Hätte man sich diesen deutsch-türkischen Gipfel besser verkneifen sollen? Deutschland und die Türkei versahen sich im Vorfeld hingebungsvoll mit Absagen, Irritationen und Schienbeintritten. Die Idee aus Ankara, in Deutschland türkische Gymnasien einzurichten, quittierte die Berliner Leitkultur pausbäckig beleidigt und mit hausmeisterlichem Ordnungspfiff. Welch vermessene Vorstellung! Es gibt Französisch-, Englisch- und Russisch-Schulen zuhauf – wozu drei Millionen Türken in Deutschland einen Gefallen tun und einen Bildungs- und Kulturanspruch respektieren, der sich auch auf diese Weise Geltung verschafft?
Der türkische Premier parierte umgehend mit dem Vorwurf, Merkel hasse sein Land. Das ließ auf ein lebhaftes Treffen schließen. Zumal Tayyip Erdogan gleichzeitig zu verstehen gab, er verspüre wenig Neigung, sein Land in eine anti-iranische Sanktionsfront einzureihen, um die sich Deutschland gerade verdient machen will. Der Premier hat Recht, die Türkei würde im Fall einer solchen Eingemeindung den Anspruch einer ausgleichenden Regionalmacht aufgeben und zu sehr in israelisches Fahrwasser manövriert.
Bei soviel Gastgeschenken sollte es der deutschen Kanzlerin nicht schwer fallen, den größten Liebesbeweis für ihren Gastgeber anzutreten, den es nur geben kann, und Erdogan zu bedeuten, er möge doch endlich mit einer "privilegierten Partnerschaft" in der EU zufrieden sein. Die ökonomischen Beziehungen mit dem Europa der 27 würden auch ohne Vollmitgliedschaft florieren. Die deutsche Wirtschaft wisse den Wachstumsmarkt Türkei mit 70 Millionen Einwohnern so schätzen. 4.000 deutsche Unternehmen seien mit Filialen und Kapital engagiert. Im Klartext: Ankara möge willig ertragen, von jedem osteuropäischen EU-Aspiranten überholt zu werden, während die eigenen Beitrittsverhandlungen seit Oktober 2005 einem Stehversuch gleichen.
Bei so viel Lust zum Affront, kann es nicht verwundern, wenn in der Türkei die Ernüchterung wächst, das Land sich gedemütigt und ungerecht behandelt fühlt. Unterschwellig wird in Brüssel die Angst geschürt, das christliche Europa könne sich mit diesem Mitglied eine Vetomacht einhandeln, die als Anwalt und Sprachrohr der islamischen Welt agiert. Abgesehen davon, dass die türkische Außenpolitik keinerlei Handhabe bietet, diesen Verdacht zu erhärten, wird völlig ignoriert, welcher Reformelan das Beitrittsbegehren seit 2005 flankiert. Die Todesstrafe ist abgeschafft, eine Verfassungsdebatte in Gang gesetzt, die einem autoritären Kemalismus überhaupt nicht passt. Es gibt zumindest den Versuch, sich mit der kurdischen Minderheit zu verständigen. Vieles davon wäre ohne die Regierung der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Tayyip Erdogan kaum denkbar. Sie hat in den traditionsgeladenen Milieus der türkischen Gesellschaft dafür gesorgt, dass die Annäherung an Europa toleriert wird. Vergeblich, wie es scheint. Die EU ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die türkische Enttäuschung wahrzunehmen, geschweige denn zu verstehen.
Wer andererseits nicht müde wird, den Wert der friedlichen Koexistenz mit einer islamischen Welt zu betonen, die nicht islamistisch ist, verprellt Ankara nicht ungestraft. Bleibt der europäische Weg verbaut, könnte es auch um die moderne Türkei geschehen sein.
Kommentare 56
Auf welchem Planeten lebt Herder?
Die Wahlerfolge des Hrn. Wilders erscheinen mir angesichts der Realitätsferne der deutschen Meinungsmache zunehmend verständlich.
angela merkel agiert in sachen türkei zwar provozierend doppelzüngig. kein wunder, dass erdogans land sich dabei nicht für voll genommen vorkommt. aber dass es "um die moderne türkei geschehen sein" könnte, wenn "der europäische weg verbaut" bleibt, kommt mir überzogen vor. das unterschätzt den selbstbehauptungswillen der zivilgesellschaftlichen kräfte am bosporus. die sozialen bewegungen sind zwar längst nicht so stark wie in westeuropa. und könnten rückenwind durch die europäer gebrauchen. es gibt aber einen moment der irreversibilität in sachen gesellschftlicher umbruch. der wird auch durch eine weitere blockade beim eu-beitritt nicht völlig ungeschehen gemacht werden können.
Die sogenannte moderne Türkei ist doch sowieso erledigt und wird niemals der EU beitreten. Türkische Gymnasien? Meinetwegen. Das wird die Spaltung der Gesellschaft verstärken und die Akzeptanz der Türken weiter verschlechtern. Erdogan will die Auslandstürken offensichtlich als Verfügungsmasse etablieren, um angelegentlichen politischen Druck zu erzeugen. Merwürdig, dass Herden sowas verbrämt als Bildungs-und Kulturanspruch goutiert.
Insgesamt eine unerfreuliche Entwicklung, aber so geht das im Leben, wenn sich die Geschäftsgrundlage ändert.
Ankara wird sich mit Teheran um die Hegemonie im Nahen Osten balgen müssen. Für ein Land ohne Freunde wird das schwierig.
Mit dem Vergleich mit Französisch-, Englisch- und Russisch-Schulen beweist Herr Herden leider völlige Realitätsferne. Der Integrationswille der Franzosen, Engländer und Russen in Deutschland ist nicht mal ansatzweise mit dem der Türken zu vergleichen somit ist eine Gleichsetzung hier ganz offensichtlich fehl am Platz. Nur völlig vernebelte linke Hirne können auf so einen grotesk-naiven Vergleich kommen. Hier hat die Politik erfreulicherweise ganz klar den richtigen Ton angeschlagen. Danke Frau Merkel!
