Was wird aus Barack Obamas Bombenidee?

Nulloption Gegen die Forderung des US-­Präsidenten nach radikaler ­Abrüstung legen die Hohepriester der atomaren Vergeltung ihr Veto ein

Ob der Präsident die drängende Warnung Jonathan Schells im Sinn hatte, als er am 5. April in Prag ankündigte, endlich Ernst machen und sämtliche Atomwaffen verschrotten zu wollen, mag getrost dahinstehen. Denn was der Autor des Bestsellers Das Schicksal der Erde anno 1982 anmahnte, hat bis auf den heutigen Tag nichts an Aktualität eingebüßt. „Eines Tages – und vermutlich wird dieser Tag bald kommen“, so Schell, „werden wir unsere Entscheidung treffen müssen. Entweder versinken wir in eine Agonie, aus der es keine Rettung mehr gibt, und die Welt wird mit uns untergehen oder aber wir werden unsere Ängste und unsere Verdrängungen überwinden …“

Obamas Wortwahl stimmt hiermit geradezu auffällig überein. Man müsse eine Entscheidung treffen, gab er zu verstehen, um wenig später anzufügen: „Ich möchte heute also ganz deutlich und mit Überzeugung Amerikas Bereitschaft erklären, den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben.“

Kurzerhand ad acta gelegt

Mit diesem Projekt bereichert ein US-Präsident die traditionsreiche Geschichte der Versuche, eine von kernwaffenfreie Welt zu schaffen. Schon 1946 gab es den Plan des Multimillionärs Bernard Mannes Baruch, der freilich darauf zielte, dass US-Bomben-Monopol zu halten und eine Atommacht Sowjetunion zu verhindern (s. Freitag 15/07). 1962 lagen sowjetische und amerikanische Vertragsentwürfe über eine „allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und internationaler Kontrolle“ auf dem Tisch. Doch die Initiative verlief im Sande. 1986 kam es zur Fast-Verständigung von Reykjavík zwischen Ronald Reagan und Michael Gorbatschow. So wie diese Vorstöße Episoden blieben, meldeten sich nach Obamas Prager Rede umgehend die Hohepriester der nuklearen Vergeltungsdoktrin zu Wort, um ihre Einwände gegen die als „nette Idee“ und „schönen Traum“ abgewerteten Vorschläge des US-Präsidenten kundzutun. Angeführt wird die Riege der Kritikaster von Josef Joffe (Die Zeit), der apodiktisch behauptet, eine Welt ohne Nuklearwaffen werde es nie geben. Ihm sekundiert Michael Rühle, Vizeleiter der Politischen Planungseinheit der NATO, der Obama einer „bombastischen Rhetorik“ ­bezichtigte. Mit den üblichen Argumentationshülsen – man könne ja die Atomwaffen nicht „weg­erfinden“ – legen die beiden Apologeten nuklearer Schlagkraft die Abschaffungsinitiative kurzerhand ad acta. Ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, dass die Nuklearmächte im Atomwaffensperrvertrag schon vor Jahrzehnten dem Rest der Welt zugesichert haben, ihre Arsenale radikal abzurüsten. Obama hat daher in Prag nur als Absicht formuliert, wozu die USA seit Langem verpflichtet sind. Dass sie jetzt tun, was geboten ist, erscheint durchaus möglich, wie Jonathan Schell aufgezeigt hat.

Das Wissen um die Bombe

Der schrieb vor 25 Jahren, „wir haben von der Erfindung der nuklearen Waffen eine Lehre empfangen, die wir nie wieder vergessen dürfen […] Nicht Sieg, sondern Kriegsverhütung ist die Aufgabe“.

Dem kann nur mit einem Vertrag entsprochen werden, der auf dem gesicherten Wissen um die Fabrikation nuklearer Waffen basiert. Noch einmal Schell: „Der Schlüssel zur Abschaffung der Kernwaffen auf dem Boden der Abschreckung liegt in der Tatsache, dass das Wissen nicht verloren gehen kann. Dank dieses Wissens würde jeder Zustand der Abrüstung immer auch ein Zustand der Rüstung bleiben und als solcher seinen Abschreckungswert behalten.“

Dass diese Prognose realistisch ist und deshalb getroffene Abkommen überwacht werden müssen, zeigen die Verträge zwischen der NATO und Russland über den Verzicht auf atomare Mittel- und Kurzstreckenwaffen. Wem also Abkommen über eine atomwaffenfreie Welt vorschweben, der kann darin notfalls verankern, dass der Wiederaufbau eines Kernwaffenpotenzials ausdrücklich zulässig bleibt – ebenso wie Abwehrsysteme zum Schutz vor atomaren Angriffen. Auch wenn eine solche Option aus friedenspolitischer Sicht kaum die beste aller denkbaren Varianten darstellt, so illustriert sie doch, dass es sich bei Barack Obama mitnichten um einen Träumer, sondern durchaus um einen Realisten handelt.

Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt mit diesem Text nur seine persönlichen Auffassungen

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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