Wächter in der Warteschleife

Zeitfenster Die Bankenaufsicht in der Eurozone kommt, aber erst im März 2014 und damit später als gedacht und notwendig – kurz vor dem EU-Gipfel ein Punktsieg für Deutschland
Schäuble im Kreise seiner Kollegen (von links): Steven Vanackere, belgischer und Pierre Moscovici, französischer Finanzminister zusammen mit Jean-Claude Juncker
Schäuble im Kreise seiner Kollegen (von links): Steven Vanackere, belgischer und Pierre Moscovici, französischer Finanzminister zusammen mit Jean-Claude Juncker

Foto: Georges Gobet/AFP/Getty Images

Kompromisse haben es an sich, Fragen zu provozieren: Wer hat bei den zerstrittenen Parteien mehr bluten müssen und wer weniger? Wem wurden welche Konzessionen abgerungen? Bei der Einigung zum Projekt EU-Bankenaufsicht, die den EU-Finanzministern während fast eintägiger Verhandlungen in groben Zügen gelungen ist, lässt sich das schnell klären. Wenn ein solches Regime erst im März 2014 funktionsfähig sein soll – und danach sieht es aus –, mussten besonders Frankreich, Italien und Spanien Federn lassen. Sie wollten, dass die Europäische Zentralbank dazu bereits im Januar 2013 autorisiert, institutionell und personell in der Lage ist – angesichts maßlos deregulierter Finanzmärkte kein unziemliches Verlangen, sondern gebotene Notwendigkeit. Die deutsche Regierung war davon nicht zu überzeugen und hat sich ein anderes Zeitpolster verschafft.

Hollande muss warten

Die genannten Protagonisten einer solchen Reform ließen sich vermutlich auch von der Gewissheit leiten, dass es ein derartiges Kontrollsystem erlauben würde, den im Herbst installierten neuen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) – den mit 700 Milliarden Euro ausgestatteten Länderfinanzausgleich in der Eurozone – für direkte Bankenhilfen in Anspruch zu nehmen. Zweifellos eine willkommene Option unter anderem für französische Geldhäuser. Deren Engagement in Griechenland geriet wegen des bereits im März vereinbarten Schuldenschnitts bei privaten Gläubigern und des gerade stattgefundenen Rückkaufs deutlich entwerteter Schuldpapiere durch den griechischen Staat zum schmerzhaften Aderlass. Könnten sich die betroffenen Institute mit Hilfeersuchen an den ESM halten, wäre der französische Staat entlastet und bliebe von ESM-Auflagen verschont.

Nun aber muss sich François Hollande gedulden und zur Kenntnis nehmen, dass sich Deutschland auch mit seiner Auffassung durchgesetzt hat, nicht alle etwa 6.000 Kreditinstitute, Sparkassen und Volksbanken innerhalb des Euroraums unter den Kontrollschirm der EZB zu stellen, sondern es mit den Giganten gut sein zu lassen, die eine Bilanzsumme von mehr als 30 Milliarden Euro vorweisen oder dieselbe mehr als 20 Prozent der Wirtschaftskraft ihres Heimatlands ausmacht. Allerdings werden künftig auch sämtliche Geldhäuser durchleuchtet, an denen der Staat finanziell beteiligt ist. Derartiges Investment findet bekanntlich immer dann statt, wenn bei drohender Insolvenz durch den Einsatz öffentlicher Gelder das Ärgste verhindert werden soll. Das heißt, die Bankenaufsicht wird ab 2014 jede Konkursverschleppung zuungunsten der Bürger erkennen und gegebenenfalls ahnden. Sie wäre demnach auch für einen bereinigten Markt und den fairen Wettbewerb zuständig.

Schwerer Eingriff

Der heute beginnende EU-Gipfel – es handelt sich tatsächlich um den letzten in diesem Jahr, auch wenn man es kaum glauben mag – ist damit um ein Streitthema ärmer. Freilich herrscht daran weiter kein Mangel. Im Vorfeld war die Rede von „revolutionären Entscheidungen“, die zu fällen seien. Es war an eine Vertiefung der Eurozone und einen dafür möglichst verbindlichen Zeitplan gedacht. Dazu sollte perspektivisch ein gemeinsamer Haushalt der Eurozone gehören, um Krisen besser abfedern zu können. Hier mit dem Prädikat „revolutionär“ zu operieren, erscheint in der Tat nicht abwegig, immerhin müssten die EU-Verträge geändert werden, möglicherweise sogar die Verfassungen der betroffenen Staaten. Sollte es dazu kommen, wäre das unweigerlich mit schweren Eingriffen in die nationale Haushaltssouveränität verbunden. Bei einem Generalbudget der Währungsgemeinschaft wäre um jede haushälterische Autarkie der Mitgliedsstaaten geschehen. Ein Hinweis darauf, wie dringend eine europäische Sozialunion gebraucht wird für die ebenso klare Normen gelten, wie das vor dem Start für die Währungsunion mit den berühmten Stabilitätskriterien der Fall war – auch wenn die alsbald kaum noch das Papier wert waren, auf dem sie standen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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