Was den EU-Beitritt der Türkei angeht so kann ich nur laut lachen. Die Türkei ist ja überhaupt kein freiheitlicher Staat. Das plakativste Beispiel ist das Internet. Youtube ist in der Türkei gesperrt. Wegen "Beleidigung des Türkentums", ich meine HALLO? GEHT'S NOCH? Und so ein Land will Mitglied in der Europäischen Union werden. Das ist wohl mal der Witz der Jahrhunderts. Da kann man ja gleich den Iran oder Nordkorea in die Europäische Union aufnehmen!
Ganz offensichtlich ist der Freitag ungefähr auf demselben Entwicklungsstand wie die Türkei hier wird nämlich auch eifrig zensiert!
Wie, was jetzt? Jetzt ist der Kommentar auf einmal wieder da!
Kein sonderlich hochwertiger Beitrag Sven. Aber ich kann dich beruhigen, mit ihrem halbjährlichen Besuch hat Frau Merkel eh nur ein wenig auf den Busch geschlagen.
Beim Blick auf Rumänien et al die sich wohl stärker in Richtung Mittelalter bewegen als die Türkei, wären wohl eher diese Länder von der EU auszuschließen, als weiterhin die Türkei.
Doch obwohl diese mehr wirtschaftliches Potential hat, als Ungarn, Rumänien und Bulgarien zusammen, ist der EU Beitritt nicht einmal in greifbarer Nähe. Menschenrechte hin oder her, diese und andere Auflagen wurden von so manchem neuen Mitglied aus dem Osten nicht erfüllt. Aber per ein paar Blümchen und Rüschen in bestimmten Statistiken (siehe Griechenland) hats dann doch hingehauen. Nur das bei diesen Ländern ein ganz anderer gewichtiger Faktor eine Rolle spielt > NATO > europäische Grenzen > Russland.
Die Türkei wird aus einem einfach Grund nicht in die EU aufgenommen werden, dem Vertrag von Lissabon. Sie wären die stärkste Kraft im Parlament und dieses ist jetzt kein Parkplatz mehr für abgewrackte Politiker á lá Stoiber.
Also keine Sorge, Deutschland und Frankreich arbeiten Hand und Hand zusammen, dass der türkische Halbmond nicht erneut vor Wien stehen wird.
Die Türkei mit dem Iran oder Nordkorea zu vergleichen zeugt nicht gerade von außenpolitischem Tiefgang.
beste Grüße an die nationale Front
Es gibt wohl technische Probleme besonders mit Firefox. Ich kenne das. Passier öfters.
So wenig ich Sven zustimmen werde, so muss ich allerdings auch eines grundsätzlich kundt tun.
Die EU als Demokratisierungsmittel zu verwenden gegen Unrecht, Korruption, Vetternwirtschaft u.d.g.m ist weder bei der Türkei erfolgreich möglich noch in Rumänien, Bulgarien, Griechenland oder mitterweile auch Italien - einst Grundungsmitglied. Damit wäre der Europa Gedanke überfordert. Man muss von sich aus sehr grundsätzlich Europa sein wollen. Das impliziert automatisch Integrationswillen.
Betrachtet man die Entwicklungen beispielhaft in oben gelisteten Länder als Auswahl dann ist an sich Europa als Idee längst gescheitert. Mit der Türkei als Mitglied wird der Prozess des Scheiterns wirtschaftlich vielleicht (wieder an die Lungenmaschine angeschlossen) kurz umgebogen - politisch, idell wird Prozess der gemeinsamen Entwicklung noch schneller scheitern.
@misterL: Besonders schockierend ist das Beispiel Italien. Die Manipulation des italienischen Volkes durch Berlusconi'sche Medienmafia ist allumfassend. Auf dem Papier herrscht in Italien eine Demokratie, aber praktisch ist es eine Mediendiaktatur. Perverserweise gibt es auch in Deutschland einen Berlusconi-Wannabee und er nennt sich Roland Koch. Wie man am Beispiel Nikolaus Brender sieht hätte er am liebsten auch in Deutschland italienische Verhältnisse.
@ SvenMaximilian
Über welche Kenntnisse der historischen, politischen, ökonomischen Entwicklung der Türkei verfügen Sie, außer zu wissen, dass youtube dort gesperrt wurde? (Wobei Sie von den Hintergründen für diese dumme Maßnahme offensichtlich auch nur sehr andeutungsweise Ahnung haben.)
Sie wollten hier eigentlich nur gern mal was gegen die Linken losgelassen haben, etwas über deren vernebelte Hirne. Gell?
Das ist Ihnen großartig gelungen. Ich bin beeindruckt.
@weinsztein: Leider sind Ihre Ausführungen noch substanzloser als die des Herren Technixer. Bei ihm war wenigsten noch ein guter Wille erkennbar, den vermisse ich bei Ihnen leider völlig. Anstatt sich in Unterstellungen und Beleidigungen zu üben sollten Sie lieber versuchen einen argumentativ wertvollen Beitrag zur Diskussion beizusteuern.
Die moderne Türkei ist immer noch vom Faschisten "Atatürk" geprägt und auf dem Gebilde lastet der Völkermord und die Unterdrückung des kurdischen Volkes. Die Alternative zum Nationalismus ist religiöser Konservatismus. Da können wir uns freuen, dass wir Merkel Emotionen wie Hass auf die Türkei gar nicht zutrauen. Natürlich hat die Türkei in der EU nichts zu suchen. Dafür müsste sie erst zerschlagen werden. Außengrenze mit dem Irak, nein Danke.
