Wagenknecht und Tsipras

Griechenland Die deutsche Linkspartei betont zwar stets ihre Solidarität mit der Syriza-Regierung in Athen, doch sind zusehends Zweifel angebracht, ob das tatsächlich noch so ist
Sahra Wagenknecht während der Griechenland-Debatte am 27. Februar im Bundestag
Sahra Wagenknecht während der Griechenland-Debatte am 27. Februar im Bundestag

Foto: IMAGO

Bisher sollte die neue Regierung in Athen vor allem daran gehindert werden, wenigstens einen Teil ihrer Wahlversprechen zu erfüllen. Inzwischen scheinen besonders die Euro-Finanzminister gewillt, Alexis Tispras und Yanis Varoufakis nach allen Regeln des diplomatischen Vabanque-Spiels zu demütigem und soweit in die Enge zu treiben, dass ihnen nichts weiter übrig bleibt, als sich zu ducken wie all ihre Vorgänger seit 2010.

Finanzminister Schäuble dürfte gewusst haben, was er tat, als er nach der Eurogruppen-Sitzung am 9. März wieder das Wort „Troika“ in den Mund nahm, mit der die Syriza-Regierung ostentativ abgeschlossen hat. Dies öffentlich zu zelebrieren, war keine auf Symbolik bedachte Trotzhandlung, sondern eine Reaktion darauf, was die Troika seit 2011 in Griechenland an Sozialabbau, Wachstumsschwund, galoppierender Verschuldung und politischer Disziplinierung bewirkt hat.

Gerade die dank Troika nach oben getriebenen Schulden, erweisen sich als vorzügliches Vehikel, jedem Kabinett in Athen – egal, aus welchem Lager es kommt, den politischen Schneid abzukaufen. Und das um so gnadenloser, je widersetzlicher und linker die Regierenden sind. Im Augenblick wird das in exemplarischer Weise vorgeführt.

Die Regierung Tsipras könnte trotz eines erneuten Wachstumseinbruchs ihre laufenden Ausgaben aus den Einnahmen bestreiten, wäre da nicht die Schuldentilgung. Allein im März werden 1,6 Milliarden Euro an den IWF und 600 Millionen an die EU-Gläubiger fällig. Dazu fließt von den sieben Milliarden Euro, die mit dem am 20. Februar verlängerten Hilfsprogramm in diversen Tranchen ausgezahlt werden sollen, vorerst kein Cent.

Der litauische Pensionär

An dieser Stelle kommt die Bundestagsfraktion der deutschen Linkspartei ins Spiel – genauer: ihr mehrheitliches Plazet zur Verlängerung der Griechenland-Hilfen am 27. Februar. Wie sich zeigt, trägt sie damit auch Verantwortung dafür, wie erpresserisch die Euro-Finanzminister, IWF und EZB mit diesem Programm umgehen. Die linken Parlamentarier sollten sich schon fragen, ob sie mit ihrem Votum nicht sanktioniert oder zumindest toleriert haben, wie machtbewusst von der Euro-Rettungsgemeinde Kräfteverhältnisse ausgenutzt werden, um Euro-Partner wie Griechenland politisch zu nötigen. Sahra Wagenknecht hat recht, wenn sie das Abstimmungsverhalten einer Mehrheit in der Fraktion einen „strategischen Fehler“ nennt. Nur leistet sich die Linke überhaupt noch eine Strategie, die über taktische Signale an SPD und Grüne hinausgeht? In der Sicherheitspolitik, der Russland-Politik oder eben dem Euro-Rettungsaktionismus? Wagenknecht schreibt in einem persönlichen Statement:

„Dass es um eine europapolitische Positionsverschiebung und nicht um taktische Meinungsverschiedenheiten geht, wurde spätestens dadurch deutlich, dass zwei unserer bisherigen Kernforderungen – die Forderung nach einem Schuldenschnitt für Griechenland und die Forderung nach einem mit EZB-Geld finanzierten Investitionsprogramm, beides im übrigen Forderungen, die auch Syriza immer wieder vorgetragen hat (so viel zum Thema „Solidarität”!) – in der Fraktionssitzung aus unserem eigenen Antrag gestrichen bzw. gar nicht erst aufgenommen wurden."

