Historische Vergleiche hinken immer, keine Frage. Zuweilen jedoch scheinen sie angebracht, um Analogien ins Bewusstsein zu rücken, die sich aus Handlungsmustern bei internationalen Konflikten ergeben. Zum Beispiel, wenn ein bestimmtes Verhalten als Reaktion auf bestimmte Situationen angekündigt wird und dahinter höchste staatliche Autoritäten stehen.
Da wir gerade das 100. Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges durchschreiten und besonders dessen Vorgeschichte rekapitulieren, als wollten wir daraus lernen, sei an folgendes erinnert:
Am 5. Juli 1914 kam der österreichische Sonderbotschafter Alexander Graf von Hoyos nach Deutschland, um sich noch am gleichen Tag im Potsdamer Neuen Palais mit Kaiser Wilhelm II. zu treffen. Was er zu übergeben hatte, war unter
effen. Was er zu übergeben hatte, war unter anderem ein Brief von Kaiser Franz Joseph I.. Aus dem ging klar hervor, dass die Habsburger Monarchie nach dem tödlichen Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand vom 28. Juni in Sarajevo gegen Serbien eine kriegerisches Exempel zu statuieren gedenke. Die nicht direkt ausgesprochene, aber das gesamte Schreiben durchziehende Frage lautete, könne man mit dem Beistand des verbündeten deutschen Kaiserreiches rechnen? Einen Tag später schon erhielt Hoyos aus dem Mund von Reichskanzler von Bethmann Hollweg die Zusage, im Falle des Falls werde man mit marschieren – der Blankoscheck für einen konzertierten Kriegseintritt. Danach gab es kein Zurück mehr – ein wenig prestigeträchtiger Rückzug kam nicht in Betracht. Er war der Wesens- und Denkungsart damaliger monarchischer Eliten fremd. Sie wollten es darauf ankommen lassen. Status quo bis heuteSeit gestern nun steht die Ankündigung von Präsident Putin in der Welt, dass weitere Angriffe auf die russische Bevölkerung in der Ostukraine Folgen haben werden. Was bisher geschah, sei ein „Verbrechen gegen das Volk“. Diese Konsequenzen können nach Lage der Dinge nur darin bestehen, „das Volk“ zu schützen. Wie sonst als militärisch? Putin hat sich darauf festlegt, um festgelegt zu sein. Es gibt wenig Spielraum für eine Korrektur, sollte die Übergangsregierung in Kiew weiter Panzer, Flugzeuge und Infanterie gegen bewaffnete Aufständische in Marsch setzen. Außenminister Sergej Lawrow hat in Moskau wohl nicht zufällig an den Georgien-Krieg vom August 2008 erinnert, als sich die russische Armee zum Eingreifen genötigt sah. Seinerzeit waren georgische Truppen im abtrünnigen Südossetien eingerückt und hatten dort ein Blutbad angerichtet. Teile Georgiens wurden daraufhin temporär besetzt und unter Moskauer Obhut die Unabhängigkeit Südossetiens proklamiert – der Status quo bis heute. Es spricht im Augenblick wenig dafür, dass Kiew einlenkt oder einlenken soll. Schließlich wurde die „Anti-Terror-Operation“ fortgesetzt, nachdem US-Vizepräsident Joe Biden Mitte der Woche in der ukrainischen Kapitale aufgetreten ist und die entscheidenden Leute der Übergangsadministration auf den harten Kurs eingeschworen hat: Eine militärische Lösung im Osten. Sollte es die wirklich geben, läuft das auf eine blutige Tragödie hinaus. Es sei denn, die Protestierenden und Aufständischen ziehen sich freiwillig zurück. Sieht es danach derzeit aus? Eher nicht Eines hätte den vielen journalistischen und politischen Beobachtern – bis hin zu denen der OSZE – auffallen müssen: Es gab bisher keinen ernstzunehmenden Versuch, mit den Aufständischen zu verhandeln. Sie wurden und werden stattdessen bis in die deutschen öffentlich-rechtlichen Medien hinein als „pro-russischer Mob“, „Kriminelle“ oder „Terroristen“ denunziert. Wie viel tote „Kriminelle“ und „Terroristen“ Kiew glaubt, riskieren zu können, wird sich zeigen. Nur soviel dürfte feststehen, mit jedem Toten mehr, wird ein Eingreifen Russland wahrscheinlicher. Will Kiew genau das? Wenn man schon die Ostukraine verliert, soll die Region dann auf diese Weise verloren gehen? Verspielt ist dieser Teil des Landes bis auf weiteres ohnehin. Man könnte fast meinen, eine Administration ohne Mandat des Wählers, von antirussischer Obsession getrieben und von ökonomischen Reserven weitgehend freigestellt, konnte gar nicht anders, als die Dinge derart auf die Spitze zu treiben – nicht unbedingt Voraussetzungen für rationales politisches Verhalten. Zwei ZügeDiese Exekutive widerlegt sich inzwischen sogar selbst, wenn nun sogar die geschmähten Berkut-Einheiten des gestürzten Präsidenten Janukowytsch zurückgerufen werden. Das Vaterland sei in Gefahr, heißt es zur Begründung. Wer sich solcherart alarmistischen Vokabulars bedient und blank zieht, tut das nur, wenn jemand im Hintergrund steht, der sehr viel stärker ist man selbst. Das sind eindeutig die Amerikanern, die sich den großen Konflikt mit Russland nicht mehr nehmen lassen. Den so zu verschärfen, dass die Konfrontation irreversible Züge annimmt, scheint für Barack Obama wichtiger zu sein, als die Ukraine als Ganzes zu halten. Was dort verloren geht, weil es wirtschaftlich nicht zu halten und schultern ist, soll durch die Feindschaft mit Moskau und das Einschwören des Westens auf eine Rückkehr zur bipolaren Welt kompensiert werden – das ist offenbar die Intention. Trifft das zu, und sehr vieles spricht dafür, dann ist eine Lösung der Ukraine-Krise vorerst weniger eine Frage der Vernunft, sondern nur noch der Kalküls und Pokerns mit dem Risiko. Wladimir Putin wird erst dann zu Konzessionen bereit sein, wenn die ihm aus Kiew vergolten werden – vermutlich als Vorleistung. Es hat den Anscheint, als rasten zwei Züge aufeinander zu und das Personal wie die Insassen hielten sich trotz des rasanten Tempos mit der Hoffnung auf: Zur Not lässt sich noch schnell ein zweites Gleis legen, um aneinander vorbei zu kommen. Vor 100 Jahren brach Wilhelm II. nach den Hoyos-Konsultationen zu seiner jährlichen Nordlandreise auf, von der allerdings vorzeitig zurückkehrte. Wladimir Putin traf sich nach seiner deutlichen Warnung an Kiew mit Verteidigungsminister Schoigu und führenden Militärs.