Ach, ich habe Sie beleidigt und Ihnen etwas unterstellt? Ich hatte Ihnen Fragen gestellt, die Sie nicht beantworten können oder wollen.
Substanzlosigkeit werden Sie mir vor.
Schön:) . Helfen Sie mir.
Werter zelotti,
ich bin kein Kemalist, aber Ihre Agitation gegen Atatürk und die heutige Türkei irritiert mich.
Der später Atatürk genannte Mustafa Kemal war ein dem Nationalismus frönender Sozialdemokrat seiner Zeit (20-er und 30-er Jahre). Sein Nationalismus steht im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Besatzungsmächte in der Türkei (1919 - 1924). Was macht Atatürk aus Ihrer Sicht zum Faschisten?
Wie und warum sollte Ihrer Meinung nach die Türkei zerschlagen werden? Nach alten Pentagon-Plänen (großes USA-freundliches und ölreiches Kurdistan mit Gebieten u.a. des Irak, Syriens, Irans und der Türkei bis kurz vor Ankara)?
"Außengrenze mit dem Irak, nein Danke", schreiben Sie und das ist so drollig! Nach einer EU, die an Ölländer anraint, giert doch geradezu die europäische Wirtschaft.
Anders als die Regierung Erdogan orientiert sich die Intelligenz in der Türkei heute ganz anders, etwa in Richtung eines ökonomischen und späteren auch weiter gehenden Verbundes mit dem Iran, Russland, China.
In diesem Falle hätte die EU in der Türkei nichts mehr zu suchen. Sehr zum Schaden der deutschen Großindustrie, die eine EU-Mitgliedschaft der Türkei herbei sehnt. Aus nachvollziehbaren Gründen.
Falls Ihre Unsterstellung ich würde hier nur schreiben um zu provozieren eine ernstgemeinte Frage sein soll, dann muss ich sie leider abschlägig beantworten. Die Intention meines ursprünglichen Beitrags war mitnichten die Provokation der Diskutanten, vielmehr wollte ich darin darlegen, wie wirklichkeitsfremd die Meinung von Hern Herden zum EU-Beitritt der Türkei ist. Ich finde es sehr bedauerlich dass im ansonsten sehr lesenswerten Freitag Platz für solcherlei Schmalspurdenken ist.
Na schön. zu blöd. Sie wollten also nur beleidigen und nicht provozieren.
Weinsztein, so alt sind diese Pentagon-Pläne nicht - vor ca. drei, vier Jahren war noch ein hochrangiger Militär so dumm, mit einer solchen Karte der "Neuordnung des nahen Ostens" hausieren zu gehen. Inklusive einer Zerschlagung der Türkei und Saudi-Arabiens war alles dran, um sämtliche Noch-Verbündete gründlich zu verärgern.
Ich denke, die Türkei hat sich, auch durch die jahrelange Ablehnung und Behandlung dritter Klasse längst innerlich von Europa abgewandt. Die Beziehungen zu China, Russland und Iran, die du ansprichst, wären eine Option, eine Community der Turkstaaten eine andere.
Die Frage wird sich stellen, wofür es dann in der Türkei Mehrheiten gibt. Die werden sich womöglich nicht nach dem Geschmack der kemalistischen Minderheit richten.
BTW: an einem Punkt muss ich Sven Recht geben: Mustafa Kemal war keinen Punkt besser oder wesentlich anders als Mussolini oder Franco. Leider hat man ihn und sein Gedankengut zu lange mit Waffengewalt der Bevölkerung aufoktoriert.
Aber das ändert sich ja zum Glück grade. Bereits Özal, der die Türkei weiter wirtschaftlich voranbrachte, als jemals einer der kemalistischen Häupter, bewirkte eine Richtungsänderung, von der die Türkei noch heute profitiert.
Was Frau Merkel angeht: ihre Unkenntnis in vielen Dingen ist erschreckend und wirkt in einem Land wie der Türkei sehr schlecht. Inzwischen dürfte sie ja vielleicht wissen, wo Anatolien liegt, aber dass ihr offensichtlich unbekannt ist, dass z.B. das gute Abschneiden der Griechen in Deutschland bei den Pisa-Tests auch auf die griechischen Schulen zurückgeführt wurde, und sie trotzdem erst mal automatisch auf Abwehr schaltet, wenn Erdogan das gleiche für die Türken verlangt, kann nur noch mehr Ablehnung hervorrufen.
Mir solls Recht sein - der Türkei würde auf lange Sicht ein EU-Beitritt m.E. nur schaden. Je eher die EU sich dort so unmöglich macht, dass Ergodan sich mit Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung andere Allianzen suchen kann, desto besser.
faschist war atatürk sicher nicht. eher war er ein autokrat und seine neue republik, jedenfalls zu beginn, eine einparteienddiktatur. der britische historiker perry anderson spricht von einem "nationalismus im superlativ". am völkermord an den armeniern war atatürk, obwohl den jungtürken zugehörig, nachweislich selbst nicht beteiligt. und die die "türkische kristallnacht", der pogrom gegen die griechen in istanbul 1955, ging vom mitte-rechts-premier adnan menderes aus.
Wenn das so ist, wäre die logische Konsequenz, die noch ausstehenden Osterweiterungen etwa durch einige Balkan-Staaten einfach abzublasen.
Ingo Arend, ich habe festgestellt, dass Atatürk in Europa geradezu idealisiert wird.
Nicht nur, dass er die Kurden, die ihm gegen die Entente-Mächte zur Seite standen, betrog - sie wären mit dem Vertrag von Sèvres weit besser gefahren. Die späteren Massaker in den dreißiger Jahren gehen durchaus auf sein Konto.
Und wie weit er an den Morden an den Armeniern nicht beteiligt war - nachweislich nicht beteiligt wäscht ihn da etwas zu rein.
