Jean-Claude Juncker hat ein Gesamtkunstwerk abgeliefert, das sich der Liebe zum verblüffenden Detail nicht schämt. Seine EU-Kommission der 20 designierten Kommissare mit Portefeuille und sieben Vizepräsidenten, ebenfalls mit Ressortverantwortung, zeugt vom Anspruch auf Handlungswillen und Kompetenz. Demnächst könnten so viele Ex-Minister die Kommissariate führen wie noch nie zuvor – vorausgesetzt, das EU-Parlament winkt Junckers Personaltableau ohne Veto durch.
Sollte das geschehen, kann Luxemburgs Ex-Premier ein Gremium führen, das seinen Namen verdient, weil es die EU als politische Union begreift, egal wie viel davon existiert. Ob er damit in einem Europa reüssiert, das sich seiner selbst nicht mehr sicher und von der Gewissheit geplagt ist, Integration überreizt zu haben und weiteren Zuwachs aufschieben zu müssen, wird sich zeigen.
Sicher gibt es künftig in Brüssel weder eine EU-Regierung noch einen EU-Premier. Wohl aber ist mit einer kollektiven Autorität achtbarer Honoratioren zu rechnen. Immerhin sind mit Alenka Bratušek (Slowenien), Valdis Dombrovskis (Lettland), Andrus Ansip (Estland) und Jyrki Katainen (Finnland) vier Ex-Premierminister als Vizepräsidenten berufen. Sie dürften sich dem Europäischen Rat schwerlich als Wasserträger oder Aktenwart anbieten, sondern Partner sein wollen, die auf politisches Eigengewicht vertrauen. Schließlich taugt auch Juncker selbst absolut nicht für das Rollenfach des eloquenten, stets aufgeräumten Frühstücksdirektors, in dem sein Vorgänger José Manuel Barroso amüsierte, harmlos wirkte und Durchsetzungskraft verspielte.
Wer aus alldem ableitet, der Kommissionspräsident wolle der Elder Statesman Europas sein, distinguiert reden und seriös führen, verkennt Junckers Talent zu Taktik und Provokation. Das lässt er gerade all jene auskosten, die der EU gern als Hohepriester der Rechthaberei zusetzen. Deutsche EU-Parlamentarier des konservativen und liberalen Lagers reagieren mit Unmut, teils verletzendem Hohn auf den französischen Sozialisten Pierre Moscovici, der als Kommissar über Wirtschaft, Finanzen und Steuern wachen soll. Dieser Mann habe nie einen ausgeglichenen Haushalt zustande gebracht, wird er geschmäht. Ist nicht offensichtlich, dass mit diesem Schlüsselressort der Abstieg Frankreichs im EU-Ranking dementiert werden soll? Und man dazu besser schweigt? Schließlich hat Jean-Claude Juncker auch anderes im Repertoire.
Mit unschuldiger Miene überreichte er einem Widersacher wie dem britischen Premier David Cameron einen Olivenzweig, indem er den Finanzlobbyisten Jonathan Hill für das Ressort Finanzdienstleistungen nominierte. London wird beschwichtigt. Die Personalie könnte ein Schachzug sein, um den Gegner einer stärker regulierten „Kapitalmarktunion“ genau dafür in die Verantwortung zu nehmen. Kritik an Brüsseler Regulierungswut lässt sich eben besser abwehren, kann auf überzeugte Deregulierer wie Hill verwiesen werden. Ob das hilft, die Finanzmärkte wirksamer zu kontrollieren, darf bezweifelt werden. Aber die EU-Kommission spiegelt nun einmal ein Europa, das sich in seinem jetzigen Zustand entweder autoritär oder gar nicht führen lässt. Da kann eine funktionierende Verwaltung in Brüssel schon Trost spenden.
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