Zwischen Traumschiff und Rettungsfloß

Opel in der Krise Die heutigen Proteste der Opel-Werker haben auch etwas von Geiselnahme der Öffentlichkeit durch die Wucht der Straße. Überkapazitäten im Automobilbau kappen sie nicht

Wissen die Herren Steinmeier (SPD) und Huber (IG Metall), was sie tun, wenn sie an diesem 26. Februar Zehntausende von Opelanern mit Hoffnung betanken, anstatt ihnen zu sagen: Wir können das leck geschlagene Schiff nicht wieder flottmachen, weil das bei allen sinkenden Schiffen schwierig ist. Wir können nur beten, dass wir Rettungsboote an Bord haben, die sich ausschiffen lassen und seetüchtig sind. Denn bei Opel kann nur gerettet werden, was wirklich marktfähig ist. Das Werk in Eisenach zum Beispiel mit seiner Corsa-Produktion, die derzeit stark nachgefragt ist. Ansonsten gilt, wer auf diesem Feld der freien Marktwirtschaft spielt und noch dazu in dieser Liga – der Kaste der Global Player nämlich –, der sollte nicht bitten und betteln, sondern den Realitäten ins Auge sehen, für die er selbst gesorgt hat.

An einer gründlichen Umstrukturierung kommt die Automobilindustrie im EU-Raum ebenso wenig vorbei wie in Nordamerika oder Japan. Weltweit werden in diesem Jahr 95 bis 96 Millionen Fahrzeuge wohl vom Band, aber nicht auf die Straßen rollen. Die freundlichsten Analysten prophezeien einen Absatz von höchstens 50 Millionen. Wer bezahlt den Rest?

Deshalb müssen Produktionskapazitäten abgebaut werden, auch bei Opel. Wenn eine unionsgeführte Bundesregierung dies mit Staatshilfen für den Konzern, egal in welcher Form, aufzuhalten gedenkt, werden mit Steuergeldern Autohalden bezahlt. Mit Realpolitik hätte das nicht viel zu tun. Vielleicht mit Nächstenliebe, vielleicht mit Angst vor dem Wähler. Auf jeden Fall wäre es politischer Betrug. Es sei denn, Merkel würde öffentlich der freien Marktwirtschaft abschwören. EU-Industriekommissar Verheugen sagt unumwunden: „Wenn irgendjemand glaubt, dass der Kapazitätsabbau nur außerhalb Europas geschehen und Europa davon nicht betroffen sein wird, dann lebt der in einem Traumland.“

Insofern hat der heutige Opel-Aktionstag auch etwas von Geiselnahme der Öffentlichkeit durch die Wucht der Straße. Das ist kühn und komisch zugleich. Wie oft hat sich die IG Metall in den letzten Jahren eines solchen Protestes geschämt, wenn es darauf angekommen wäre, den neoliberalen Amokläufern in den Arm zu fallen? Die soziale Enteignung Millionen abhängig Beschäftigter, die als Billigarbeiter in prekäre Tätigkeiten gedrängt wurden, und die ständige Angst derer, denen ein solche Abstieg täglich droht –, haben die nicht ursächlich etwas mit den Konjunkturstürzen und Absatzeinbrüchen zu tun, die nun Opel erreichen?

Und weshalb sollten für dieses Unternehmen Spielregeln des Systems außer Kraft gesetzt werden, mit denen doch die Opel-Belegschaften bisher gut leben mochten? Dazu gehört, nebenbei gesagt, auch der Verbund mit einem Mutterkonzern wie General Motors, der jetzt als Ausbund des Verderbens hingestellt wird, als ob dessen Synergien für Opel nicht stets auch ein geschätzter Marktvorteil gewesen wären – und es teilweise noch sind.

Gibt es so etwas wie befristete oder gar unbefristete Freistellungen von der Marktwirtschaft? Wenn ja, wo kann sich die Hertie-Kassiererin danach erkundigen – oder der Azubi, den sein Malermeister nicht übernimmt, weil er auf Dutzenden unbezahlter Rechnungen sitzt? Sind die Opel-Arbeitnehmer auch mit all jenen in der Gesellschaft so solidarisch, von denen sie jetzt Solidarität erwarten? Man will gar nicht danach fragen, ob sich Arbeitnehmerhände im Westen rührten, als in den neunziger Jahren der Osten industriell abgewickelt wurde, und Hunderttausende von Entlassenen stets die Begründung hörten: Ihr seid nicht marktfähig!

Wird die DDR nicht bis heute mit dem verbalen Stigma von der „verdeckten Arbeitslosigkeit“ versehen? Ist die heute – unter andern Umständen – plötzlich eine löbliche Einrichtung? Man könnte boshaft sein und sagen, der Staat kann Opel sowieso erst übernehmen, wenn er weiß, was ihn die Hypo Real Estate letzten Endes kostet. Tatsache ist auf jeden Fall, der Staat könnte Opel nur sinnvoll alimentieren, wenn entschieden wurde, wie General Motors mit seinen europäischen Standorten verfährt. Bis es soweit ist, müssen Merkel und Steinbrück nicht untätig sein. Sie können sammeln – die Hilfeersuchen von Zulieferern, Autohändlern, Spediteuren, Kommunen, die trifft, was Opel trifft. Möglicherweise macht sich mit Ford bald der nächste Autokonzern bemerkbar. Sie alle haben zuletzt viel gelernt. Sie glauben den Sonntagsrednern nicht mehr und erfinden die Freiheit neu: Ab sofort ist das nicht mehr die der Andersdenkenden, sondern der für sie Zahlenden.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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