Schlimmer noch, er hat der türkischen Nation ihre ganze osmanische Geschichte geraubt, ein Kulturverbrechen, indem er den Gebrauch und die Lehre der arabischen Schrift und Sprache, somit auch des osmanischen, bei Strafe untersagte. Es ist interessanterweise fast unbekannt in Deutschland, dass zu seiner Zeit Arabisch- und Koranlehrer einfach am nächsten Baum aufgehängt wurden, wenn man sie erwischte. Stell dir vor, in der DDR hätte man russische Schriftzeichen eingeführt - keinen Klassiker hätten die Nachgeborenen mehr lesen können.
Jetzt sehe ich, dass ich nur auf die Diskussion reagiert habe, nicht auf den Artikel, was ja eigentlich heute wichtiger wäre.
Lutz Herden hat schon Recht. Wie ich der heutigen Presse entnehme, hat man mit Frau Merkel in der Türkei wohl endlich vollen Klartext geredet. Vor allem ein Argument sollte man sich gut merken: kein Vertragswerk der EU sieht einen solchen Zwitterstatus wie "privilegierte Partnerschaft" überhaupt vor. Ein Land, dem man ständig damit ankommt, muss sich langsam verulkt vorkommen.
Was auch viel zu selten gesehen wird: gerade die beiden zuletzt aufgenommenen Länder, Rumänien und Bulgarien, erfüllten weit weniger Bedingungen, als sie der Türkei gestellt werden. Das ist Messen mit zweierlei Maß - und auch das ist für die Türkei schlicht diskriminierend.
Hinzu kommt, dass seit Solingen und Mölln peu à peu die Berichterstattung in der türkischen Presse aufgehört hat, die Lebensverhältnisse der Türken in Deutschland und die teilweise unsäglichen Diskussionen über die Türken und die Türkei dezent zu bemänteln oder totzuschweigen, so wie noch in den achtzigern. Debatten, wie die um den Familiennachzug, doppelte Staatsbürgerschaft, Ausbürgerungen - das spiegelt sich inzwischen in den türkischen Zeitungen wieder. Eine türkische Regierung, die da nicht eine feste Linie gerade gegenüber dem Blockierer Deutschland fährt, würde zu Hause ziemlich schlecht aussehen.
Frau Merkel hatte sich das vielleicht anders vorgestellt, aber da muss sie nun durch.
@weinsztein: Nein, meine Intention war Kritik. Ich habe aber in anbetracht der Groteskheit der Aussagen des Autoren einen etwas groben Tonfall gewählt.
@herden: Wenn bei den Anwärtern ähnliche oder noch schlimmere Bedingungen vorherrschen wie bei der Türkei wäre das wohl die beste Vorgehensweise.
Meines Wissens hat die Kanzlerin den Vorschlag tuerkischer Schulen in Deutschland gerade nicht in den Orkus geschmissen. Sie hat nur gesagt, diese Schulen duerften keine Ausrede sein, kein Deutsch zu sprechen.
Noch mehr konnte sie den Tuerken kaum entgegenkommen.
Wer soll denn diese Schulen organisieren, die Lehrplaene bestimmen, der tuerkische Staat? Soll der tzuerkische Staat bestimmen, welche Buecher gelesen werden duerfen und welche nicht?
Und dann hat die Kanzlerin die deutsche Schule in Istambul besucht, deren Schueler Tuerken und Tuerkinnen sind. Vor allem aus der Oberschicht, wie bei deutschen Schuelern auf franzoesischen, amerikanischen usw. Schulen hier auch. Und sie hat die Gruendung einer deutsch/tuerkischen Univewrsitaet in Istambul vorgeschlagen.
kein Vertragswerk der EU sieht einen solchen Zwitterstatus wie "privilegierte Partnerschaft" überhaupt vor.
>>
Das ist ja wohl kein Argument.
Denke ich doch. Hier wird versucht, für die Türkei eine Mitgliedschaft zweiter Klasse zu konstruieren - und das ist einfach beleidigend, so muss ein Land wie die Türkei sich nicht behandeln lassen. Anscheinend hat Frau Merkel das gestern wenigstens andeutungsweise kapiert.
Den Lehrplan und die Bücher der deutschen Schule in Istanbul bestimmen jedenfalls nicht die Türken .... tja.
Die Universität ist bereits in Gründung - da sollen schon die Verträge unterzeichnet werden. Wenn das nicht auch wieder blockiert wird.
Mussolini war auch Sozialist, das hat nicht viel zu sagen.
Da die EU ein gänzlich undemokratisches, gleichwohl inzwischen in vielerlei Hinsicht staatsähnliches Gebilde ist (ein Malteser hat soviel Stimmrecht wie dreizehn Deutsche...), sollte ich mir wohl wünschen, die Türkei würde aufgenommen, um dem Lügenladen per Überdehnung vollends den Garaus zu machen.
Allein, die Folgen sind kaum absehbar, und deshalb bin ich gegen einen Beitritt der Türkei, schlicht aus ökonomischen, sozialen, und kulturellen Gründen (die Reihenfolge ist beliebig).
Zudem: Außer dem Zipfelchen Landmasse westlich von Istanbul weist die Türkei so gut wie keinerlei europäische Merkmale auf; es dürfen noch nicht einmal christliche Kirchen eröffnet werden; die Kurden sind weiterhin unterdrückt; was die "Rechtslage" anlangt, so ist die Geschichte mit YouTube nur ein Beispiel; die AKP flößt nicht mehr Vertrauen ein, als das kemalistische Militär.
Und natürlich lege ich auch keinen Wert auf kurdisch-türkische EU-Außengrenzen mit Syrien, irakisch Kurdistan und dem Iran; dort kann jederzeit eine neue Hölle losbrechen, das Israel-Palästina-Problem direkt dabei virulent, die Amerikaner stets am Zündeln, nördlich und östlich der Kaukasus mit seinen Kriegen, der Georgien-Konflikt, jener der Armenier mit Aserbaidschan, Abchasien, Adscharien, Ossetien, Tschetschenien, Inguschetien, weiß der Teufel, was noch alles kommt...