Vermutlich verfängt die Demagogie der Bundesregierung im Umgang mit Griechenland auch bei Wählern und Sympathisanten der Linkspartei. Es wird das moralisierende Narrativ kolportiert: Die Maßlosen in Athen scheren sich einen Scheißdreck um den Steuerzahler in der EU, um den litauischen Pensionär, dem es so viel schlechter geht als dem griechischen Epikureer, der endlich wieder aus dem Vollen schöpfen will. Wie kann man vom mies bezahlten slowakischen Autobauer (dass er an den Bändern einer VW-Tochter mies entgolten wird, fehlt zumeist in dieser Erzählung) zumuten, dass er griechische Arbeitslose durchfüttert. Neid, Denunziation und Endsolidarisierung schüren, das gehört seit jeher zum medialen Sound einer Griechenland-Rettung, die tatsächlich eine Euro-Rettung war. Und nie etwas anderes sein wird.

Zumutung, Sakrileg, Verstoß

Jetzt haben die Griechen auch noch die Stirn, eine Regierung zu wählen, die das tut, was von Regierungen normalerweise erwartet wird: Dass sie die Interessen ihrer Länder und Bevölkerung vertritt. Nur ist das innerhalb der Euro-Union längst keine Normalität mehr, sondern Zumutung, Sakrileg und Verstoß gegen Normen. Dadurch wird die Geduld der „Helfer“ über Gebühr strapaziert. Also muss eine solche Regierung diszipliniert oder zum „Rendezvous mit der Wirklichkeit“ gezwungen werden, wie es der deutsche Finanzminister jovial ausdrückt. Also wird ein Exempel statuiert, das unter den Vereinten Nationen Europas, die vorgeben, untereinander solidarisch zu sein, Zumutung, Sakrileg und Verstoß gegen Normen sein sollte. Das Aushungern und Ausmanövrieren missliebiger Partner verstümmelt den gern beschworenen europäischen Geist bis zur Kenntlichkeit. Vorausgesetzt, es gibt ihn noch. Was zu bezweifeln ist.

Warum das geschieht, ist unschwer zu entschlüsseln. Die den Griechen erteilte Lektion gilt zugleich anderen südeuropäischen Euro-Ländern, besonders Portugal und Spanien, wo in der zweiten Jahreshälfte gewählt wird. Den Wahlbürgern dort wird bedeutet, auch wenn ihr euch für eine Politik jenseits von Spardogmen und Austerität entscheidet, weil euch das eigene soziale Schicksal nicht gleichgültig lässt, vergesst es! Ihr handelt euch nur ein Balancieren auf der Kammlinie des Staatsbankrotts ein. Auf die Demokratie solltet ihr euch nicht berufen, die Kassenlage entscheidet.

Sich selbst aufgeben

Das alles dürfte der Linkspartei nicht verborgen bleiben. Die Frage ist, ob sie für ihre rot-rot-grünen Illusionen die Solidarität mit Syriza opfert. Die fortschreitende Parlamentarisierung und Sozialdemokratisierung der Partei scheint soweit fortgeschritten, dass es nicht mehr in Betracht kommt, den Dreck der Straße zu schlucken, um auf derselben etwas durchzusetzen.

Dabei lädt gerade das Schicksal der Syriza-Regierung die "Realos" dazu ein, sich einen realistischen Blick auf die Aussichten von Rot-Rot-Grün in Deutschland zu gönnen. Die Linke bekommt vorgeführt, was ihr blüht, sollte sie sich nach der Bundestagswahl 2017 in der Nähe möglicher Regierungsverantwortung aufhalten. Auch sie wird zu hören bekommen, das Geld der Steuerzahler für soziale Utopien und „sozialistische Wahnvorstellungen“ verschwenden zu wollen. Doch könne man von Linkspopulisten nichts anders erwarten. Die wollten eine Rückkehr zur maroden DDR, um dort weiterzumachen, wo sie 1989/90 – leider – aufhören mussten. Alles steht unter Finanzierungsvorbehalt! Die Schwarze Null im Bundeshaushalt darf nicht von linken Hasardeuren geopfert werden. Sozialpolitische Wohltäter gefährden die Stabilität der Eurozone, und so weiter.

Dagegen wehren kann sich nur, wer den Mut hat, eine Wendestimmung zu erzeugen und öffentlich so zu mobilisieren, wie das Syriza zustande gebracht hat.

Der Verzicht von Sahra Wagenknecht auf die Fraktionsspitze zeigt freilich auch, das traut sie ihrer Partei nicht mehr zu. Allein der europapolitische Schwenk ist Auskunft genug. Weder Grüne noch Sozialdemokraten werden das honorieren, sondern die Linke mit ihrem Votum vom 27. Februar genüsslich vorführen. Die versteckte Botschaft: Wer sich selbst aufgibt, ist uns als Partner willkommen.

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