Vorpreschen verhängnisvoll

Syrien Die Anerkennung der Syrischen Nationalallianz durch die EU und die USA schafft keine neue Situation, birgt aber die Gefahr, den Bürgerkrieg zusätzlich anzufachen
Auch berittene Kämpfer gehören zur Freien Syrischen Armee
Auch berittene Kämpfer gehören zur Freien Syrischen Armee

Foto: Giogos Moutafis/AFP

Die neue Syrische Nationalkoalition als legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen und faktisch wie eine Regierung zu behandeln, wie das zuletzt die EU und nun auch die USA getan haben – es läuft auf einen symbolischen Akt hinaus. Dem aber liegt eine handfeste politische Entscheidung zugrunde, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Risiken eines solchen Vorgehens sind indes nicht zu übersehen. Und sollten nicht ausgeblendet werden. Welche rechtliche Qualität hat dieses Votum? Nimmt das Anti-Assad-Lager jetzt den Sitz Syriens in den Vereinten Nationen ein, stellt es eigene Botschafter auf, die schon einmal Syriens Missionen im Ausland entern? Hat die Freie Syrische Armee (FSA) in den Augen von Amerikanern und EU-Europäern fortan einen legalen Status, während die Streitkräfte des Assad-Regimes zu Freischärlern im eigenen Lande erklärt werden?

Vertrag von Dayton

Eine Parallele drängt sich auf, weil schon einmal vergleichbare Anerkennungen ausgesprochen wurden, ohne dass die damit gemeinten Tatbestände politisch ausgehandelt und in jeder Hinsicht rechtlich sanktioniert waren. Gemeint ist die 1991 beziehungsweise 1992 erfolgte offizielle diplomatische Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien sowie später Bosnien-Herzegowinas. Durch einige westeuropäische Staaten – darunter Deutschland – wurden sie als souveräne Staaten behandelt, ohne dass eine geregelte Auflösung des bis dahin existierenden jugoslawischen Gesamtstaates stattgefunden hatte.

Seinerzeit wurde dadurch so viel Öl ins Feuer gegossen, dass der auf dem Balkan bereits ausgebrochene Bürgerkrieg erst richtig aufbrandete. Die für den Erhalt der föderativen jugoslawischen Staates eintretenden Serben, die als große Minderheiten in den genannten drei Republiken lebten, wurden damit erheblich unter Druck gesetzt. Sie standen mit dem Rücken zur Wand. Die Kriegsführung hat das seinerzeit zweifelsohne brutalisiert. Ultranationalistische Milizen auf allen Seiten, besonders aber auf der serbischen, fühlten sich legitimiert zu ethnischen Vertreibungen, zu Repressalien bis hin zu Massakern, von denen das im Juli 1995 in Srebrenica verübte das barbarischste und opferreichste war. Derartige Exzesse flauten erst ab, als eine von den Umständen erzwungene, dem militärische Kräfteverhältnis zwischen den Konfliktparteien entsprechende und von der damaligen US-Regierung unter Präsident Clinton vermittelte politische Lösung gefunden wurde. Der Ende 1995 geschlossene Vertrag von Dayton schrieb neue territoriale Realitäten in völkerrechtlicher Hinsicht fest . Zu denen gehörte der neue bosnische Staat. Erst nach Dayton war es an der Zeit, ihn anzuerkennen.

Bis zum letzten Gefecht

Was heißt das für Syrien? Mit der jetzigen, quasi diplomatischen Aufwertung des Status der Nationalkoalition wird Entwicklungen vorgegriffen, um sie durch diesen Schritt beschleunigen zu können. Eine Niederlage des Assad-Lagers mag unabwendbar sein, eingetreten ist sie noch nicht.

Sollte irgendwann eine Situation heranreifen, in der die Assad-Armee nur noch verlieren kann, heißt das eben auch: Sie hat dann nichts mehr zu verlieren. Wird sie in mehrere Teilen zerfallen, resignieren und kapitulieren? Wer kann ausschließen, dass von der Rache ihrer Gegner bedrohte und vom Endkampf beseelte Kombattanten nicht alles versuchen, die Niederlage hinauszuzögern? Und das mit vielen Mitteln? Welche das sind, liegt auf der Hand. Sie könnten eine makabre Gewähr dafür bieten, dass dieser Bürgerkrieg erst endet, wenn auch die letzte Orgie der Gewalt vorbei ist. Ihn von außen durch politische Aktionen wie die ausgesprochenen Anerkennungen anzufachen, ist gefährlich, verhängnisvoll und letzten Endes verantwortungslos. Aber die Amerikaner können wohl nicht anders, nachdem sie sich Mitte November in Katar tagelang intensiv darum bemüht haben, diese neue Dachorganisation des Anti-Assad-Lagers zustande zu bringen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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