Ich als Deutscher habe genug von Krieg, will nicht, dass meine Söhne irgendwo zwischen Beirut, Erzurum, Teheran, Kabul und Karatschi in den geostrategischen Spielen unserer Weltenlenker verheizt werden; nein Danke; und darauf liefe es durch eine EU-Mitgliedschaft der Türkei, die die USA seit Jahren (unterderhand erklärtermaßen) zur Schwächung des Konkurrenten EU betreiben, noch umso wahrscheinlicher hinaus.
Und nebenbei noch an Israel-Firsters gerichtet: Da ist die Türkei ja wohl nicht erst seit dem Davoser Eklat zwischen Erdogan und Peres auch nicht mehr ganz der Kantonist, den man sich von jener Seite her wünscht...
"Sie wollten also nur beleidigen und nicht provozieren."
Sehr schöner Satz, den bitte in die Sammlung.
Strategisch gesprochen, welche Möglichkeiten haben sie denn?
Schwierige Nachbarn. Strategisches Bollwerk gegen die Russen. Die Drohung im Irak einzumarschieren, sobald die Kurden sich verselbständigen. Viel Konfliktpotential mit russland, Nato-Joker. Sehr große Bevölkerung, größeres Erdbeben in dem dicht besiedeltem Ballungsraum Istambul in den nächsten zwei Jahrzehnten wahrscheinlich, muslimische Bevölkerung, starker Nationalismus, Spannungen mit Griechenland und dem Balkan, Provokation mit Israel möglich..
nett, wie alle von weit weg vorgeben, alles über die Türkei zu wissen :-))
@Sven.
Wenn man den Altgedanken von Fischer aufgreifen würde von einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, so gelten an sich zwei zusätzliche Grundbedingungen, von denen ich einfachnicht mehr weiß, ob Fischer sie selbst damals ventilierte.
1. Man kann aus der Gemeinschaft absteigen.
2. Eine solche Gemeinschaft darf keine gemeinsame Währung haben, solange sie keinen gemeinsamen Standards hat (zB Soziales, Wirtschaft, Finanzen, Innen.- Aussen, Sicherheitspolitik).
3. Aus dem Währungsverbund kann man auch wieder rausfliegen.
@ hibou
Dieses :-)) bedeutet ja wohl, soweit meine Netzphilologie reicht, ein "doppeltes Grins".
Da wüsste ich dann doch gerne, was es da zu grinsen gibt, welche meiner Argumente denn von barer Unkenntnis geprägt bzw. gegenstandslos wären.
Wenn Sie mich ob ihres wahrscheinlich ja wohl weit überlegenen Wissens aufklären wollten, wäre ich Ihnen sehr verbunden, der Rest der Leser hier sicherlich auch.
Andernfalls versehe ich Ihren substanzlosen Kommentar, der lediglich fälschlich insinuiert, was hier nicht einer für sich persönlich ansann, "alle" (!) von weit weg gäben vor, alles (!) über die Türkei zu wissen, mit einem kalten Lächeln.
Der Kerl war Duce del Fascismo, Faschist reinsten Wassers. Aber es macht sich im Sinne der üblichen Totalitarismus-Demagogie immer gut, auf seine wilde Jugend zu verweisen.
Nun, manche sagen der und der ist ein Faschist; der Begriff ist inzwischen etwas verschwommen, obschon eigentlich relativ klar, aber ich vernahm, dass Atatürk Freimaurer war, und was das sei, darüber wird zwar nicht so viel krakeelt, aber was das ist, das ist ziemlich klar (Franco war übrigens auch Freimaurer, soweit mir bekannt, einen Mitgliedsausweis von ihm habe ich zwar nicht im Keller, mit 9 Opus-Dei-Ministern im Kabinett, wie ich hörte, was ich aber auch nicht ad hoc beweisen kann).
Göller und seine deutschnationalen Gesinnungsfreunde sind wieder in ihrem Element. Die Musels haben eine fremde Kultur, der Amerikaner will Europa schwächen und wir 'als Deutsche' werden in der EU übervorteilt. Da passt das hier prima ins Bild:
"Der europäische Kontinent gerät von einer Krise in die nächste. Staatsverschuldungen, Massenarbeitslosigkeit, sozialer Rückschritt, Volkstumskämpfe und Bürgerkriege repräsentieren ein 'EU-Europa' der Beamten und Technokraten. Verantwortungslosigkeit, Korruption und Unfähigkeit prägen ein System, welches durch den gemeinsamen Markt Schwächen erleidet, statt gestärkt zu werden.
Dieser unheilvollen Allianz supranationaler Technokraten und Beamten freiwilligen Souveränitätsverzicht zu leisten, die DM-Währung aufzugeben und das Ausländerwahlrecht einzuführen kommt einer Selbstaufgabe Deutschlands und seiner von Vätern und Vorvätern geschaffenen nationalen Gemeinschaft, Kultur und Wirtschaftskraft gleich. (...) Grundlage einer europäischen Neuordnung muß das Bekenntnis zum nationalstaatlichen Ordnungsprinzip, zur Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und zum Prinzip der Volksabstammung sein." (aus dem Parteiprogramm der NPD)
@ goedzak
Nett. Wieder selber inhaltlich nichts beigetragen. Wirst noch berühmt damit. Immerhin kannste ja schon NPD-Programme lesen und auf den Freitag rüberkopieren. Bald biste 'nen Meister in sowat.
@ goedzak
Und, mein lieber goedzak, nervt es Dich etwa, dass der "deutschnationale" Göller keinen Bock auf irgendwelche Kriege, sei es für irgendwelche irren Brzezinski-Affen hat, und seine Söhne dort nicht hinschicken will?
