Von der Option zur Utopie

Israel/Palästina Lohnt es sich überhaupt noch, an der Zwei-Staaten-Lösung festzuhalten?
Ausgabe 05/2020
Touristen besuchen den Ölberg
Touristen besuchen den Ölberg

Foto: Lior Mizrahi/Getty Images

Wird die Zwei-Staaten-Lösung von der Option zur Utopie und von der zur Fantasie, ist es dann sinnvoll, daran festzuhalten? Sicher wäre für die Palästinenser der Verzicht auf den eigenen Staat nicht nur extrem schmerzhaft. Er käme einer Kapitulation und Selbstaufgabe gleich. Worauf sonst waren ihre Hoffnungen und politischen Ziele seit Jahrzehnten gerichtet? Wie aber will man durchsetzen, was zusehends als fiktives völkerrechtliches Konstrukt erscheint? Niemand außerhalb der Westbank und des Gazastreifens dürfte es der PLO-Führung ankreiden, wollte sie die Zwei-Staaten-Lösung als illusionär abschreiben. Weder die UNO noch die EU, erst recht nicht Deutschland, die alle seit Jahrzehnten nur mehr proklamieren, wofür sie nichts riskieren. Wird Israel sanktioniert wegen seiner Siedlungspolitik in der Westbank, wegen permanenter Landnahme und fortwährenden Rechtsbruchs?

Präsident Trump dürfte es zu Begeisterungsstürmen hinreißen, sollten die Palästinenser einen Staat aufgeben, auf den sie ein existenzielles Recht, aber keinen Zugriff haben. Welche Chance für seinen soeben verkündeten Friedensplan. Die darin präsentierte Zwei-Staaten-Lösung ist derart unannehmbar, dass sie eigentlich nur den Zweck haben kann, dem Ein-Staaten-Modell Vorschub zu leisten. Weshalb bietet der US-Präsident den Palästinensern Vororte Ostjerusalems als Hauptstadt an, wenn er doch genau weiß (oder wissen müsste), dass sie darauf nie eingehen werden. Welcher Hohn, nun auch noch eine israelische Annexion des Jordantals abzusegnen und so zu tun, als würden die Palästinenser dadurch erst recht Gefallen an einem Staat ohne Land finden.

Auf diesen „Jahrhundertdeal“ kann es nur eine Antwort geben: die Ein-Staaten-Lösung auf die Agenda setzen und Israel dazu auffordern, das gesamte Westjordanland zu übernehmen und allen Bewohnern die vollen Rechte von Staatsbürgern einzuräumen. Der Staat Israel würde zum multinationalen Projekt und wäre um seiner selbst willen auf inneren Frieden geeicht.

Wer diesen Gedanken für total abwegig hält, sollte Folgendes bedenken: Keine israelische Regierung – wer sie auch immer stellt – hat den Willen, den Rückhalt und die Mittel, Siedlungen aufzulösen und deren Bewohner in israelisches Kernland zurückzuführen. Die Landnahme in der Westbank erweist sich als irreversibler Vorgang. Wenn das so ist – und wer wollte das ernsthaft bestreiten? –, bleibt es unerlässlich, die Palästinenser wie ein kolonisiertes, in Westbank-Kantone gedrängtes Volk zu behandeln. Was auf Dauer keine Lösung sein kann. Der Preis für die Sicherheit wie das Verteidigungsvermögen Israels in der Region wäre zu hoch. Weil sich auch die Trump-Regierung dessen natürlich bewusst ist, stellt sie mit ihrem Friedensplan den Palästinensern Finanzhilfen von bis zu 50 Milliarden Dollar in Aussicht, falls sie dem „Terror“ abschwören. Im Klartext, wenn sie das ihnen zugedachte Schicksal einer domestizierten Community widerstandslos hinnehmen und sich mit einem Scheinstaat begnügen. Geld gegen Land, Ehre und Gewissen, ein oligarchisches Gebaren, als Politik missverstanden, aber immerhin zirkusreif.

Diese Anmaßung hat es redlich verdient, beim Wort genommen zu werden, um zu sagen: Wenn ihr Israel stetig vergrößert und so den Palästinenserstaat verhindert, warum dann nicht gleich einen Bundesstaat aller Nationalitäten in Palästina schaffen? Was Trump und Netanjahu nicht wollen, aber heraufbeschwören, das sollten die Palästinenser nicht ausschließen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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