Winner takes all

Das US-Wahlsystem Der Verlierer kann gewinnen

Nachdem bei den Präsidentschaftswahlen im November 2000 erst ein Votum des Obersten Bundesgerichtshofes (US Supreme Court) eine Entscheidung zugunsten des republikanischen Kandidaten George W. Bush erbracht hatte, indem ihm (nach mehreren Nachzählungen) die Elektorenstimmen des Bundesstaates Florida zuerkannt wurden, war wieder einmal der Vorwurf zu hören, das US-Wahlsystem - die indirekte Wahl des Staatschefs über so genannte "Elektoren" (Wahlmänner) - sei überholt und antiquiert.

Als 1787 in Philadelphia über die Verfassung der Vereinigten Staaten entschieden wurde, gab es die Befürchtung, ein direkt vom Volk gewählter Präsident würde zuviel Macht auf sich vereinigen, während ein vom Kongress gewähltes Staatsoberhaupt zu schwach sein könnte. Gegen eine Wahl des Präsidenten durch die Parlamente der einzelnen Bundesstaaten wurde geltend gemacht, dies könne die Autorität des Zentralstaates unterminieren, den der Präsident repräsentiere. So fiel die Entscheidung zugunsten des "Electoral College" und wurde in der Verfassung verankert.

Danach bekamen die einzelnen Staaten Elektoren zugeteilt, deren Anzahl von der jeweiligen Bevölkerungszahl abhing. Elektoren sollten unabhängige Einzelpersönlichkeiten sein, die bei der Abstimmung über den US-Präsidenten zwei Stimmen besaßen, von denen mindestens eine für einen Kandidaten außerhalb des eigenen Staates abgegeben werden musste. Das Verfahren, die Elektoren zu wählen, oblag der Entscheidung des jeweiligen Bundesstaates.

Inzwischen hat sich die Praxis - obwohl die Verfassungsgrundlagen für das "Electoral College" nie revidiert wurden - erheblich verändert, weil die Parteien in den Bundesstaaten dazu übergegangen sind, ihre eigenen Listen mit Elektoren aufzustellen, die dem eigenen Präsidentschaftskandidaten verpflichtet sind. Dabei stehen auf jeder Liste gerade so viele Namen, wie in einem Staat Elektoren zu wählen sind. Das bedeutet, die Wähler votieren heute nicht mehr für unabhängige Elektoren, sondern für eine Parteienliste, auf der die Namen der "Wahlmänner" nur noch zweitrangig sind. Heute ist auf den entsprechenden Listen in der Regel nur noch zu lesen: "Elektoren für Kandidat XY", während auf eine namentliche Auflistung der Elektoren verzichtet wird. Für nahezu alle Einzelstaaten gilt dabei das Prinzip, dass der Präsidentschaftskandidat mit den meisten Stimmen alle Elektorenstimmen eines Staates bekommt - es gilt: "Winner takes all". Ausnahmen gibt es für Maine und Nebraska, wo nach einer gesonderten Proporzformel über die Verteilung der Elektoren-Stimmen entschieden wird. Nach wie vor hat jeder Elektor zwei Stimmen, die entsprechend einer Verfassungsänderung von 1804 dem Kandidaten für das Amt des Präsidenten sowie dem für das Amt des Vizepräsidenten gegeben werden müssen.

Wie sich vor vier Jahren gezeigt hat, kann bei diesem System der Fall eintreten, das ein Kandidat wohl die relative Mehrheit der abgegebenen Wählerstimmen auf sich vereinen kann, aber nicht über die absolute Mehrheit der Elektoren verfügt.


US-Präsidentschaftswahlen 1992 bis 2000

WahljahrKandidatenStimmen in ProzentWahlmänner absolut
(in Klammern
in Prozent)

1992Bill Clinton43,0370 (68,8)

George Bush sen.37,4168 (31,2)

Ross Perot18,9

Andere0,7

1996Bill Clinton49,3379 (70,4)

Bob Dole40,8159 (29,6)

Ross Perot8,5

Andere1,4

2000Al Gore48,4267 (49,6)

George W. Bush47,9271 (50,4)

Ralph Nader2,7

Pat Buchanan0,4

Andere0,6

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