Das dürfte für Dich schwer zu schlucken sein, denn so einer wie ich sollte doch nach Blut nur so dürsten, gerne seinen Nachwuchs zur Errichtung des Vierten und gleich noch Fünften Reiches in die Steppen Asiens auszureiten anhalten, oder?
Schick' Deine eigenen Kinder für die Amis oder sonstwen dahin, wofern Du welche haben solltest, dann hast Du wenigstens bewiesen, dass Du nicht "deutschnational bist", dann glaubt es Dir noch der Dümmste.
@Alien59
Der Vergleich hinkt. Passender wäre gewesen: In der DDR wurde Deutsch mit russischen Schriftzeichen geschrieben. Ulbricht oder sonst wer führte dann die lateinische Schrift ein, u.a. weil diese leichter zu erlernen ist. Dann führt er auch noch Familiennamen ein und lässt die Bibel ins Deutsche übersetzen, die es zuvor nur auf Russisch zu lesen gab.
Also für mich klingt das alles sehr sinnvoll und durchdacht.
Donnerstag: von deiner Warte aus. Aber damit hat er die Türken auf Jahre hinaus von ihrer eigenen Kultur und Geschichte abgeschnitten. Ich nenne das einen kulturellen Volksmord.
Wer sich in diesem Land nicht wohl
fühlt, kann jederzeit ausreisen.
Nach ein paar Ausreisewellen wären dann nur noch Nazis übrig. Aber das ist sicherlich nichts was Dich, Cato42, sonderlich stören würde, gell?
Das Schimpfwort (Halb-)'Affe' magst Du, nicht wahr? Dabei hat Brzeziński doch eine viel weißere Haut als ich. Oder ist es, weil er ein Pollack ist?
Hier noch etwas Futter für Deine Friedensliebe: "Indem wir in grenzenloser Liebe und Treue an unserem eigenen Volkstum hängen, respektieren wir die nationalen Rechte auch der anderen Völker aus dieser selben Gesinnung heraus und möchten aus tiefstinnerstem Herzen mit ihnen in Frieden und Freundschaft leben."
Heute würde man ein paar andere Begriffe verwenden, z.B. statt Volkstum vielleicht Leitkultur, aber sonst topaktuell, Adolfs 'Friedensrede' vom 17. Mai 1933...
Wie man sieht ist das Thema 'Türkei in der EU' doch ein emotional sehr geladenes Thema. Ich wollte nurmal eben einwerfen, dass ja die Nationalstaatlichkeit insgesamt an Bedeutung verliert (zumindest in Europa).
Siehe hierzu Umbau der EU mit eigenem Diplomatiestatus, mehr Macht und Einflussnahme des europäischen Parlaments usw.
Das sieht man zum Beispiel an dem Urteil des EUGH zum Thema deutsche Tarifautonomie; da hatte der BGH in Karlsruhe mal irgendwie gesagt das diese Gültigkeit hat und der EUGH hat gesagt 'Nö, weil es die freie Preisbildung für Arbeitskraft nach dem Vertrag von Lissabon beschränkt'. Hier wurde direkt die Entscheidung des obersten deutschen Gerichtes revidiert. Ich weiß allerdings nicht wie der aktuelle Stand der Dinge ist, wollte das hier nur mal wertungsfrei anmerken.
keine Angst, ich meine nicht nur Europa damit :-)
besonders, da sie vorher alle lesen konnten
nett, wie hier manche vorgeben, manches über die Türkei zu wissen
Hab mich auch zusammengerissen, uhh, fiel schwer, um nicht zu polemisiern, sondern einfach mal niederzuschreiben, was ich hier so über Türkei und Türken gelernt habe, und ich bin noch lange nicht fertig mit lernen. Es wurde aber alles viel zu lang. So heut erst mal nen Anfang über Atatürk:
Mustafa Kemal Atatürk
Muss einmal Bücher über ihn lesen....
Klar ist er ne Vaterfigur, wie ja sein Name schon sagt (Ata= Vater). Er ist in Selanik (Saloniki) (also in Europa) geboren. Spannend, dass er mit Mao (einer andern Vaterfigur wie auch Castro, Tito, Attila, Chavez (?)...) gemeinsam hat, sich speziell um die Schrift gekümmert zu haben. Mao befahl seinen Soldaten, auf dem langen Marsch jeden Tag ein anderes Schriftzeichen auf dem Rucksack zu befestigen. So lernten sie im Laufe der Zeit alle der tausende chinesischer Zeichen. So kompliziert war die arabische Schrift wohl nicht, man benutzte sie zwar für Verfluchungen, aber für den “normalen” Türken war sie doch zu schwierig (dachte Atatürk). Zudem war das osmanische Arabisch selbst für Araber unleserlich geworden. Um 1927 (?) ersetzte Mustafa Kemal es daher durch lateinische Buchstaben. Die (wenigen) Gebildeten, die das osmanische Arabisch lesen konnten, konnten das bestimmt auch anschliessend noch. Die Wissenschaftler heute? Naja, sie können es auch, genauso wie sie Amharisch, Gagausisch, Volapük und Schweizerdeutsch (zumindest ansatzweise) lesen und verstehen können. Dieses “Osmanisch” war ja wohlgemerkt bloss eine Schrift, keine Sprache, die war wie eh und je Türkisch (am Hof allerdings mit Arabisch, Persisch und Französisch vermischt). Ich denke, die Türken haben Kemals Neuordnung akkzeptiert. Sie hassen die Araber eh (“Ich hasse zwei Dinge, Rassendiskriminierung und Araber”, hehe).
