Zuletzt blieb nur der Schrott des Krieges

Déjà Vu Vor 40 Jahren verkündete ein US-Präsident seine neue Strategie für einen Sieg in Vietnam

Während das Weiße Haus scheinbar noch einmal alles auf eine Karte setzt, bereiten einzelne US-Politiker und der Medien-Mainstream der Ostküste den Boden für einen Irak-Ausstieg. Vizepräsident Cheney bewertet die Sicherheitslage in vielen Landesteilen als "recht zufriedenstellend", so dass die Iraker allein dafür verantwortlich sein könnten. Kenneth Adelman, Kriegstrommler der Neokonservativen, meint in Vanity Fair: "Die Idee, unsere Macht für das moralisch Gute in der Welt einzusetzen, ist tot." Nur ein Indiz für den Trend, die Iraker als verderbt, anarchisch und kompromisslos hinzustellen, denen nun auch die USA nicht länger helfen könnten.

Nur die Treuesten der Treuen hat Lyndon B. Johnson im Herbst 1966 zur Gipfelkonferenz nach Manila gebeten. Australien, Neuseeland, Südkorea, Thailand und die Philippinen bilden die "Koalition der Willigen" des Indochina-Krieges und stehen den Amerikanern auf dem südvietnamesischen Gefechtsfeld mit eigenen Truppen zur Seite. Einige tausend Soldaten haben sie entsandt und sich damit zu einem mehr symbolischen Akt des Beistandes entschlossen, um das Bollwerk gegen den Kommunismus zu bewehren, als das Südvietnam seinerzeit gilt. In Manila hören sie von Präsident Johnson, die US-Armee gedenke, eine kriegsentscheidende Anstrengung zu unternehmen, sie wolle den Durchbruch. Er gedenke, das Vietnam-Korps gewaltig aufzustocken, mehr als 500.000 Mann auf den südostasiatischen Kriegsschauplatz zu verlegen und die Luftangriffe gegen Nordvietnam zu forcieren. Die GIs würden zu Offensiv-Operationen ausholen, wie es sie bisher nicht gegeben habe, und ganze Landstriche vom Vietcong* säubern.

Johnson pokert mit der Weltmachtrolle der USA und ahnt offenbar nicht, worauf er sich einlässt. Allen Warnungen zum Trotz soll es zum letzten Gefecht gehen - die Übermacht der Waffen, die Intelligenz der Strategie, die Überlegenheit der Moral werde den kommunistischen Gegner brechen.

Dabei sind mit dem Demokraten Johnson und seinen Beratern keineswegs ideologische Eiferer am Werk, die sich in einem Glaubenskrieg gegen ein "Reich des Bösen" wähnen, damals Ho Chi Minhs sozialistisches Sparta nördlich des 17. Breitengrades. Zwar kursiert die Dominotheorie und beschwört, falle Südvietnam, dann fielen auch Kambodscha, Laos und Thailand dem Kommunismus wie reife Äpfel in den Schoß, doch wird auf dem Manila-Gipfel die Amerikanisierung des Indochina-Krieges weniger im Glauben an eine Mission als in der Überzeugung beschlossen, Südvietnam werde als Bastion der Amerikaner gehalten. Deren Vorteile müssten nur ausgespielt werden.

Dies geschieht, nur sind die Folgen anders als erwartet. Drei Jahre nach Manila haben sich die Amerikaner im südvietnamesischen Dschungel verrannt, sofern sie ihn nicht durch Napalm bereits verbrannt haben. Es stellt sich heraus, dass ein nicht zu eroberndes Land wirklich nicht zu erobern ist. Trotz aller kriegsentscheidenden Anstrengungen. Mit der Formel "Den Krieg beenden und den Frieden gewinnen" zieht daraufhin der Republikaner Nixon gegen den Demokraten Humphrey in den 68er Wahlkampf und wird im Januar 1969 als 37. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Bald lassen erste Entscheidungen erkennen, wie sein Slogan gemeint ist: Aus Indochina abziehen, ohne das Gesicht zu verlieren. Drei Jahre nach Johnsons ultimativer Machtdemonstration braucht Nixon die finale Exit-Strategie. Schon Ende 1970 werden die ersten 25.000 Amerikaner zurückgeholt, von einer "Vietnamisierung des Krieges" ist die Rede und von einer dank amerikanischer Waffen haushoch überlegenen Feuerkraft der südvietnamesischen Nationalarmee (ARVN), die es nun allein richten werde und nach Übernahme aller US-Basen den Gegner aus dem Norden nicht zu fürchten brauche. Viele US-Militärs freilich zweifeln an der Kampfmoral der Südvietnamesen, glauben jedoch, wenn man die allein lässt, werden sie schon kämpfen. Wenn nicht für Freiheit und Demokratie, dann um ihr Überleben - die "Vietnamisierung des Krieges" als "Vietnamisierung der Särge".

