Es ist völlig egal, ob die von WikiLeaks publizierte interne Telefonkonferenz im IWF so oder anders gelaufen ist. Denn soviel dürfte feststehen: Wenn sich Poul Thomsen, der Direktor der IWF-Europa-Abteilung, Delia Velculescu, die IWF-Residentin in Griechenland, und die häufig in Athen verhandelnde IWF-Haushaltsexpertin Iva Petrova über Griechenland unterhalten, ist gut möglich, dass sie sich genau so austauschen, wie es jetzt dokumentiert ist.
Die Lage des hoch verschuldeten Euro-Staates legt das nahe. Zumal bekannt ist, dass der Währungsfonds einen Lösungsansatz verfolgt, den die Krisendompteure EZB und Euro-Finanzminister, sekundiert vom beratenden Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), so nicht teilen. Besonders wenn die Frage berühr
ilen. Besonders wenn die Frage berührt wird: nachhaltiger Schuldenerlass – ja oder nein? Wenn leitende IWF-Mitarbeiter, wie den geleakten Protokollen zu entnehmen ist, erneut über einen in Athen heraufdämmernden Staatsbankrott spekulieren, tragen dafür allein die Geldgeber Verantwortung, wenn es soweit käme. Es ist ihre Entscheidung, sollte das Land irgendwann in diesem Sommer erneut auf der Kippe stehen wie vor einem Jahr. Warum? Weil Griechenland mit einer Staatsverschuldung von derzeit 315 Milliarden Euro, die bei 174 Prozent des BIP liegt, ökonomisch nur dank externer Beihilfe existenzfähig ist. Eben dieser Kapital- bzw. Kreditfluss entscheidet über Sein oder Nichtsein – andere Vorkehrungen gegen eine Staatspleite gibt es nicht, solange die Griechen den Euro behalten bzw. behalten wollen.Ob nun ein Haushaltsüberschuss von zwei oder drei Prozent erwirtschaftet wird, die Renten und Gehälter im öffentlichen Dienst weiter gekürzt werden oder nicht – es ändert nichts daran, dass Griechenland sein Schicksal nicht selbst in der Hand hat.Bedrohte Schuldenarithmetik Zur Erinnerung – beim Brüsseler Nachtgipfel vom 12. zum 13. Juli 2015 überwog in der Eurozone der politische Wille, den angeschlagenen Staat in der Währungsunion zu halten. Der durch einen Grexit geschaffene Präzedenzfall hätte eine Erosion in der EU beschleunigt, von den Folgen für die Gemeinschaft im globalen Ranking ganz zu schweigen. Inzwischen wurde die Lage für das vereinte Europa mitnichten komfortabler – die Flüchtlingskrise, das Aussetzen von Schengen und ein denkbarer Brexit beleben zentrifugale Tendenzen. Dem Internationalen Währungsfonds beschert das zwangsläufig mehr Druckpotenzial, um seinen Vorstellungen beim Umgang mit Athen Geltungskraft zu verschaffen. Und das gerade jetzt.In dieser Woche wird die Troika in Athen erwartet, um zu überprüfen, ob die Regierung von Premier Alexis Tsipras den reformerischen Eifer zeigt, wie ihn die Auflagen des im Juli 2015 von Brüssel dekretierten III. Rettungspaketes (Volumen insgesamt 85 Milliarden Euro) verlangen. Werden nach dem Urteil der Evaluierer die nächsten Hilfstranchen in Frage gestellt, gerät die ganze Schuldenarithmetik aus der Balance. Wäre so die bis Ende 2016 fällige Schuldentilgung in Höhe von 26,7 Milliarden Euro gefährdet, könnte der nächste Showdown fällig sein – sprich: eine Staatspleite plus Grexit – zur realen Option werden. Dabei sollte der Umstand in kein Gedächtnisloch fallen, dass der IWF seinen Kapitalanteil am III. Hilfspaket von 17 Milliarden Euro noch nicht zur Verfügung gestellt hat und sich ohnehin nur unter der Bedingung beteiligt, dass weiter über Schuldenerleichterung der europäischen Geldgeber für Athen verhandelt wird. Nächster Anlass, dies zu tun, wird die IWF-Frühjahrstagung Mitte April sein. Große Koalition in Athen?Was den IWF in deren Vorfeld zum Handeln treibt, das ist der Wille, den Europäern einen in Washington immer schon favorisierten Schuldenschnitt abzuringen, aber auch der Wunsch, sich auf einen absehbaren Schachzug von Alexis Tsipras einzustellen. Der könnte schon bald der Nea Dimokratia (ND) als größter Oppositionspartei den Regierungseintritt und damit die große Koalition anbieten. Seine Allianz mit der rechten ANEL-Partei (Unabhängige Griechen) verfügt im Parlament nur über eine Mehrheit von drei Stimmen (insgesamt 153 Mandate) – das Rettungspaket III war Mitte August 2015 nur dank Leihstimmen aus der Opposition angenommen worden, weil die Regierung keine eigene Mehrheit zustande brachte. Warum nicht jetzt der ND ein Angebot machen, wenn die EU auf das Referendum in Großbritannien am 23. Juni über ein mögliches Ausscheiden aus der EU fixiert ist? Vor diesem Votum über einen Brexit kann die Staatenunion nichts weniger gebrauchen als eine weitere Debatte über das Thema Grexit? Das heißt, es sollte zuvor ein Konsens über Griechenland gefunden werden, den der IWF in seinem Sinne zu beeinflussen trachtet. Um es noch einmal zu sagen: Ob das mutmaßlich abgehörte Telefonat so stattgefunden hat oder nicht – was die IWF-Mitarbeiter dort sagen, steht auf der Tagesordnung. Wer die Lage Griechenland nur einigermaßen kennt und über den Dissens zwischen EZB, EU, ESM einerseits und IWF andererseits Bescheid weiß, kann sich das auch ohne WikilLeaks zusammenreimen. Ein nach der Veröffentlichung des bewussten Protokolls von IWF-Direktorin Christine Lagarde an Premier Tsipras versandter Brief stellt schließlich klar, dass der Währungsfonds große Zweifel hegt, ob der jetzige Griechenland-Kurs noch zu halten ist. Immerhin bezweifelt sie die Schuldentragfähigkeit des Landes.