Eines wollten die EU-Regierungschefs bei ihrem Gipfel ungern offiziell zu erkennen geben, aber doch inoffiziell sehr gern erkennen lassen - es gibt ein Bedürfnis, "wachsende Irritationen" über die Politik der Bush-Administration vorzuzeigen. Auf keinen Fall wäre daraus zu schließen, dass solch Unbehagen jedem EU-Mitglied gleichermaßen das Gesicht in Falten legt. Tony Blair gewährt dem Krieg in Afghanistan gerade einen gehörigen Truppennachschub. Doch die Suche nach einer Position für den "Tag X + 1" bleibt den Europäern nicht erspart. Sollte Bush den Irak angreifen, soll man sich dann in "kritischer", "vorsichtiger" oder besser "unbedingter Solidarität" üben? Und was bedeutet das Eine oder Andere für die transatlantischen Beziehungen?
Während Vizepräsident Cheney gerade in elf arabischen Staaten und der Türkei das Terrain sondiert und auf der nach vielen Seiten offenen Betroffenheitsskala von deutlichem Unmut (König Abdallah von Jordanien) bis zu reserviertem Vorbehalt (Kronprinz Abdullah in Saudi-Arabien) manches erfahren hat, bleiben die Europäer in Deckung. Diplomatische Defensive geht vor politischer Offensive, schien das Credo von Barcelona, offenbar von der Absicht getragen, durch Vorsicht im Verkehr mit der Supermacht der Welt gerade jetzt deren Affekte zu ersparen.
Wenn allerdings die transatlantische Kluft nicht nur eine virtuelle Größe mit einem gewissen (innen-)politischen Gebrauchswert ist, dann wäre es an der Zeit, über diesem Graben nicht länger den Spagat zu üben, sondern realpolitische Lockerungsübungen ins Auge zu fassen. Amerikas Vizeverteidigungsminister Wolfowitz hat genau das kürzlich auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit seinem Begriff von den "prä-emptiven Angriffen" der USA auf einzelne Länder herausgefordert. Bei derartigen Schlägen haben sich die Amerikaner längst das Recht der einsamen Entscheidung und des resoluten Alleingangs zuerkannt. Die Europäer könnten (oder sollten) dennoch frei entscheiden, welche Melodie sie dazu auf der zweiten Geige spielen. Die vom atlantischen Europa scheint um einige Dissonanzen zu reich. Die von gleichrangigen europäischen Partner aus dem Repertoire verschwunden. Die vom globalen Akteur zu gewagt. Die vom Juniorpartner zu selbstverständlich. Die vom Verweigerer wäre neu, ungewöhnlich und sensationell. Sie wäre wahrscheinlich europäischen Interessen zu nahe, um wahr zu sein. Eine so heraufbeschworene Bündniskrise würde die Europäer allerdings dazu zwingen, ihre Verteidigungsidentität zu hinterfragen. Ein Begriff, der immerhin Interventionsfähigkeit und "Krisenreaktionskräfte" von 60.000 Mann im Schlepp hat. Eine Überprüfung wäre längst fällig. Weniger, weil es den 11. September gab, sondern dessen Ursachen und Folgen gibt. Alles andere degradiert die Europäer zum subalternen Vorarbeiter im Ersatzteillager der Amerikaner.
Zweite Geige
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