Das ist eine neue Erfahrung für die so gern weisungsbefugte deutsche Außenpolitik. Wer jahrzehntelang Russland nicht zugesteht, legitime sicherheitspolitische Interessen zu haben, dem fehlt die Übung, wenn die eigene Führungsmacht dergleichen geltend macht und sich daraus Differenzen ergeben. Denn soviel dürfte sicher sein, der USA-Russland-Gipfel dient dazu, Vorstellungen Donald Trumps zu genügen, die auf eine neue Balance zwischen maßgeblichen weltpolitischen Polen zielen – den Vereinigten Staaten, China, Russland, relevanten asiatischen Playern (Japan und Südkorea) sowie der EU –, ohne dass dabei überkommene Bündnisbeziehungen den Ausschlag geben.
Donald Trump hat mit seinem Aktionismus während des NATO-Gipfels in Brüssel und beim Besuch Großbritanniens zu erkennen gegeben, dass da nicht nur ein irrlichternder Narziss unterwegs ist, sondern ein Präsident, der seine Agenda so undiplomatisch wie möglich und so unbeirrbar wie nötig verfolgt. Sie besteht zunächst einmal darin, Auslandsreisen für den maximalen innenpolitischen Ertrag auszuschlachten. Zugleich aber sollen den USA unter seiner Führung neue globale Spielräume und eine Unabhängigkeit verschafft werden, die einen nur auf das eigene Land bezogenen Vorteil sichern. Für den Umgang mit dem vorhandenen westlichen Bündnissystem gilt das Kriterium: Inwieweit ist es dabei von Nutzen und wann ein Störfaktor?
Die NATO musste daher vor Tagen beim Gipfel in Brüssel ein politisches Scherbengericht über sich ergehen lassen und hat an Gewicht verloren. Die Europäische Union wird mit dem von der Trump-Administration angefachten Handelskonflikt als Feind ins Visier genommen, der nicht minder heftig attackiert wird als China.
Unter Verdacht
Derartige Begleitumstände können dazu führen, durch den Helsinki-Gipfel das Verhältnis mit Russland zu entkrampfen, vom persönlichen Einvernehmen zwischen beiden Präsidenten einmal abgesehen, das zweifellos vorhanden ist, wie sich der kurzen Begegnung während des Hamburger G20-Treffens vor gut einem Jahr entnehmen ließ.
Schließlich musste man lange warten auf dieses Treffen. Was nicht Russland zu verantworten hat, sondern vorrangig den innenpolitischen Zwängen geschuldet ist, die Trump daran gehindert haben, eine auch nur vom Ansatz her konsistente Russland-Politik zu betreiben. Wie sollte das auch anders sein, wenn dieser Präsident permanent unter Verdacht steht, seinen Wahlsieg im November 2016 dem russischen Geheimdienst zu verdanken? Daran hat sich bis zur Stunde wenig geändert, von den anderen Konditionen her schon.
So gibt es Entwicklungen in Syrien, die das Verhältnis zwischen den USA und Russland positiv beeinflussen dürften. Offenbar haben russisch-israelische Sondierungen dazu geführt, dass der Part des Iran im Nachkriegssyrien eingeschränkt werden soll. Mutmaßlich hat auch die Entspannung zwischen den USA und Nordkorea den Weg nach Helsinki geebnet. Bei der Ukraine-Frage wird Trump für Putin ein Partner sein, mit dem sich eher Kompromisse aushandeln lassen als mit der deutschen Kanzlerin und ihrer dogmatischen Bindung an die nationalistische Regierung in Kiew. Es könnte die Basis für ein Agreement sein, dass Trump legitime Sicherheitsinteressen Russlands in diesem Konflikt zur Kenntnis nimmt oder sogar anerkennt. Putin könnte im Gegenzug einer Blauhelm-Mission der UNO mit unbeschränkter Bewegungsfreiheit in der Ostukraine zustimmen.
Volatile Bündnisse
Werden bei alldem westliche Werte verraten, wie seit dem Wochenende in Berlin geraunt wird? Von Leuten im Übrigen wie Außenminister Maas und seinem Staatsminister Annen, die bisher einsilbig, um nicht zu sagen stumm bleiben, wenn humanitäre Minimalstandards durch die EU- und die deutsche Flüchtlingspolitik geschreddert werden.
Wer den Zeitgeist versteht, wird sich des Eindruck nicht erwehren können, dass allenthalben neue Allianzen, Zweckgemeinschaften und volatile Bündnisse auftauchen. Sie reflektieren, dass die tradierten Lager und das darauf fußende Lagerdenken vorerst ausgespielt haben. Und das nicht nur weil in Washington ein Präsident wie Donald Trump regiert. Die Frage wird sein, ob seine Orientierung auf eine multipolare Welt mit dem Hang zu einer unilateralen Politik kompatibel ist.
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