Widerworte vom Watschenmann

Erdoğan Beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten war wenig zu gewinnen – umso mehr wurde verloren
Ausgabe 40/2018
Die Außenpolitik der Ära Merkel beherrscht ein Missio­nierungseifer, der häufig dip­lomatische Professionalität ver­missen lässt
Die Außenpolitik der Ära Merkel beherrscht ein Missio­nierungseifer, der häufig dip­lomatische Professionalität ver­missen lässt

Foto: Bundesregierung via Getty Images

Hat der türkische Präsident darauf bestanden, in Deutschland als Staatsgast der Premiummarke behandelt zu werden? Oder war man auf deutscher Seite vorrangig darauf bedacht, Recep Tayyip Erdoğan mit höchsten Ehren zu umgeben, auf dass der Gast spürt, wie sehr er als Partner gefragt ist? Beides denkbar und nicht ehrenrührig. Peinlich wird es nur, wenn in Berlin das protokollarische Repertoire ausgeschöpft und zugleich gezeigt wird, wie sehr man sich damit quält. Zum Ausdruck gebracht durch subtile Kritik in Pressestatements, Bankettreden und das protokollarische Understatement des zuständigen Ministerpräsidenten beim Empfang Erdoğans in NRW. Staatsvisiten sind keine Sympathieerklärungen. Also erübrigt sich die Sorge, sie könnten derart missverstanden werden.

Die gegensätzlichen Vorstellungen über Demokratie, Staat und Justiz sind mit der jetzigen türkischen Führung nicht verhandelbar. Sie beharrt als Autokratie auf politischer Autonomie. Ein bilateraler Gipfel kann daran nichts ändern und ist erst recht keine Reparaturagenda für deutsch-türkische Beziehungen, die nach Erdoğans Aufritt bei der Moschee-Eröffnung in Köln noch zerrütteter wirken als vor dem Staatsbesuch. Dieser Präsident behandelt seine türkischen Anhänger hierzulande wie eine fünfte Kolonne und schadet so ihrem Status in Deutschland gleich zweifach: Er ermuntert zur Abschottung und schürt dadurch das Misstrauen der deutschen Mehrheitsbevölkerung. Fragt sich nur, hat der Besuchsverlauf bis zum Köln-Trip bei Erdoğan den provokativen Furor noch angefacht?

Die Außenpolitik der Ära Merkel beherrscht ein Missionierungseifer, der häufig diplomatische Professionalität vermissen lässt. Unablässig wird suggeriert, Deutschland sei mit moral- und menschenrechtsgestützter Proklamation anderen Staaten überlegen. Man müsse Wertebewusstsein ausstellen und diene so eigenen Interessen am besten. Seht, wir halten die Hand ins Wasser und den reißenden Strom auf. Dieser Hang zur Selbstvergewisserung erinnert an das Unvermeidliche notorischer Reflexe.

Nur dann bitte nicht wundern, wenn obligatorisch Widerspenstige wie Erdoğan die ihnen zugedachte Rolle des Watschenmanns vom Dienst mit Inbrunst ausfüllen. Allerdings besagt die Erfahrung, dass sich ein humanitärer Ernstfall wie die Haft deutscher Staatsbürger in der Türkei besser hinter verschlossenen Türen als auf der offenen Bühne eines Banketts klären lässt. Auch ist es doppelzüngig, den Gast wegen missachteter demokratischer Rechte zu rügen, aber das Verbot der PKK in Deutschland wie deren Stigmatisierung als „terroristisch“ aufrechtzuerhalten. Da wird Erdoğan nach dem Munde geredet und das bei anderer Gelegenheit hochgehaltene Selbstbestimmungsrecht der Völker kurzerhand ausgeblendet.

Bezeichnenderweise lassen die vielen Nebengeräusche eines eher missglückten Staatsbesuchs die deutschen Interessen unberührt. Sie bestehen darin, dass die Türkei ökonomisch durchhält und Flüchtlingsschleuse bleibt, dazu letzter Akteur in Syrien ist, über den sich in westlichem Sinne Einfluss auf die dortige Nachkriegsordnung nehmen lässt. Es dürfte mehr Erdoğan als Merkel zu verdanken sein, dass für Oktober ein Spitzentreffen zu Syrien mit Deutschland, Frankreich, der Türkei und Russland in Aussicht steht. Leider wird dieser Gipfelertrag bestenfalls en passant registriert. Es muss eben verkraftet werden, dass sich die heutige Türkei als Gegenpart zu Deutschland definiert.

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