In seinem Gedicht Bei der Nachricht von der Erkrankung des mächtigen Staatsmannes schreibt Bertolt Brecht, "wenn der unentbehrliche Mann stirbt, schaut die Welt sich um, wie eine Mutter, die keine Milch für ihr Kind hat. Wenn der unentbehrliche Mann eine Woche nach seinem Tode zurückkehrte, fände man für ihn nicht mehr die Stelle eines Portiers ..." Diese Prophezeiung dürfte sich bei Fidel Castro nicht erfüllen, er misstraut dem Zufall und lässt seinen Abgang seit August schon einmal durchspielen. Und siehe da, der krankheitsbedingte Rückzug aus allen Amtsgeschäften hat Cuba nicht aus der Balance gebracht. Jedenfalls ist nichts dergleichen bekannt, nicht einmal die im Westen so gern überschätzte Opposition rührt sich, auch wenn kaum zu bezweifeln ist, dass der Übergang in eine post-castristische Ära begonnen hat. In einem Interview mit Ignacio Ramonet, dem Direktor von Le Monde Diplomatique, hatte Castro vor Jahresfrist erklärt, die Revolution als das Werk von inzwischen vier Generationen könne nicht von außen, sondern nur durch sich selbst zerstört werden. Womit er zugleich andeutete, sie werde unabhängig von seinem Schicksal Bestand haben.
Über die Frage, ob und warum es für Cubas Sozialismus ein Überleben nach Castro geben kann, wird bekanntlich hierzulande recht viel und leider recht unqualifiziert spekuliert und schwadroniert. Wer Antworten darauf mit etwas mehr Kompetenz und weniger Wunschdenken ausstatten möchte, sollte das Buch von Waltraud Hagen und Peter Jacobs Fidel Castro - Eine Chronik lesen. Eine durchaus unterhaltsame Exkursion durch ein revolutionäres Leben, bei der sich die Autoren weniger als Richter denn als Sachverständige empfehlen - sie erzählen ausführlich, beobachten viel, urteilen in Maßen und verdammen nie. Der Leser spürt schon in den ersten Kapiteln, hier wollen Zeitzeugen als Zeitgenossen gehört werden, denen der Zeitgeist nicht die Sinne trübt, auch wenn er sie nicht vollends unbehelligt lässt.
Natürlich denkt man unwillkürlich, wird angesichts der vielen Castro-Biografien eine weitere gebraucht? Diese allerdings wird sogar dringend gebraucht - dem 80. Geburtstag des Comandante en Jefe am 13. August 2006 gewidmet, überzeugt sie durch das Bemühen, die Vita des Revolutionärs ausnahmsweise einmal vorurteilsfrei, ausgesprochen sachkundig, dabei episodenreich und nicht als Chronique scandaleuse zu schildern. Eine biografische Reportage, die mit kritischer Sympathie den Lebenslinien eines charismatischen Caudillos folgt, der "in seiner ganzen Widersprüchlichkeit dennoch die meisten politischen Gestalten seiner Zeit" (Jacobs/Hagen) überragt. Nach all der üblen Nachrede, der sich Castro im deutschen Cuba-Diskurs bis in die Linkspartei hinein ausgesetzt sieht, überzeugen Wille und Mut der Autoren, eine Persönlichkeit wie die Castros aus ihrer Zeit heraus erklären zu wollen und ihr dadurch so etwas wie historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. So wird mit einem Menschen- auch das Zeitalter besichtigt. Man braucht sich schließlich nur vor Augen zu halten: Als die siegreichen Rebellen aus der Sierra Maestra am 8. Januar 1959 in Havanna einzogen, regierte in Washington noch der Republikaner Dwight Eisenhower und in Moskau der KPdSU-Generalsekretär Nikita Chrustschow, der mit dem ungestümen Elan der cubanischen Revolutionäre zunächst nicht viel anfangen konnte. Hagen/Jacobs erinnern zu Recht daran, wie die imperiale Arroganz der USA gegenüber dem zur sozialen Revolution entschlossenen Cuba dazu führte, den Wandel auf der Karibikinsel zu radikalisieren. Bereits am 19. Oktober 1960 verhängte die US-Regierung den bis heute aufrechterhaltenen ökonomischen Totalboykott, erst am 16. April 1961 verkündete Castro nicht zuletzt unter dem Eindruck des CIA gesteuerten Invasionsversuchs in der Schweinebucht den sozialistischen Charakter der cubanischen Revolution - danach erst begann die Fühlungnahme mit der Sowjetunion.
Aufschlussreich, wie die Verfasser das "magische Dreieck" der Castro-Brüder und Che Guevaras für die "pränatale Revolutionsphase" beschreiben: "Ohne Ernesto Guevara wäre Fidel Castro vielleicht niemals Kommunist geworden. Ohne Fidel Castro wäre Ernesto Guevara möglicherweise nicht mehr gewesen als ein marxistischer Theoretiker, ein idealistischer Intellektueller." Und Raúl Castro, so wird ein ehemaliger Mitkämpfer zitiert, sei "Fidel mal zwei in Energie, Starrheit und Charakter." Eines bleibt vom Subtext dieses Buches besonders haften: Fidel Castro war und ist wohl einer der letzten großen Idealisten einer verlorenen Zeit, der sein Sendungsbewusstsein bis zur Hybris steigern konnte. Ein Mann mit strengen Gewohnheiten und ungestillten Sehnsüchten, der in einem Gespräch mit dem kolumbianischen Schriftsteller Gabriel García Márquez einmal davon träumte, es möge seinen Wissenschaftlern gelingen, ein wirksames Mittel gegen Krebs zu finden. Für die cubanische Revolution entfaltete er in den kritischsten Phasen seine größte Tugend, den Willen, sich gerade dann zu behaupten, wenn es besonders aussichtslos erscheint. Inwieweit er damit für das kommende Cuba ein Vermächtnis begründet hat, um Würde und Souveränität und fast 50 Jahre Revolution zu verteidigen, wird sich zeigen.
Waltraud Hagen/Peter Jacobs; Fidel Castro - Eine Chronik. Verlag neues leben, Berlin 2006, 12,90 EUR
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