"Freude schöner Götterfunken" wurde im Louvre intoniert, als am 7. Mai 2017 feststand, dass Emmanuel Macron beim Stechen um die französische Präsidentschaft Marine Le Pen geschlagen hatte. Schillers Beschwörung von Verbrüderung und Versöhnung als Menschenwerk schien dem Sieger zunächst angemessener als Rouget de l'Isle's „Allons enfants de la Patrie. Le jour de gloire est arrivé!“ Erst nach der „Ode an die Freude“ war an jenem Wahlabend die Marseillaise zu hören. Erst die Erbauung, dann die revolutionäre Versuchung, wenn überhaupt.
Was hat es gebracht, den Augenblick des Triumphs mit Beethoven und Schiller zu verklären? Macrons "Zauber" hat bisher nicht zu binden vermocht, „was die Mode streng geteilt“. Die Prophezeiung „alle Menschen werden Brüder“ blieb erst recht ein frommer Wunsch. Frankreich ist davon unter diesem sozialliberalen Präsidenten mindestens soweit entfernt wie unter dem sozialdemokratischen Vorgänger, was die Demonstrationen am Wochenende in Paris und anderswo gezeigt haben. Von den Streiks und Universitätsbesetzungen ganz zu schweigen. Zehntausende werfen Macron vor, Präsident der Reichen zu sein und den französischen Sozialstaat in ähnlicher Weise zurichten zu wollen, wie das mit dem deutschen nach 1998 unter der rot-grünen Koalition und dem Kanzler Schröder mit den Hartz-IV-Gesetzen geschehen ist.
Macron und Hollande
Mit seinen Sozialreformen vom Arbeitsrecht bis zur Steuer- und Bildungspolitik, nicht zuletzt dem angestrebten Umbau des Staatskonzerns SNCF, hält Macron Wort – und spaltet die Gesellschaft. Durchaus möglich, dass er in eine soziale Konfrontation driftet, aus der er nicht als Sieger hervorgehen kann, auch wenn er muss. Was sonst? Als tragikomische Figur war Hollande einfach zu gut, um von Macron übertroffen zu werden.
Insofern erlebt Frankreich eine Präsidentschaft der ungedeckten Wechsel, was allerdings nicht allein seinem Staatschef anzulasten ist. Dass seine bereits im September 2017 proklamierten EU-Reformen dank deutscher Ambivalenz und Blockade in einer Warteschleife verkümmern und bestenfalls als Torso überleben, zeugt von den Kräfteverhältnissen in der EU. An denen vermag Macron nicht viel zu ändern. Sicher könnte er sich in einem Anfall von Übermut oder Verzweiflung dazu aufraffen, die Hinhaltepolitik der deutschen Kanzlerin mit vehementer Kritik zu bedenken. Nur würde das so gar nicht zu den eingeübten Ritualen des deutsch-französischen Verhältnisses passen und deren suggestiven Botschaften für die EU. Macron wäre in Berlin schnell nach unten durchgereicht und zum Verlierer gestempelt, der nicht wahrhaben will, worin die Wahrheit besteht: Als Herold einer gesicherten europäischen Zukunft mit einem stabilen Euro hat er ausgesorgt, wenn ihm Merkel die Gunst entzieht.
Mantra und Manie
Ein ungedeckter Wechsel sind gleichsam die imperialen Aufwallungen, mit denen Macron vor Wochen eine Koalition der Willfährigen mit den USA und Großbritannien suchte, um Syrien einen Militärschlag zu versetzen. Es wurde der Eindruck erweckt, wenn der Westen geschlossen handelt, ist das besonders Paris zu verdanken. Wie es um die Ge- oder Entschlossenheit dieser Front des Interventionismus tatsächlich bestellt ist, ließ sich kurz darauf Macrons Besuch in Washington entnehmen. Er konnte Trumps strikten Willen, das Atomabkommen mit Iran zu entsorgen oder die EU mit Strafzöllen zu disziplinieren, nicht im Geringsten erschüttern.
Zweifel am Standing einer europäischen Führungsmacht hat das vor allem deshalb genährt, weil nicht absehbar ist, ob und wie dieser Vertrag mit Teheran verteidigt werden soll. Macron hat so oft die Souveränität der EU oder auch Europas beschworen, dass es vom Mantra zur Manie wurde. Wer die in einem solchen Moment nicht geltend macht, wirkt nicht eben glaubwürdig. Noch ein ungedeckter Wechsel, muss man leider konstatieren.
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