Und kennt ihr der Türken vorislamisches Alphabet (images.google.com.tr/images?hl=tr=lang_de=off=orhun+alfabesi=1921337684=0=1=UTF-8=zbS0S6mNEdSH4gbSpPGADw=X=image_result_group=title=1=0CBkQsAQwAA) ? Zu meinem Erstaunen sieht es eher nach Runen als nach Bismillah aus. Jaja, ich weiss, Runen. Aber ich als Appenzeller bin da unbefangen. Die lateinischen Buchstaben passen einigermassen, zumal das Türkische mit den Vokalassonanzen (soweit ich es beurteilen kann) den Übergang zwischen den vokallosen – dessen letzte Vertreterin dann das Arabische wäre, und den vollausgeschriebenen Schriften darstellt.
Apropos Bismillah: In den hiesigen Wohnungen, Geschäften und Lokalen findet sich an der Wand regelmässig die Trinität der Tafeln Bismillah – Atatürk – Fenerbahçe/Galatastaray/Beşiktaş (je nach Vorliebe) . Alles Götzen, sagt ihr? Und warum beleidigt ihr uns eigentlich andauernd? Was früher die Juden, sind heut die Türken, echt....... (Das mit dem Faschisten hab ich mal net gehört, gell. Wer im Glashaus sitzt.....)(Uhh, jetzt ist doch der Gaul mit mir durchgegangen, komm hibou, Fassung:)
Das altürkische Alphabet ist übrigens aus Mittelasien überliefert, wo es ursprünglich zwei reintürkische “Dialekte” gab: Göktürk und Uigur. Das eine verbreitete sich nach Westen, das andere nach Osten. Dazu noch ne nette Anektdote: Unsere amerikanische Freundin aus Turgutreis wollte mal China sehen. Von der Reise zurück, erzählte sie: ich habs dort mit Amerikanisch versucht – keiner verstand mich. Darauf sprach ich Türkisch – das ging viel besser!
Jetzt bin ich bei der Schreibreform hängen geblieben – demnächst mehr, was ich von Atatürk weiss. Muss dringend n Buch über ihn lesen.
Es geht darum, einen Schwabbelzustand, naemlich das Assoziationsabkommen mit seinem Assoziierungsrat, in etwas festere Formen zu bringen. Ich glaub auch nicht, dass Staaten beleidigt werden koennen.
Es gibt uebrigens auch den Europaeischen Wirtschaftsraum (EWR).
Deshalb gehen die Tuerken da auch rein. Kannst Du Dir deutsche Kinder vorstellen, die Bock auf Tuerkische Lehrplaene haben?
Die Armenienfrage
Parlamente oder deren Ausschüsse haben in mehreren Ländern entschieden, die Tötung von unzähligen Armeniern 1915 (die genannten Zahlen sind inzwischen stark zurückgegangen, aber das ist nicht der Punkt, auch ein Getöteter ist zu viel), solle als “Genozid” bezeichnet werden, und auch die jetztige Türkei müsse das anerkennen. Erste Frage dazu: können Parlamente so etwas entscheiden? Und warum dann nicht in eigener Sache? Hat das Repräsentantenhaus der USA jemals zur Indianerfrage Stellung bezogen? Was meint das schwedische Parlament zum Treiben der Schweden in Estland, Russland und Deutschland gegen Ende des 30-jährigen Krieges? Und hat das Bundeshaus in Bern sich je mit dem schweizer Landsknechtstum befasst? Ach: Frankreich und Algerien etc... Man könnte fast jeden älteren Staat nennen.
Aber wer sonst kann das herausfinden? (Denn wir im Jetzt sind ja alle nicht dafür zuständig und verantwortlich). Meines Wissens soll eine Kommission aus türkischen und armenischen Historikern gebildet werden. Dem hat die armenische Seite bisher nicht zugestimmt.
Nun einige nicht so oft erwähnten historischen Geschehnisse:
Mit der Neuzeit beginnt die Expansion Russlands speziell gegen das Schwarze Meer und den Balkan hin, zu der Zeit also in der Hauptsache gegen das Osmanische Reich und mit dem erklärten Ziell, die Dardanellen zu erobern. Überall schürt Russland (ich meine, wenn ich einen Landesnamen nenne, immer den Fürsten oder die Regierung) unter den christlichen Slawen Aufstände. Massenhaft Muslime fallen dem zu Opfer, sowohl in Makedonien, Serbien, Thrakien, Rumänien, als auch Bulgarien und in vielen Gebieten des Kaukasus (wo die Armenier uraltes Christentum inmitten moslemischer Gebiete verkörpern). Die Kaukasus”frage” ist ja, wie sich an den jüngsten Attentaten in Moskaus Metro zeigt, bis heute nicht gelöst.
Immer und überall haben sich dabei die Armenier auf die russische Seite geschlagen. Selbst die armenischen Bürger des Osmanischen Imperiums kämpften in WKI gegen die Osmanen, ihre eigenen Nachbarn (was hier vor allem die in heftiger Konkurrenz zu ihnen stehenden Kurden meint). Sie kämpften dabei gar nicht selten in russischer oder französischer Uniform. Natürlich wurden sie von den “Türken” (die gerade im Entstehen waren) wiederum bekämpft, natürlich wurden auch Greuel an unbeteiligten Armeniern und Türken verübt (wie immer meist an Frauen und Kindern). Die Türkei (und Deutschland) verlor den Krieg. Enver Pascha floh nach Berlin. Die Griechen, die den Gegner geschwächt meinten, fielen mit Heeresmacht in Izmir und Westanatolien ein und drangen bis kurz vor Ankara vor, ehe sie geschlagen aus dem Land fliehen mussten. Im weiteren Verlauf fand ein Austausch der jeweiligen “gegnerischen” Bevölkerungen statt, und so haben wir hier leider nur noch wenige Griechen und auf Kreta verstecken sie Munition in den Bienenstöcken, falls “der Türke” kommt. (Erinnern Sie sich noch an “den Iwan”?). Wer hat in dem Falle also Schuld? Nein nein, nicht die Griechen, wie Sie sagen, denn auch deren Verhalten hatte wiederum einen Grund, und auch da gab es Ursachen, und so kommen wir bis zu Kain und Abel zurück.
