Die Väter der Entscheidung

Syrien Der Westen hat den Syrien-Konflikt solange geschürt, bis daraus ein globaler Konflikt wurde, dem weder die USA noch die EU gewachsen sind. Eine der Folgen heißt Aleppo
Ausgabe 50/2016
Sinnbild für Kriegsgräuel: Aleppo
Sinnbild für Kriegsgräuel: Aleppo

Foto: George Ourfalian/AFP/Getty Images

Große Schlachten können, müssen aber keinen Krieg beenden. Die um Aleppo ist geschlagen, Syrien damit nicht befriedet, wie die Nachrichten aus dem erneut umkämpften Palmyra zeigen, gegen das der Islamische Staat (IS) Material und Mannschaften aufbietet, als wollte er all die Experten Lügen strafen, die seinen unabwendbaren Niedergang prophezeien.

Ungeachtet dessen hat die Assad-Armee in Aleppo einen Sieg errungen, der in seiner Symbolik weit über diese Stadt hinausgeht. Die USA, die EU, die Golfstaaten und die Türkei waren seit 2011 in einer globalen Front vereint, um das Baath-Regime unbedingt zu stürzen. Und sei es durch Kollaboration mit Islamisten, die sonst in Europa und Nordamerika als Terroristen verfolgt werden. Worauf sie nicht eingestellt waren, damit eine globale Konfrontation auszulösen. Nur davon – nichts sonst – muss die Rede sein, seit sich Russland als Alliierter Baschar al-Assads militärisch exponiert, der Iran die schiitisch-alawitischen Glaubensbrüder in Syrien schützt und China für diplomatischen Beistand sorgt, wann immer der gebraucht wird. Was diese Mächte eint: Sie wollen nicht zulassen, dass sich der Westen eine Schneise in Syrien schlägt. Und sei es, indem ein sunnitischer Satellitenstaat als Mündel einer regionalmächtigen und NATO zugehörigen Türkei ausgerufen wird.

Es gibt in diesem Konflikt zwischen auf Dominanz bedachten Großmächten spätestens seit 2015 keine Koalition, die ähnlich entschlossen agiert wie die zwischen Syrien, Russland und Iran. Weder harmonieren Saudis und Amerikaner in solcher Weise, noch Amerikaner und Türken, noch Riad und die anderen Golfstaaten, geschweige denn Amerikaner und Kurden. Auch sind die Anti-Assad-Affinitäten der Arabischen Liga längst kein kollektives Begehren mehr, seit die Entfremdung zwischen Ägypten und Saudi-Arabien voranschreitet. Nicht zuletzt deshalb hat sich erledigt, was als strategisches Motiv der regionalen Anti-Assad-Front galt – die schiitische Brücke aus dem Iran über Syrien zur Hisbollah im Libanon zu zerstören. Das Gegenteil ist eingetreten. Deren Pfeiler scheinen derzeit belastbarer denn je.

Man darf den über Assad und sein Baath-Regime gespannten Schutzschirm getrost eine Kampfansage nennen. Sie anzunehmen, birgt für den Westen extreme Risiken. Ihr auszuweichen, käme einer Kapitulation gleich. Damit umzugehen, kann heißen, nach einem Vergleich zu suchen, der auf Schadensbegrenzung hinausläuft.

Vielleicht wurde beim Kampf um Aleppo damit begonnen. Gab es einen Deal zwischen Moskau und Ankara, den Dschihadisten keine Waffen aus der Türkei mehr zu schicken, um deren Fall zu beschleunigen? Trifft das zu, und dafür spricht einiges, bestehen Aussichten, diesen Krieg durch einen Interessenabgleich seiner externen Paten wenigsten einzudämmen und zu leisten, wozu die innersyrischen Konfliktparteien nicht mehr in der Lage sind. Schließlich wird sich Präsident Erdoğan als Lohn für sein Entgegenkommen die Zusage geholt haben, gegen die Kurden bei sich und in Nordsyrien freie Hand zu haben. Eine Konzession, über die weniger Russland als die USA, die selbsternannte Schutzmacht der Kurden, zu entscheiden hatten.

Wer weiß schon, wem Präsident Assad seinen Sieg in Aleppo alles zu verdanken hat. Russland und Syrien werden gewusst haben, warum sie die dschihadistischen Rebellen in auswegloser Lage sahen und seit Monaten immer wieder zur Kapitulation aufforderten.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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