Dieses Buch ist vielleicht keine literarische Sensation – sensationell ist eher, dass es wiederentdeckt wurde. Aber fesselnd, erschütternd, authentisch ist die Megaerzählung über das waidwunde Berlin in den letzten Tagen im Zweiten Weltkrieg allemal. Über Jahrzehnte war Finale Berlin ins Antiquariat entschwunden, nun jedoch hat der Verlag Schöffling & Co. das Werk zum 70. Jahrestag des Kriegsendes neu aufgelegt. Und dies mit einem Nachwort von Fritz J. Raddatz.
Der Verfasser Heinz Rein (1906–1991) begann mit der Niederschrift noch im Mai 1945, um auf gut 800 Seiten die Schlacht um Berlin und in einer oft atemlosen Sprache die apokalyptischen Zustände zu schildern, denen die Bewohner der Stadt, die verwundeten Soldaten in überfüllten La
;berfüllten Lazaretten oder das letzte Aufgebot aus Wehrmacht, Volkssturm und HJ an den Panzersperren nach dem 20. April 1945 ausgesetzt waren. Von diesem Tag an fraß sich der Krieg immer unerbittlicher durch die Häuserschluchten der Reichshauptstadt. Aus allen vier Himmelsrichtungen griff die Rote Armee an und rückte immer näher an das Regierungsviertel heran.Am Schlesischen TorDer Autor folgt der Chronologie der Geschehnisse, ohne eine Chronik oder einen Roman in Tagebuchform vorzulegen. Er beginnt mit dem 14. April 1945, als die Geschosse der sowjetischen Artillerie erstmals die Innenstadt erreichen, und schließt mit dem 2. Mai, als Lautsprecherwagen durch die geschleifte Stadt schleichen, um zu verkünden, dass General Weidling die noch verbliebenen Truppen auffordere, die Kämpfe einzustellen und sich zu ergeben.Wer war dieser Schriftsteller? Während der frühen 30er Jahre arbeitete Heinz Rein als Sportreporter, wurde dann 1935 von den NS-Behörden mit einem Publikationsverbot belegt, musste Gestapo-Haft und Zwangsarbeit ertragen. Als die Hitzewoge des Krieges durch die Zitadelle des NS-Staates rauscht, ist Rein in Berlin. Aus dem unmittelbaren Erleben des Grauens entsteht der Antrieb zum Schreiben. Veröffentlicht wird Finale Berlin ab Ende 1946 zunächst als Fortsetzungsroman in der Berliner Zeitung, ein Jahr später mit einer Auflage von gut 80.000 Exemplaren vom Ostberliner Dietz-Verlag herausgebracht. Nachauflagen in der DDR entfallen, vermutlich, weil Rein bald mit dem Dichter und Kulturminister, Johannes R. Becher, kollidiert. Anfang der 50er geht Rein in den Westen.Zentrale Figur bei Finale Berlin ist der 22-jährige Joachim Lassehn, der sich von der Wehrmacht absetzt und untertaucht. Am Schlesischen Tor bietet ihm ein Wirt eine halbwegs sichere Zuflucht und so etwas wie ebenfalls sicheren Anschluss. Im Hinterzimmer der Kneipe trifft sich eine Widerstandsgruppe, die umso aktiver wird, je näher die Rote Armee kommt. Die Männer nehmen Lassehn als einen der Ihren auf, um mit ihm auszurücken, wenn Flugblätter zu verteilen oder Hitler-Jungen an der Landsberger Allee zu überzeugen sind, nicht mit Flakgeschütz und Karabiner gegen sowjetische Panzer zu kämpfen. Die Widerständler, größtenteils Kommunisten, wie der Autor einer war, als er Finale Berlin verfasst hat, wirken wie eine Gruppe von Gutachtern, die unablässig fragen, was sich mit dem deutschen Volk noch anfangen lässt, wenn alles vorbei ist. Was erlauben Schuld und Sühne, Verstrickung und Mitläufertum an Überlebenswillen und -kraft? Wie können die einer Gesellschaft zugutekommen, die radikal und unwiderruflich mit dem Nazi-System bricht, weil dessen Wurzeln gekappt werden? Ihr Urteil fällt hart und klar aus, die Deutschen wollen zwar in ihrer Mehrheit den Krieg beenden, aber auf welche Weise, das scheint von untergeordneter Bedeutung zu sein. Es kann – muss aber nicht durch den Sturz des Nazi-Regimes geschehen. Auch wenn Heinz Rein viel Zweckoptimismus walten lässt: Der Endpunkt Berlin ist kein Wendepunkt für Deutschland. Vielleicht hat dieses Fazit auch etwas damit zu tun, dass am Ende die nicht mehr fassbare Totalität der Zerstörung Berlins fragen lässt, wie diese Stadt fortan existieren soll? Wie lange halten Menschen ein Lemuren-Dasein zwischen Ruinenfeldern, Kriegsschrott und kollektivem Sinnverlust aus?Rein begann zu schreiben, bevor sich dazu Verbindliches sagen ließ. Man könnte seinem literarisierten Schlachtengemälde ein Zuviel an grellen Farben vorwerfen. Die versöhnenden Pastelltöne fehlen mit ihrer verklärenden Mattigkeit – es ist besser so.Über den Morgen am 26. April heißt es: „Die Geschütze werden wieder aufbrüllen und Tod und Verderben über die Stadt schütten, die Flieger werden wieder wie vorsintflutliche Pterodaktylen über die Dächer rasen und mit eisernen Schnäbeln auf alles Leben einhacken, wieder werden Soldaten in einen sinnlosen Kampf getrieben, getötet und verstümmelt, und Frauen in bitterster Sorge um ihre Kinder nach Milch und Brot durch die zertrümmerten Straßen irren.“ In solchen Passagen erinnert Reins Roman mit dem Sinn für das atmosphärische Detail an Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands.Placeholder infobox-1