Die Air Force operiert noch bis 1973 über Indochina, um eine Auflösung der ARVN aufzuhalten und der Regierung des Präsidenten Thieu im damaligen Saigon zu bedeuten, sie werde nicht geopfert, während die Amerikaner weitere Opfer vermeiden wollten. Acht Flugzeugträger kreuzen im Südchinesischen Meer und sorgen dafür, dass die Lufthoheit nicht ohne logistisches Rückgrat bleibt. Allerdings kann dieser strategische Trumpf nur ausgespielt werden, solange über dem Dschungel von Annam und Cochinchina nicht die schweren Regenwolken der Monsunzeit hängen und die US-Piloten zu wochenlangen Kampfpausen zwingen. "Die Drohung mit dem Einsatz unserer Luftwaffe muss glaubwürdig bleiben, damit die Moral der Regierung in Saigon nicht erschüttert wird, und die andere Seite keine Abenteuer versucht", erklärt Graham Martin, der CIA-Resident in Südvietnam, noch im Februar 1974, als bis auf einige Tausend Berater kein US-Soldat mehr auf südvietnamesischem Territorium steht. Vor den Fenstern seines Büros wird mit dem Tet-Fest gerade das "Jahr des Wasserbüffels" verabschiedet und Gian Dan, das "Jahr des Tigers", eingeläutet, das die Saigoner Regierung nur mit Mühe übersteht.

Die Vietnamisierung des Krieges erweist sich als Vorbote des Zusammenbruchs, der schließlich mit der Kapitulation vor den Siegern aus dem Norden am 30. April 1975 besiegelt wird. Ein Regime, das es nur gab, weil es die Amerikaner so wollten, konnte ohne die Amerikaner nicht überleben. Zu seiner letzten ökonomischen Wegzehrung werden bezeichnenderweise der Schrott des Krieges und die Finanzspritzen aus Washington - das Bollwerk gegen den Kommunismus sieht sich zum verlorenen Außenposten des Westens degradiert, wohl noch versorgt, zuletzt aus der Luft, eigentlich jedoch längst aufgegeben.

Anfang der siebziger Jahre aus Vietnam abziehende US-Soldaten tragen unter der Uniform T-Shirts mit der Aufschrift: "Die Hölle fürchte ich nicht mehr. Ich habe Vietnam erlebt". Eine maßlose Übertreibung, bestenfalls zwei von zehn der in Indochina stehenden US-Soldaten hatten jemals direkte Feindberührung, der Rest war in der Etappe, in Stäben oder auf den riesigen US-Basen von Cam Ranh bis Da Nang eingesetzt. Ganz anders als die Jahrzehnte später aus dem Irak heimkehrenden GIs.

(*) Im Westen gebräuchliche Bezeichnung, übersetzt: Vietnamesischer Kommunist.


Vietnam 1970 bis 1975

März/April 1970
Nach dem Sturz von Prinz Norodom Sihanouk intervenieren amerikanische Bodentruppen und Luftstreitkräfte sowie südvietnamesische Verbände in Kambodscha zur Unterstützung General Lon Nols, des neuen Staatschefs.

Januar - Juni 1971
Bis dahin größter Teilabzug der US-Armee (60.000 Soldaten).

März 1972
Großoffensive der nordvietnamesischen Armee und der Befreiungsfront Südvietnams (FLN) in Chochinchina. Die Amerikaner antworten mit einem verstärkten Luftkrieg gegen Nordvietnam.

Juli 1972
Wiederaufnahme der Pariser Friedensverhandlungen zwischen den USA und der Demokratischen Republik Vietnam.

Januar 1973
In Paris wird eine Waffenruhe für Vietnam vereinbart - es folgt nach der Pariser Vietnam-Konferenz einen Monat später ein Friedensabkommen, das neben den USA und den vietnamesischen Konfliktparteien auch China, die UdSSR, Frankreich und Großbritannien unterzeichnen.

April 1973
Der letzte Soldat der in Vietnam stationierten US-Kampfeinheiten verlässt das Land. Alle US-Militärbasen werden an die südvietnamesische Nationalarmee (ARVN) übergeben.

März 1975
Die Südvietnamesen verlieren die Küstenstädte Da Nang und Hue. Vormarsch der FLN und der Nordvietnamesen in Richtung Saigon. Dort kapituliert am 30. April die südvietnamesische Regierung.


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