Überall in der Nachbarschaft Syriens wird Macht akkumuliert und ausgekostet, um regieren zu können. In Ägypten trifft das für die Autokratie des Obristen Abd al-Fattah as-Sisi zu. Dessen Regime sieht dem 2011 zu Fall gebrachten des Hosni Mubarak zum Verwechseln ähnlich. In Israel ist Militärmacht das Rückgrat resoluter Besatzungsmacht. Im Irak meldet sich die Armee als Machtfaktor zurück und kann – dank des Beistandes der Anti-IS-Koalition und der Waffenhilfe schiitischer Milizen – wieder Breschen in Bastionen des IS schlagen.
Die Autokratie in Syrien ist demnach keineswegs aus der regionalen Art geschlagen. Dortige Parlamentswahlen gehorchten noch nie dem demokratischen Reinheitsgebot (wo tun sie das schon?), das galt vor dem Bürger
das galt vor dem Bürgerkrieg und gilt im Bürgerkrieg erst recht. Das Kalkül von Bashar al-Assad, vor Wochenfrist in den von der Regierungsarmee beherrschten Gebieten wählen zu lassen, mit der Baath-Partei wie erwartet zu gewinnen und sich in der plebiszitären Gunst der Stunde zu sonnen, folgt nicht dem Wunsch, sich als geläuterter Demokrat zu empfehlen. Das Votum diente anderen Zwecken. Es ging um den Nachweis staatlicher Handlungsfähigkeit gerade jetzt. Was spiegelt der Aufbau von Wahllogistik – es gab immerhin vier Wahllokale in der gerade vom IS zurückgewonnenen Wüstenstadt Palmyra –, wenn nicht halbwegs intakte Strukturen, mehr Sicherheit und reaktivierte Staatlichkeit? Diese Qualitäten werden noch gewinnen, sollte die Regierung die einstige Wirtschaftsmetropole Aleppo vollends beherrschen. Assads SignalBei viel Staatsverfall in der Region ringsherum (Libyen, Jemen, Irak) ist der Erhalt eines syrischen Kernstaates mehr wert als jede gewonnene Schlacht im Bürgerkrieg. Sie wird zur Basis, die Konfrontation weiter einzudämmen, auch wenn Damaskus vorerst keine Chance hat, das Staatsterritorium in Gänze zurückzuerobern. Es bleiben die Enklaven des IS, der Al-Nusra-Front wie anderer Rebellenverbände – doch scheint eine Auflösung des Staates in verfeindete Kantone vorerst gebannt. Es scheint so zu sein, dass Assad im Augenblick militärisch nicht mehr überrannt werden kann. Es gibt keine politische Opposition, die ihm ernsthaft gefährlich werden könnte. Dem bei den Syrien-Talks in Genf agierenden Hohen Verhandlungskomitee (HNC) fehlt die Verankerung in Syrien, besonders in den bewaffneten Formationen der Anti-Assad-Kräfte. Assads Signal, das er mit den Wahlen aussenden wollte, lässt sich wie folgt deuten: Ich war und ich bin. Und das als Staatschef. Es gibt keinen Grund, außerhalb Syriens über mein Mandat zu befinden. In Genf kann bestenfalls über eine künftige Machtteilhabe der Opposition befunden werden, nicht über eine Zäsur namens Regimewechsel. Libysches MusterWer zu einem realistischen Lagebild neigt, muss das zur Kenntnis nehmen. Durch die westliche Politik gegenüber Syrien wurde nicht erst seit Ausbruch des Bürgerkrieges im März 2011 einiges unternommen, um eine Demission Assads als der Galionsfigur des Baath-Regimes zu erzwingen. Dieses Ansinnen ist klar gescheitert, seit Russland in Syrien eingegriffen hat. Seither ist klar, dass der Präsident an der Macht bleiben kann, weil es keine politische oder militärische Kraft gibt, die derzeit fähig und unerschrocken genug wäre, ihn zu stürzen: Weder die dschihadistischen Milizen des IS und der Al-Nusra-Front, noch die Freie Syrische Armee, die nur noch im Nordwesten über ein begrenztes Aktionsfeld verfügt. Auch die kurdischen Selbstverteidigungskräfte, die sich des IS erwehren müssen, tendieren eher zur Zweckallianz mit der Regierungsarmee. Von den externen Paten des Anti-Assad-Lagers ist Saudi-Arabien in den Jemen- Krieg verstrickt, ohne ihn gewinnen zu können. Die türkischen Streitkräfte wiederum sind mit ihrem Mehrfronten-Krieg gegen die Kurden im eigenen Land, in Nordsyrien und im Nordirak gut ausgelastet. Nach Damaskus könnten sie – wenn überhaupt – nur im Tross der NATO marschieren. Der Syrien-Krieg ist entschieden, wenn das Kriegsziel im Sturz Assads und seines Regimes bestand. Es sei denn, eine westliche Staatenkoalition, mutmaßlich geführt von den USA, entschließt sich zum irakischen Muster: Intervention und Okkupation zum Zwecke eines von außen bewirkten regime change. Bekanntlich misslang die libysche Variante dieses Modells. Der durch NATO-Luftmacht durchgesetzte Sturz des dortigen Staatschefs Mummar al-Gaddafis blieb ohne politische Nachsorge. Sprich: Man kümmerte sich nicht um die Neuordnung des libyschen Staates, was wohl zu direkter westlicher (militärischer) Präsenz hätte führen müssen. Die Erinnerung an die desaströsen Konsequenzen von US- Besatzungsmacht im Irak zwischen 2003 und 2011 dürfte das maßgeblich verhindert haben.Erweiterte Machtbasis Das sind die Fakten. Was in Genf ausgehandelt werden kann, ist keine Übergangslösung ohne Assad, sondern eine konstitutionelle Neuordnung des bisher weitgehend von der alawitischen Minderheit geprägten syrischen Systems. Dessen Fundament sollte nicht nur – es muss tragfähiger werden durch mehr politische Rechte für die sunnitische Mehrheit sowie religiöser Minderheiten – allen voran die syrischen Christen und die Drusen. Im günstigsten Fall können dabei eine erweiterte Machtbasis und moderate Demokratisierung des Baath-Regimes zusammen finden. Wenn sich der Westen nicht länger hinter der Maximalforderung – Assad muss gehen – verschanzt, sollte diese Verschränkung eine konfliktentschärfende Wirkung entfalten.