Tendenz „Pasokifikation“

Spanien Die Sozialdemokratie in Süd- und Westeuropa muss sich wachsender Konkurrenz von links erwehren, wie der Absturz der spanischen Sozialisten bei den jüngsten Wahlen zeigt
Pablo Iglesias darf sich als Wahlsieger fühlen
Pablo Iglesias darf sich als Wahlsieger fühlen

Foto: David Ramos / Getty Images

Noch scheint es verfrüht, vom Trend zur flächendeckenden „Pasokifikation“ für die etablierte Sozialdemokratie im Süden der EU zu sprechen. Bei den Parlamentswahlen in Spanien am 20. Dezember sind die Sozialisten des PSOE nicht derart gestutzt worden und zur Randgröße geschrumpft, wie das der sozialdemokratischen PASOK in Griechenland am 25. Januar und 20. September 2015 widerfuhr. Die Panhellenischen Sozialisten kamen bei diesen Voten auf 4,7 beziehungsweise 6,2 Prozent, womit sich die einstige (Allein-)Regierungspartei für das Adjektiv „marginalisiert“ empfahl. Seither kann die PASOK der linkssozialistischen Syriza von Premier Alexis Tsipras wenig bis nichts entgegensetzen und hofft auf Regeneration in der Opposition.

Auch wenn der Partido Socialista Obrero Español Ende Dezember von einem PASOK-ähnlichen Einbruch verschont blieb, lag die Partei doch nur 1,3 Prozent vor der linken Volksbewegung Podemos, die als Partei bei einem nationalen Parlamentsvotum debütierte, auf Anhieb reüssierte und Anteil daran hatte, dass die Sozialisten von gut 29 Prozent bei der Wahl 2011 auf nur noch 22 Prozent fünf Jahre später abfielen. Zu allem Überfluss sieht sich der PSOE auch noch mit einem strategischen Dilemma konfrontiert, sich entweder in einer großen Koalition mit dem Partido Popular (PP) von Mariano Rajoy zu ruinieren oder Neuwahlen zu riskieren, bei denen im Wettbewerb mit Podemos weitere Verluste drohen, da beide Parteien um ähnliche Wählerschichten werben – Arbeiter, den Abstieg fürchtende urbane Mittelschichten, darunter viele Akademiker, Teile der Landbevölkerung, die Unter-35-Jährigen.

Labour ohne Schottland

Nicht allein in Griechenland und Spanien hat sich die etablierte Sozialdemokratie tatkräftiger Konkurrenz von links zu erwehren wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Bei den Unterhauswahlen in Großbritannien am 7. Mai 2015 fiel Labour mit 232 gegenüber den 330 Mandaten der Konservativen von David Cameron vor allem deshalb ins politische Fast-Koma, weil die Partei in Schottland mit Edinburgh South lediglich einen einzigen Wahlkreis gegen die Scottish National Party (SNP) gewinnen konnte. Die Partei von Nicola Sturgeon holte 56 der 59 in diesem Teil Großbritanniens zu vergebenden Direktmandate und nahm Labour im Vergleich zum Votum von 2010 40 Wahlkreise ab.

Wahlanalysten erklärten das einhellig mit dem massenhaften Abwandern von Linkswählern zur SNP, die sich trotz der Niederlage beim Unabhängigkeitsreferendum im September 2014 als Alternative zu Labour anbot. Die Partei begründete den Wunsch nach nationaler Souveränität mit dem Willen zu mehr politischer Selbstbestimmung und sozialem Ausgleich in der britischen Gesellschaft.

Schwer zu sagen, ob Labour das in Schottland verlorene Terrain jemals zurückgewinnt. Eine Mehrheit der Partei sieht offenbar in einem rigorosen Linksschwenk, wie ihn der neue Vorsitzende Jeremy Corbyn verkörpert, eine Gewähr zur Wiederauferstehung. Für deren Gelingen kann es letzten Endes nur ein Kriterium geben: Satisfaktions-, sprich: Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Tories von David Cameron.

Beim Blick auf sich wandelnde politische Landschaften sollte ein südeuropäisches Land auf keinen Fall übersehen werden. In Portugal hat man es zwar nicht mit einem zweiten „Fall Syriza“ wie in Spanien zu tun, doch ist dort António Costa, Parteichef des Partido Socialista (PS), seit dem 26. November 2015 als Ministerpräsident im Amt. Er wollte nach der Parlamentswahl vom 4. Oktober 2015 weder eine Koalition noch ein wie auch immer geartetes Zusammenwirken mit Portugal á Frente (Vorwärts Portugal), der bisher regierenden Rechtsallianz von Premier Passos Coelho.

