Und sie tun es doch

Truppenaufstockung Verteidigungsminister Guttenberg will bei der künftigen Stärke der Bundeswehr in Afghanistan „nichts ausschließen". Auch der Außenminister klingt plötzlich anders

Wie nicht anders zu erwarten, hat sich der deutsche Außenminister kurz vor der Londoner Afghanistan-Konferenz, prinzipiell bereit erklärt, mehr eigene Soldaten zu entsenden. Wie das auch immer bemäntelt wird, all die populistischen Attitüden zum Jahreswechsel, als Guido Westerwelle sogar einen Boykott des Londoner Treffens nicht ausschließen wollte, wenn zivile Wiederaufbau-Optionen dort zu kurz kämen, haben sich erledigt. Dabei könnte er seine Drohung mit dem leeren deutschen Stuhl in diesem Augenblick erneuern. Richard Holbrooke, US-Sonderbotschafter für Afghanistan und Pakistan, hat gerade zu verstehen gegeben, dass er nicht gedenke, in London über die US-Strategie zu diskutieren – die stehe fest. Und über deren militärischen, nicht zivilen Charakter dürfte es keinen Zweifel geben. Die Amerikaner haben damit begonnen, 30.000 Soldaten zusätzlich nach Afghanistan zu schicken. Und das für mindestens 18 Monate. Sie entsenden weder Lehrer, noch Brunnen- und Straßenbauer noch Mediziner oder Polizei-Ausbilder, sondern Soldaten in Kampfformationen, die den klaren Auftrag haben, die Aufständischen in den so genannten strategischen Provinzen Afghanistans an der Grenze zu Pakistan aufzureiben oder auszuschalten.

Alle Exitstrategien, wie sie auch immer terminiert werden, sind Schall und Rauch, wenn Pakistan "talibanisiert" oder über das bisherige Maß hinaus "islamisiert" wird. Die USA und die NATO können ihre Militärpräsenz nur reduzieren, wenn Pakistan kein Sicherheitsrisiko bleibt, sondern in ihrem Sinne zum Sicherheitsgaranten wird. Wie das gelingen soll und ob das gelingen kann, ist völlig offen und von widersprüchlichen Umständen abhängig. Um ein Beispiel zu nennen, eine den Taliban und ihren Verbündeten in Afghanistan möglicherweise beigebrachte strategische Niederlage gefährdet eine strategische Partnerschaft des Westen mit Islamabad. Pakistan ist Schutz- und Gegenmacht der Taliban in einem, von dort kommen sie her und dorthin ziehen sie sich zurück. Man wird solch ambivalente Partner wie die Regierung, Armee und die Geheimdienste Pakistans auch bei einem – wann und wie auch immer gearteten – Teilabzug der Besatzungstruppen aus Afghanistan im Auge behalten wollen. Und wie sollte das anders geschehen als über ein System von Militärbasen? Die USA und die NATO sind einfach zu lange und zu einem hohen Preis am Hindukusch, um diesen Raum vollends zu räumen und aufzugeben. Die westliche Allianz würde einen Prestigeverlust sondergleichen hinnehmen müssen, käme nach ihr die islamistische Sintflut. Nur noch Makulatur wäre die 1999 beschlossene neue Strategie, mit der sich die NATO zur globalen Sicherheitsagentur des Westens in strategischen Einflusssphären erklärt hat. Und Zentralasien mit den großmächtigen Anrainern China, Russland und Indien – ausnahmslos Atommächte wie Pakistan – gehört zu diesen strategischen Regionen.

Ein deutscher Außenminister, der auf der Höhe seines Amtes ist, sollte dieses Koordinatensystem der von ihm mit regierten Republik nicht vorenthalten. Es könnte hilfreich sein, einen Sinneswandel in Sachen Truppenaufstockung zu begründen. Natürlich auch Wähler kosten. Aber wo steht geschrieben, dass – wer sich in politische Verantwortung begibt – für seinen Populismus nicht büßen darf?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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