden, von einem Premierminister mit regionalmächtigen Ambitionen in einen Krieg gegen Syrien gelockt zu werden. Viel hat nicht gefehlt.
Auch wenn sich momentan vor allem in türkischen Städten Wut und Entrüstung über den Hochmut einer religiös gefärbten Erziehungsdiktatur entladen, hat der Aufruhr gegen Erdogan auch etwas mit dessen Syrien-Politik zu tun. Sie untergräbt die innere Sicherheit – Erdogan steht vor einem Scherbenhaufen. Die Autobomben in der Grenzstadt Reyhanli am 13. Mai, als es 51 Tote gab, sind nur ein Indiz dafür, wie das Land ohne Not in einen Konflikt manövriert wurde, aus dem jederzeit ein regionales Inferno werden kann. Erdogan hatte kalkuliert, Assad werde unweigerlich fallen und die Achse zwischen Sunniten in Damaskus und Sunniten in Ankara perfekt sein. Doch so aggressiv seine Anti-Assad-Tiraden auch ausfielen, im Westen haben sie ihm bestenfalls einen Vorposten-Nimbus verschafft, beeindruckt weniger.
Zu elitär
Kurz nach den Anschlägen von Reyhanli ließ Barack Obama den Gast aus der Türkei im Rosengarten des Weißen Hauses mit diplomatischer Eloquenz wie einen ungehobelten Scharfmacher an sich abtropfen. Nationalstolze Türken wird das ebenso wenig entzückt haben wie die fehlende Transparenz bei den inoffiziellen Friedensgesprächen mit Abdullah Öcalan. Gestern noch wie tollwütige Hunde gejagt, werden die Kurden plötzlich durch eine undurchsichtige Geheimdiplomatie hofiert? Das muss irritieren. Um richtig verstanden zu werden: Die Emanzipation dieses Teil der Bevölkerung ist überfällig. Nur leider agiert die Regierung auch hier so elitär und selbstgefällig, dass die Versöhnung am eigenen Anhang scheitern kann.
Die islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) muss gerade erfahren, wie Legitimationsschwächen unversehens in eine Machtkrise führen können. Sie hat lange versprochen, das Land durch politische Reformen in ein demokratisches System zu überführen. Stattdessen wurde die ökonomische Modernisierung mit einer autoritären Islamisierung verschränkt, die liberalen Bürgern die Luft und Lust zum Atmen nimmt. Wieder einmal zeigt sich, wer ideologisch auf großem Fuß lebt, steht nicht wirklich sicher. Wer stets die gewaltigen Schritte will, der kommt nicht weit. Was derzeit in der Türkei an Protesten laut und wirksam wird, könnte ein Vorspiel zum nächsten Kapitel der Arabellion sein. Auch in Tunesien, Ägypten oder Libyen scheinen fundamentalistisch angehauchte Ordnungen nicht mir der Ewigkeit im Bund zu sein.
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