Stattdessen lässt sich Costa nun von den beiden linken Formationen Bloco de Esquerda (BE) und Coligação Democrática Unitária (CDU), die Kommunisten und Grüne vereint, tolerieren und unterstützen. Fraglos liegt solcher Annäherung ein Kurswechsel der Sozialisten zugrunde, der seit der Nelkenrevolution von 1974, da Teile der Armee die Caetano-Diktatur stürzten, seinesgleichen sucht. Als vor mehr als 40 Jahren, progressive Offiziere des Movimento das Forças Armadas (MFA) und die Kommunistische Partei (PCP) das Land für eine nicht- bis antikapitalistische Perspektive öffnen wollten, waren es die Sozialisten unter ihrem damaligen Parteichef Mario Soares, die einen Systemwandel oder -ausstieg verhinderten. Ideologisches Fundament ihrer Gegenwehr war ein kategorischer, von der Sozialistischen Internationale (SI) intendierter Antikommunismus, der schon jeden Anflug von Kooperation mit dem PCP ausschloss. Und dabei jahrzehntelang blieb.

Dass nun mit diesem Affekt zur Abkehr gebrochen wurde, lässt ermessen, was sich kurz vor Weihnachten in Portugal abgespielt hat, nachdem der konservative Staatspräsident Cavaco Silva bis zuletzt alles getan hatte, was in seiner konstitutionellen Macht stand, um einen Regierungswechsel zu blockieren.

Wir gegen alle

Die Mitte-Links-Plattform in Lissabon, die einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung ins Amt verhalf, unterscheidet sich vom Podemos-Aufstieg wie PSOE-Abstieg in Spanien, doch gilt dies keinesfalls für die Ursachen eines Linksschwenks in Euro-Ländern, die sich über Jahre den Spar- und Austeritätsdogmen innerhalb der Währungsunion ausgesetzt sahen. Von Spanien über Frankreich (dort ist der Front National der Gewinner oder auch die neue "Volksbewegung") bis Griechenland wird erkennbar, dass es eine politische Dividende der bislang betriebenen Krisenbewältigung gibt.

Ungeachtet dessen sei vor dem Eindruck oder der Wahrnehmung gewarnt – man stehe in den betreffenden Staaten auf dem Boden einer "historischen Entwicklung", bei der sich Widerstand gegen herrschende Verhältnisse nach dem Muster von Klassenkämpfen alter Schule formiert. Auch wenn sich Gemeinsames kaum übersehen lässt.

Podemos gründet maßgeblich auf einer Bürgerrechtsbewegung – nicht zuletzt den Protesten der Indignados (der „Aufgebrachten“) in den Jahren 2011/12. Pablo Iglesias und seine Anhänger sehen sich programmatisch weniger im Rechts-Links-Spektrum denn als Sprachrohr der Entmündigten, der Vergessenen, des „social fallouts“ einer Gesellschaft, die sich einem permanenten Optimierungswahn unterwirft. Podemos gibt denen weit oder ganz unten eine Stimme gegen die „da oben“. Die Partei tritt als Anwalt „des Volkes“ – nicht nur einzelner Milieus – gegen die saturierte Selbstreferenzialität eines politischen Systems an, zu dem in Süd- und Westeuropa eine seit Jahrzehnten abgewirtschaftete Sozialdemokratie zählt. Auch Parteien wie der PSOE in Spanien sind für Iglesias Teil von „la casta“ – der Kaste –, der das Sensorium für die Folgen ihres Daseins um so mehr abhanden kam, je stärker mit der Euro- und Finanzkrise die Fremdsteuerung nationaler Haushalte und eine daraus folgende soziale Desintegration überhand nahmen.

Das „Kartell der Kaste“ wird zur Verantwortung gezogen, was in der Konsequenz bedeutet, dass Podemos zunächst einem „Wir-gegen-alle“-Impetus folgt, der sich nicht mit irgendwann auftretenden Bündnis- oder Koalitionsfragen aufhält. Darin sind Parallelen zur Inaugurations- und Legitimationsphase von Syriza erkennbar, aus der sich innerhalb von drei bis vier Jahren eine Machtoption ergab.

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