Um Gottes willen

EU-Gipfel Was Brüssel bisher bietet, ist gut für die Banken und schlecht für Länder, die Geld brauchen und nun wissen, dass sie ihre Bürger schröpfen müssen, um es zu bekommen

Sicher, oberflächlich betrachtet sollte dieser Gipfel wieder einmal den Euro retten. Tatsächlich aber war darüber zu entscheiden, ob EU-Staaten stärker als je zuvor in die Abhängigkeit einer Finanzoligarchie geraten, deren Kreditprivileg staatliche Souveränität beschneidet. Gemessen an dieser Frage hat in der Nacht vom 8. zum 9. Dezember die Europäische Union als Bürgerunion endgültig ausgesorgt. Sie hat sich als kollektives Mündel ihrer Gläubiger definiert. Dafür bezahlen werden die Bevölkerungen, nicht allein in den hochverschuldeten Staaten. Nur wenn die ihren Tribut leisten, können Haushaltsdogma und Schuldenbremse durchgesetzt werden. Eine Fiskal-Union ohne Sozialunion kann nur so funktionieren. Darüber sollte man sich im Klaren sein, wenn gefragt wird, welchen Sinn und Zweck dieses vereinte Europa noch hat.

Vor dem Schalter

Da erscheint es fast zweitrangig, wenn sich Großbritannien verweigert. Schwerwiegender als die staatliche ist eine soziale Desintegration Europas. Mit Super-Maastricht – so es denn in Vertragsform gegossen wird – unterwerfen sich ganze Gesellschaften den Rendite-Zielen von Banken und anderen Finanzinvestoren. Um Gottes willen als zahlungsfähig angesehen werden, lautet künftig das alles beherrschende Gebot jeder Wirtschafts-, Sozial- und vor allem Fiskalpolitik. Wem dieses Zertifikat bestritten wird – und auf die Rating-Agenturen als Frühwarnsystem der Banken wird hundertfünfzigprozentig Verlass sein –, der muss gegensteuern oder mit Strafe rechnen. Was kann da anderes übrig bleiben, als Steuern anzuheben, staatliches Eigentum und nationale Ressourcen zu privatisieren, Sozialausgaben zu kürzen, Subventionen zu streichen und auf Konjunkturpakete zu verzichten, die in ökonomisch schweren Zeiten helfen können? Regierungen werden zu Bankkunden und stehen vor jenem Schalter, hinter dem sich der Daumen hebt oder senkt. Ihre Finanziers können ihnen jederzeit die Instrumente zeigen und an der Zinsschraube drehen. Eine EU-Mehrheit hat sie mit Super-Maastricht dazu autorisiert.

Keine der klassischen Funktionen des bürgerlichen Nationalstaates – über die Geldmenge zu entscheiden, Steuern zu erheben und von Regierungen geführt zu werden, die von demokratisch legitimierten Parlamenten gewählt wurden – bleibt davon unberührt. Das Wohl des Finanzsektors entscheidet, was gilt oder ausfällt. Wer das bestreitet, halte sich die Tatsache vor Augen, dass nur wenige Stunden vor dem Brüsseler Gipfel die EZB den Leitzins noch einmal von 1,25 auf 1,0 Prozent gesenkt und die Banken großzügig mit frischem und sehr billigem Geld verproviantiert hat. Rückzahlbar erst in 36 Monaten – derart lange Laufzeiten hat es für Finanzspritzen dieser Art seit Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 und ihrer Verlängerung durch die Eurokrise 2010 nie gegeben. Halbiert hat die EZB auch die Mindesteinlage, die Banken als Kreditnehmer bei ihr hinterlegen müssen. Sie liegt gerade noch bei einem Prozent der in Anspruch genommenen Mittel.

Schuldenbremse braucht Zeit

Da bei Super-Maastricht nun doch von einem neuen Vertrag und keiner Protokollnotiz zu geltenden Abkommen die Rede ist, rücken nationale Zustimmungsverfahren ins Blickfeld. Das kann Zeit kosten. Selbst Referenden, denkt man an Irland, scheinen nicht ausgeschlossen, auch wenn Merkel und Sarkozy auf intergovernmentale Abkommen statt europäischer Verträge setzen. Schließlich steht nichts weniger als die Haushaltssouveränität zur Disposition. Eine nationale Schuldenbremse kann normalerweise nicht von Brüssel aus dekretiert werden. In Deutschland fußt sie auf einer Abstimmung des Bundestags vom 29. Mai 2009, die sich immerhin auch auf notwendige Verfassungsänderungen bezog. Schwer vorstellbar, dass angesichts der nationalen Gesetzeslage und unter dem Eindruck einer sich für 2012 abzeichnenden Rezession die Brüsseler Gipfel-Vorlage bei allen 23 EU-Staaten mit großer Leichtigkeit die verfassungsrechtlichen Hürden nimmt. Dem Rettungsobjekt Euro wird das anzumerken sein.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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