Tödliche Zensur

Kommentar Kameramann in Bagdad erschossen

Man erinnere sich, am Morgen des 8. April 2003 gegen 7.45 Uhr - zwei Tage noch sollten bis zur endgültigen Einnahme Bagdads vergehen - feuerte ein US-Kampfjet eine Rakete auf das Büro des arabischen Fernsehkanals al Dschasira am Tigris und tötete Tariq Ayoub, den Chefkorrespondenten des Senders. Vier Stunden später bedachte ein Abrams-Panzer das Büro der britischen Agentur Reuters im Hotel Palestine mit einer Salve, und zwei Kameramänner starben. Nun hat Mazen Dana, wieder ein Reuters-Journalist, einen Drehtermin am Bagdader Abu-Ghraib-Gefängnis nicht überlebt, als er ins Visier eines US-Panzers geriet.

Ein Hinweis darauf, wie flexibel die USA ihre weltweite Kampagne gegen den Terrorismus zu führen verstehen. Eine zweite Front wird stets in Reserve gehalten und bei Bedarf eröffnet, um den Einfluss auf das Bild dieses Krieges nicht zu verlieren. Gewiss wäre es überzogen, US-Soldaten der vorsätzlichen Tötung des Palästinensers Mazen Dana zu beschuldigen. Aber dass sie zur Rücksicht gegenüber Journalisten in ähnlichen Situationen vergattert wären, lässt sich ebenso wenig beschwören. Die Verwundbarkeit im Land des geschlagenen Feindes gereicht der Besatzungsmacht nicht zur Zierde, also soll dieses Phänomen nach Möglichkeit nicht über Gebühr und nicht überall kolportiert werden. Deshalb tauchen Journalisten immer häufiger in der Abteilung Kollateralschaden auf.

Eine Zensur mit zuweilen tödlichem Ausgang, brachial, schnörkellos und präventiv. Dass sie seinerzeit kurz vor dem Fall Bagdads so nachdrücklich wie barbarisch ausgeübt wurde, konnte nicht überraschen. Die Bewohner des Hotels Palestine gehörten einfach nicht zu den einrückenden Siegern, sie saßen auf der anderen Seite, nicht nur des Tigris, sie waren keine Partner des Embedded Business, das Korrespondenten im Tross der Truppe mit einem gewissen Schutz versah. Die Schüsse auf das Palestine waren fast schon die letzten des Krieges. Dass in ihnen auch so etwas wie grinsende Verachtung lagen, ließ sich kaum übersehen. Die Chronisten des Krieges durften für einen Augenblick in die Rolle seiner Opfer wechseln. Eine solches Stahlbad soll nachwirken.

Wer in den USA die Irak-Politik zu verantworten hat, dürfte sich erinnern, dass Vietnam vor über 30 Jahren nicht nur an der Front, sondern ebenso auf dem Fernsehmonitor verloren ging. Was derzeit in Bagdad oder Tikrit abhanden kommen könnte, ist - vorerst - nicht die feindliche Übernahme fremden Territoriums, sondern der imperiale Führungsanspruch. Der könnte im Schredder eines täglichen Zermürbungskrieges zwischen Besatzern und Besetzten sauber zerkleinert werden. Eine Herausforderung, die von den Amerikanern heraufbeschworen wurde und jetzt von der westlichen Wertegemeinde aufgefangen werden darf. Wie groß diese Herausforderung ist, soll uns nicht durch Fernsehbilder von gesprengten Wasserleitungen oder verbrannten US-Jeeps zu deutlich werden.

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