Der Vertrag von Sèvres wird genannt. Wilon, Präsident der siegreichen USA fordert in der nach ihm benannten Doktrin ein einheitliches Staatsgebiet für jede Ethnie. So wurde ein unabhängiges Kurdistan beschlossen. So fingen aber auch die unsäglichen Teilungen an, die bis heute fortdauern. Wilson wird weise, Atatürk aber ein Faschist genannt..... Wer weiss noch, wieviele Menschen im Verlauf der Teilung in “Indien” und “Pakistan” niedergemetzelt wurden? Es dürfte sich um Millionen handeln. Was ist mit dem Balkan passiert, was mit den baltischen Ländern? Seitdem also, seit nunmehr fast hundert Jahren, wird der Osten der Türkei schraffiert und damit unverfroren als Kurdistan bezeichnet, genauso wie einst - “Dreigeteilt?, niemals!” -Schlesien schraffiert war. Was würden die USA wohl meinen, wenn ihr Süden schraffiert in den Farben der Latinos dargestellt würde? Es ist eine subtile Form der Gewalt.
Was ist mit Hrant Dink? Der armenische Journalist wurde vor einigen Jahren in Istanbul auf offener Strasse niedergeschossen. Nun ja. Wer es wohl war? Ich denke, die Polizei. Was ist mit Erdoğans Drohungen gegen die illegalen armenischen Arbeiter?. Zu Erdoğan komm ich noch....
Atatürk aber erkämpfte den nachfolgenden Vertrag von Lausanne, welcher den von Sèvres ersetzte und den Türken viel gibt (Klasse verhandelt. Natürlich wurde u.a. auch der gesamte arabische Teil des Imperiums aufgegeben. Hatten die Araber nicht mit dem Feind, den Briten, gekämpft?) Die Resttürkei, die entstehende Türkische Republik, ist noch immer ein riesiges Land und noch immer eines der wenigen multiethnischen Länder, bestehend aus Türken, Lasen, Tscherkessen, Tataren, Kurden, Arabern und einigen wenigen Griechen.
Recep Tayyip Erdoğan
Durch Wahlen zur Macht gekommen, das stimmt. Aber gehört zu freien Wahlen nicht auch freie Information? Und Erdoğans Verhältnis zur Presse ist ja bekannt. Erdoğan und Familie bereichern sich (muss ich das beweisen?). Die meisten Mächtigen hier bereichern sich. Erdoğans Vorgeschichte will ich hier auch nicht wiederholen, welche Gedichte er zitiert, etc. pp.
Die Affäre Ergenekon ist Fake durch und durch, bloss nicht witzig (die europäischen Zeitungen schrieben jüngst in schönster Freud’scher Verschreibung: Energekon), da viele der Intellektuellen vermutlich seit Monaten und Jahren unschuldig im Gefängnis sitzen und zum Teil versterben. Das Erdoğan unter der Knute der USA steht, ist auch ohne Zweifel positiv zu verifizieren. Achtung (auch für Karzai): Die USA killen oft ihre Puppen!
Sein Verhältnis zum Glauben spiegelt sich in seiner Verehrung für Fetullah Gülen und dessen “Geheim”Gesellschaft, (Gülen lebt übrigens seit Jahren in den US) und seiner Verwicklung in die dubiose Spendenaffäre Deniz Fener (Milli Görüş)
Die Kontroversen mit Israel (“One minit, Mister President!” in Davos – bitte bei youtube mal “Davos” eingeben) und die Parteinahme für die Araber sind – nun nach meiner persönlichen Einschätzung – auch ein Fake. Mal sehen, ob ich recht habe.
Sehr rätselhaft Erdoğans stetiges Streben nach Aufnahme des Landes in die EU. Warum nur? Er hat doch die USA. Ah, die wollen (wollten) es.... Deutschland und Frankreich lehnen das ab – und doch haben sie nichts gegen Receps “Reformen” einzuwenden, ja die Öffentliche Meinung von Berlin bis Amman sieht ihn geradezu positiv..... Dabei ist er schlimmer als Berlusconi, sein Männerfreund. Oder habt ihr Tayyip mal lächeln sehen?
Lieber hibou,
drei sehr interessante Kommentare von Dir. Danke. Im Großen Ganzen sehe ich die Türkei wie Du - so weit ich es beurteilen kann - denn Deine Kenntnisse sind präziser als meine.
Es wird so viel über die Türkei daher gequatscht, dass es die Sau graust (in diesem Fall eher die Lämmer). So viele fühlen sich berufen, eigenen Senf abzusondern, mal bar jeder Ahnung oder xenophob oder Islamisten-Agitation. Etwa von SvenM, Zelotti und nun gar von Aliens: "Mustafa Kemal war keinen Punkt besser oder wesentlich anders als Mussolini oder Franco. Leider hat man ihn und sein Gedankengut zu lange mit Waffengewalt der Bevölkerung aufoktoriert....." oder: "Er (Atatürk) hat der türkischen Nation ihre ganze osmanische Geschichte geraubt, ein Kulturverbrechen, indem er den Gebrauch und die Lehre der arabischen Schrift und Sprache, somit auch des osmanischen, bei Strafe untersagte."
Am besten gefiel mir mustermanns Frage: "Auf welchem Planeten lebt Herder?" Üm Hümmel, würde der gebildete Türke ihm antworten.
Liebe Grüße auch von meiner Lieblingsköchin. Du sprichst ihr aus der Seele.
weinsztein
Deine Menschenkenntnis geht
gegen Null ...