Und plötzlich ist alles vorbei

Euro-Verträge Angenommen, das Bundesverfassungsgericht verwirft den dauerhaften Europäischen Rettungsschirm ESM – was passiert dann? Ein Ausblick auf drei Szenarien
Ein Tableau der unbegrenzten Möglichkeiten ist es nicht
Ein Tableau der unbegrenzten Möglichkeiten ist es nicht

Foto: Illustration Otto für der Freitag

Am 12. September fällt die Entscheidung. Verwirft das Bundesverfassungsgericht den dauerhaften Europäischen Rettungsschirm ESM als nicht verfassungskonform, ist der Euro zwar nicht endgültig gescheitert – der nächste Akt der Euro-Rettung aber sehr wohl. Der ESM-Vertrag kann nur in Kraft treten, wenn 90 Prozent der dafür vereinbarten Kredite und Kreditbürgschaften von 700 Milliarden Euro gesichert sind. Ohne den deutschen Beitrag von 27 Prozent dieser Mittel wird der ESM ein frommer Wunsch bleiben. Was dann? Drei Varianten für mögliche Reaktionen zeichnen sich ab, die im folgenden getrennt voneinander behandelt werden. Es geht um die Simulation von Möglichkeiten, die aber im „Ernstfall“ niemals allein in Betracht kämen, sondern miteinander verschränkt sein dürften.

Mehr Geld auf die Finanzmärkte werfen!

Die Europäische Zentralbank (EZB) zieht alle Register, kauft weiter auf Gedeih und Erwerb Staatsanleihen und nimmt wenig Rücksicht auf die Geldwertstabilität. Bisher gelten damit verbundene Inflationsrisiken wegen der Rezession als gering – das kann sich ändern. Die EZB hat bereits in Größenordnungen griechische Staatspapiere vom Markt geholt, um den Zinsdruck für Athen merklich zu dämpfen. Sollte der ESM nicht verfügbar und zugleich der bisherige Krisenfonds EFSF (Restmittel: 250 Milliarden) erschöpft sein, wäre diese Praxis auch bei Italien denkbar, das noch in diesem Jahr Schulden von 327 Milliarden Euro refinanzieren muss. Dann jedoch würde an einem nochmaligen Zuwachs der Geldmenge in der Eurozone kein Weg vorbeiführen. Ebenso wenig an einem weiteren Fall des Leitzinses der EZB.

Dabei sind Augenmaß und Vorsicht geboten – viel billiges Geld erleichtert nicht nur das Schulden-Tilgen, sondern auch das Schulden-Machen. Der Vergleich mit der US-Notenbank Fed drängt sich auf. Dieses Institut ist nicht allein der Geldwertstabilität verpflichtet, es soll Konjunkturpolitik betreiben. Muss die EZB für einen gescheiterten ESM einspringen, wird sie der Versuchung erliegen, genau das zu tun.

Die Risiken einer wachsenden Geldmenge liegen auf der Hand. Gehälter, Renten und Spareinlagen könnten an Kaufkraft und damit an Wert verlieren. In Deutschland trifft dies auf die traumatische kollektive Erfahrung von drei Währungsreformen in einem Jahrhundert – 1923, 1948 und 1990. Wer glaubt, die Notenpresse der EZB als Schuldentilgungs-Maschine anwerfen zu können, wird das auf Dauer weder politisch noch sozial beherrschen.

Fazit: Die EZB kann einen Ausfall des ESM kurz- bis mittelfristig kompensieren – ersetzen kann sie ihn nicht.

Haftungsunion ohne Wenn und Aber!

Entfällt eine kollektive Kredite-Vergabe und -Haftung durch den ESM, schließt das andere Formen einer Haftungsunion nicht aus. Im Gegenteil – die könnten über Sein oder Nichtsein des Euro entscheiden. Wie im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland liefe eine europäische Haftungsunion auf einen Länderfinanzausgleich hinaus, der jedoch in der Eurozone unter völlig anderen Umständen zustande käme. Während das deutsche System gerade verhindern soll, dass Bundesländer abgehängt werden und ins Schuldenloch fallen, ist das innerhalb der europäischen Währungsgemeinschaft bekanntlich bereits geschehen.

Um hoch verschuldeten Euroländern dennoch Wachstumspotenzial zu erhalten, wären deshalb Eurobonds und/oder ein Schuldentilgungsfonds aller Eurostaaten denkbare Spielarten eines europäischen Länderfinanzausgleichs. Durch eine solche Haftungsunion würde die Eurozone vorübergehend noch mehr, als das heute schon der Fall ist, in Geber- und Nehmer-Länder zerfallen. Die Merkel-Doktrin – Hilfe erhält nur, wer sich harten Sparauflagen und externer Haushaltskontrolle beugt – wäre passé.

Es darf bezweifelt werden, dass eine solche Haftungsunion in den Berliner Regierungsparteien durchsetzbar ist. Die Regierung Merkel dürfte stattdessen versuchen, den bisherigen Krisenfonds EFSF als temporären Rettungsschirm weiterzuführen. Dessen Aufstockung wäre unumgänglich, was zu schwierigen, vermutlich zeitraubenden Verhandlungen der Eurostaaten führen dürfte. In Deutschland müsste zudem der Bundestag zustimmen.

Fazit: Ein Ausfall des ESM könnte Katalysator für eine Haftungsunion sein, die aber am deutschen Veto scheitern dürfte.

Die Eurozone teilen oder auflösen!

Ob bei einem Ausfall des ESM einzelne Länder wie Griechenland den Währungsverbund verlassen, ob die Aufteilung in eine Nord- und eine Süd-Eurozone erfolgt oder sich die Währungsgemeinschaft überhaupt auflöst – darüber kann nur spekuliert werden. Was auch geschieht, eines gilt auf jeden Fall: Ein verändertes Währungssystem führt zu anderen Wechselkursen. Ein möglicher Nord-Euro oder eine zurückkehrende DM würde einem erheblichen Aufwertungsdruck unterliegen, da andere Ex-Euro-Staaten allein oder als Gruppe ihre Währungen abwerten dürften. Davon wären besonders die deutschen Ausfuhren betroffen, die derzeit zu 60 Prozent in der EU, zu 13,7 Prozent in Asien (allein 6,1 Prozent in China) und zu fast 14 Prozent in Nordamerika abgesetzt werden. Ohne die Eurozone im Rücken wäre Deutschland wieder als Einzelgänger in Wirtschaftsräumen unterwegs, in denen der integrative Trend unverkennbar ist: Sowohl bei den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) als auch bei den NAFTA-Ländern USA, Kanada und Mexiko – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Doch auch den Finanzmarkt wird eine schrumpfende oder aufgegebene Eurozone in Aufruhr versetzen. Danach wäre der Interbanken-Verkehr erst recht gestört, würden benötigte Unternehmenskredite verteuert und getätigte Unternehmensinvestitionen schwer zu refinanzieren sein – von den Folgen für die Kreditaufnahme des Staates ganz zu schweigen. Schon diese Erstrunden-Effekte eines Rollback der DM brächten wahrscheinlich schwere wirtschaftliche Verwerfungen.

Fazit: Ebenso wie eine Inflation würde ein Euro-Crash auf eine soziale Enteignung hinauslaufen, die alles übertrifft, was bisher schon durch den eingeschlagenen Weg der Euro-Rettung an sozialen Besitzständen zerstört wurde.

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