Weiße Karte für Sarkozy

Frankreich Die Parteivorsitzende des Front National hält den Präsidenten für nicht wählbar, nachdem der zuletzt so oft zu verstehen gab, dass er das FN-Programm für wählbar hält

Marine Le Pen weiß genau, was die Stunde geschlagen hat. Wenn Nicolas Sarkozy nicht nur als Wahlkämpfer, sondern auch als Präsident der Republik den Front National (FN) öffentlich zur verfassungsmäßigen Partei erklärt, ist sie im Vorhof der Macht, mindestens der Regierungsteilhabe (in welcher Form auch immer), angekommen. Der Chef des Staates hat mit einer rassistischen Tönung vor der Wahl für sich mobilisiert und aus seiner Nähe zur FN-Programmatik und -Rhetorik kein Hehl gemacht.

Wenn das so ist, dann erscheint das Original erst recht wählbar. 6,4 Millionen Franzosen haben dieser Auffassung beim ersten Wahlgang am 22. April Geltung verschafft. Wie viele werden es bei der anstehenden ersten Runde der Parlamentswahlen am 10. Juni sein? Muss diese Zahl hoch veranschlagt werden, hat Sarkozy seinen Anteil daran. Doch könnte er mit seiner Kampagne des „Frankreich den Franzosen“ möglicherweise mehr entsorgt haben als nur den europäischen Wertekanon. Die Fühlungnahme mit den Rechtsnationalen beschwört auch für seine eigene Partei, die Union pour un mouvement populaire (UMP), existenzielle Risiken herauf. Und Marine Le Pen hatte kein Interesse daran, mit ihrer Rede am 1. Mai in der letzten Phase des Wahlkampfes diese Risiken abzuschwächen. Warum sollte sie auch?

Marine-Bleu am 10. Juni

Dass sie Sarkozy eine Wahlempfehlung gönnt, konnte der nicht ernsthaft erwarten. Dass sie ihn nun gar ohrfeigt, hat ihn düpiert und schärft den Blick für die neuen Kräfteverhältnisse in Frankreich. Die Galionsfigur des Front National ruft zum „Vote blanc“ am 6. Mai, der Abgabe eines ungültigen Stimmzettels, aber zum „Bleu-Marine“ – eine Anspielung auf die staatstragende Farbe des FN – am 10. Juni bei der Stimmabgabe zur Nationalversammlung.

Den Präsidenten an sich abtropfen lassen und mit der weißen Karte abstrafen, unmissverständlicher ließ sich wohl kaum zum Ausdruck bringen, dass in den Augen der FN-Vorsitzenden Sarkozy nur noch zum Auslaufmodell taugt. Le Pen, die darauf besteht, dass ihre Partei sehr viel weniger extrem sei als die Tea Party in den USA, pflegt ihre Autarkie. Sie tut das öffentlich, selbstgefällig und herausfordernd, weil sie sich ihrer Stärke und ihres Einflusses in der Gesellschaft sicher sein kann.

Waren schon die 16,8 Prozent ihres Vaters Jean-Marie Le Pen in der ersten Runde des Präsidentenvotums von 2002 ein Alarmzeichen, so geht von Kampagne und Wahl 2012 die Botschaft aus: Es geht nicht mehr um Salonfähigkeit einer rechtspopulistischen Klientelpartei, sondern um die Hegemonie über eine bürgerliche Rechte unweit der politischen Mitte. Marine Le Pen will keine Steigbügelhalterin für Sarkozys zweite Präsidentschaft sein. Sie kommt längst als dessen Nachlassverwalterin in Betracht.

Sollte nach einer Niederlage des Amtsinhabers am 6. Mai die UMP in das zerfallen, was sie immer war – eine Bewegung, wie der Name schon sagt, aus Vereinen und Klubs, Salons und Hinterzimmern, Mäzenen und Karrieristen – bietet sich der FN zur Resteverwertung an. Es wird wieder eine politische Heimat suchen, wer nach dem 6. Mai heimat-, weil machtlos wurde. Mit anderen Worten, das Fraternisieren mit dem potenziellen Mehrheitsbeschaffer FN wird kein Sakrileg, sondern salonfähig sein. Was wollte Sarkozy anderes? Er muss sich nicht wundern, wenn Le Pen ihn nicht empfiehlt. Er hat sie doch selbst empfohlen und sich damit genau genommen für entbehrlich erklärt.

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