Viel Prozess, wenig Frieden

Nahost US-Außenminister John Kerry wollte den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in neun Monaten gelöst haben. Jetzt läuft ihm erwartungsgemäß die Zeit davon
Minister Kerry verlässt Tel Aviv, aber nicht für lange
Minister Kerry verlässt Tel Aviv, aber nicht für lange

Bild: Brendan Smialowski / AFP - Getty Images

Es hat etwas von Selbsterlösung, wenn nicht Selbstbetrug aus Selbstmitleid. Außenminister John Kerry will zwischen Israelis und Palästinensern plötzlich keinen "Friedensvertrag" mehr aushandeln, sondern sich mit einem „Rahmenabkommen“ begnügen. Ursprünglich sollte es das erlösende Agreement innerhalb von neun Monaten geben, als die US-Diplomatie im Frühherbst mit ihrer neuen Nahost-Initiative begann und seither – leider muss man sagen: erwartungsgemäß – den Durchbruch schuldig blieb. Womit sich die Amerikaner nichts weiter einhandelten als den Nachweis des fortschreitenden Bedeutungsverlustes in einer Region, in der nach der Arabellion gerade tradierte Herrschaftsverhältnisse restauriert werden oder eine islamistische Landnahme voranschreitet, wie im Irak, teils auch in Syrien.

Einmal angenommen, Kerrys „Rahmenvertrag“ ist mehr als eine Absichtserklärung, dass sich Israelis und Palästinenser einigen wollen, um in Frieden miteinander leben zu können, dann wird die Autonomiebehörde in Ramallah nur mitspielen, wenn in diesem Vertrag ein Moratorium zum Siedlungsstopp oder ein wenigstens in Aussicht gestellter israelischer Siedlungsverzicht auftaucht – Konzessionen, die Netanjahus ultrarechte Koalitionspartner umgehend animieren dürften, die Regierung zu sprengen.

Es wäre damit nicht nur um das erst im März 2013 gebildete Kabinett, sondern auch den Verhandlungspartner für die israelisch-palästinensische Gespräche geschehen. Netanjahu könnte Kerry achselzuckend bedeuten, sehen Sie nur, wie weit Sie es gebracht haben mit Ihrer Unerbittlichkeit, bis April einen Vertrag vorlegen zu wollen. Wie soll eine angeschlagene, labile und – möglicherweise – nur noch amtierende Regierung weiter verhandeln? Welches Mandat hätte sie? Und welche Garantien kann sie geben, dass Ausgehandeltes nicht auf dem Papier bleibt?

Permanentes Schrumpfen

Bisher hat Premierminister Netanjahu einen Verlust seiner orthodox-ultrarechten Minister verhindert, indem er sich mit einem Junktim behalf. Es gab eine begrenzte Freilassung palästinensischer Gefangener, die sofort durch neue Siedlungspläne und -bauten in der Westbank kompensiert wurde. Damit ließen sich die Koalitionäre beschwichtigen. Außerdem hatte die Teilamnestie den nicht zu verachtenden Nebeneffekt einer Good-Will-Botschaft, um die international angeschlagene Reputation aufzupolieren. Seht her, soweit sind wir bereit zu gehen, um mit den Palästinensern Frieden zu schließen. Niemand soll an unserer prinzipiellen Bereitschaft zum Konsens zweifeln.

Auch wenn der Straferlass für Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sicher ein Erfolg war, konnte er doch nicht das Geringste an seinem Hauptdilemma ändern: Er strebt einen Staat an, dessen Territorium Woche für Woche Quadratkilometer für Quadratkilometer schrumpft. Welche Unabhängigkeitsbewegung in Afrika hätte während der sechziger Jahre eine Dekolonisierung hingenommen, bei der sich die Kolonialmacht die territorialen Filetstücke eines Landes reserviert und das Recht verbriefen lässt, diese Enklaven selbst militärisch zu schützen? Eine solche Unabhängigkeit ist umetikettierter Kolonialismus. Und auf nichts anderes läuft ein Einfrieren des Status quo in der Westbank hinaus, sofern die Siedlungen bestehen bleiben und weiter von Israels Armee geschützt werden.

Was allein wirkt

Die Palästinenser können und werden sich damit nicht abfinden. Gleiches gilt für die Vereinten Nationen, die ihr Rechtsverständnis verhöhnen würden, sollten sie tolerieren, was seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 in sämtlichen dazu vom Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen, namentlich in den Dokumenten 242 und 338, stets für rechtswidrig erklärt wurde: Eine Besatzungsmacht, die – statt die Bedingungen für ihren Rückzug zu schaffen – die eigene Bevölkerung in einem besetzten Gebiet ansiedelt und für vollendete Tatsachen sorgen will, verstößt gegen internationales Recht. Auch John Kerry kann diese Kausalität nicht außer Kraft setzen, aber der Regierung Netanjahu plausibel machen, dass ihre völkerrechtswidrige Siedlungspolitik einen Preis hat, den die USA einzufordern gedenken – etwa durch Sanktionen. Bei einem solchen Signal könnte die Regierung Netanjahu ihr Verhalten tatsächlich ändern (müssen).



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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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