1942: Leben auf Abruf

Zeitgeschichte Auf dem Landgut Steckelsdorf bei Rathenow bereiten sich junge deutsche Juden auf die Auswanderung nach Palästina vor. Doch die Hoffnung auf Ausreise schwindet
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 06/2022

Rabbi Singer will die Damen im Berliner Palästinaamt nicht erschrecken. Also nimmt er seinen Hut nicht ab. Wäre es anders, würde sichtbar, was seinem kahlen Schädel geschehen ist. Das Hakenkreuz, inzwischen vernarbt, haben ihm SS-Leute in die Kopfhaut geschnitten, als der Rabbi nach dem Pogrom vom 9. November 1938 in ein KZ deportiert worden war. Nach ein paar Wochen durfte er zurück nach Hause, zu seiner Frau Lea, Tochter Toni, den Söhnen Leo und David – auch da saß er mit Hut am Tisch. Weil sich alle dermaßen freuten über seine Wiederkehr und ihm so nah waren, sollten sie nicht sehen, wie nah ihnen womöglich sein Schicksal war.

Im Herbst 1939 – der Zweite Weltkrieg hat begonnen – meldet Singer in der Berliner Meinekestra&