Noch unsere Straßen?

Naziaufmarsch in Dortmund - Räumen wir nach und nach das Feld? Ein Kommentar.

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Als ich gestern Abend kränkelnd und durch die Einnahme eines medikamentenähnlichen Kräuterlikörs (Gurktaler) dann doch relativ gut gelaunt in mein Büro (meine Couch vor dem Fernseher) kam, war ich noch recht euphorisch. Einen Tag zuvor hatte ich doch meinen ersten Kommentar zu der Misere innerhalb der SPD veröffentlicht. Stolz wie Oscar, weil derfreitag.de diesen empfahl und sogar auch in den sozialen Medien bewarb, bestand mein gestriger Tag nur daraus mich perfekt für alle Eventualitäten aufzustellen. Da jetzt offenkundig meine Karriere als gut bezahlter freier Journalist beginnt, benötige ich den Zugang zu Twitter und natürlich eine eigene Homepage.

Was ich dann aber beim Twitter-Stöbern (gibt es dafür einen fachmännischen Ausdruck?) potentieller Verfolger und Folger sah, machte mich dann aber extrem traurig. Diverse Livevideos eines Twitternutzers Namens Korallenherz (https://twitter.com/Korallenherz) kursierten brandaktuell durch die Postings meiner 60 Verfolgten. Auf dem Video zusehen waren ca. 100 Neonazis, die quasi ohne jegliche Polizei durch „ihren Kiez“ – Dortmund Dorstfeld – liefen. Neben den üblichen Parolen, die schlimm genug sind, war auf einigen Videos deutlich zu hören, wie beispielsweise „Wer Deutschland liebt ist Antisemit“ skandiert wurde. Kameraleute wurden bedrängt und auf Garagen einiger Wohnhäuser wurde Pyro gezündet. Das alles ohne das Eingreifen der Ordnungshüter. Abgesehen davon, dass die Demonstration in Dortmund angemeldet war und man also wusste, dass – gerade in der aktiven Dortmunder Naziszene – einige Faschisten zu erwarten sind, hielt es die Polizei anscheinend doch nicht für nötig mit einer angemessenen Anzahl an Personal vor Ort zu sein. Wahrscheinlich dachte man sich, dass es ja sowieso keine Gegendemonstration gibt. Gab es auch nicht. Zusätzlich dachte man sich eventuell, dass es ja nun mal der Kiez der Dortmunder Neonazis sei und man sich ja deswegen sicher benehmen würde. Zusammengefasst: Im Video sind sowohl kaum Polizisten als auch Gegendemonstranten zu erkennen. Korallenherz bemängelt dies auch immer wieder während seiner Aufnahme.

Eingebetteter Medieninhalt

So traurig das klingt, interessiert mich nicht mal sonderlich, dass die Neo-Nazis dort Narrenfreiheit in der Auslebung ihrer kranken Ideologie hatten. Es macht mich nicht mal wütend, dass die Polizei es nicht für nötig hielt hier in angemessener Form für Recht und Ordnung zu Sorgen. Sicher ist das nicht schön, aber der Kern des Problems ist – zumindest für mich – ein anderer.

Wie kann es denn sein, dass es dort keine bzw. nur wenige, organisierte Gegendemonstranten gab? Wie kann es sein, dass es inzwischen fast schon salonfähig scheint, dass Nazis von ihrem Recht der Demonstrationsfreiheit, völlig ungestört, Gebrauch machen können. Vor einiger Zeit wäre das noch unvorstellbar gewesen. Vielleicht ist es aber der Tatsache geschuldet, dass sich dieser Vorfall in meiner Heimatregion ereignete. Immer öfter hört man in den Medien nun Aussagen wie „Den ca. 1000 Rechtsorientierten haben sich 600 friedliche Gegendemonstranten entgegengestellt“. Wenn ich mich richtig erinnre war ich vor 7 Jahren auf einer Demo gegen rechts – in Dortmund – bei der sich ca. 15000 Menschen 600 Nazis entgegenstellten. Auch bei den ersten Pegida-Demos in Dresden war der Widerstand wesentlich höher. Gibt’s da heute eigentlich noch großartige Gegendemos oder lässt man auch hier gewähren? Vielleicht ist das auch nur ein Gefühl, aber wenn man jetzt mal von der #Wirsindmehr-Geschichte absieht, dann fühlt es sich so an, als sei der Widerstand ganz schön eingeschlafen. Dortmund bestätigt mir mein Gefühl wieder.

Das Auflaufen rechter Gruppierungen, oder sogar Nazivereinigungen wird inzwischen von vielen, die damals noch auf die Straßen gegangen sind, geduldet bzw. hingenommen. Ich will damit niemanden an den Pranger stellen. Auch ich selbst gehe viel zu wenig zu Demonstrationen. Aber sollten wir das nicht mal überdenken? Das mag jetzt großkotzig klingen, aber sollten wir nicht für unsere Straßen kämpfen und nicht die selbigen der rechten Masse überlassen?

Es scheint extrem gefährlich zu sein wegzuschauen oder den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wir sehen auch wieder in Dortmund wozu das führen kann. Irgendwann ist es normal, wenn 100 Nazis ohne Polizei mit Rauchbomben und Fackeln durch die Straßen laufen und Dinge brüllen wie „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Irgendwann ist es normal den Hitlergruß zu zeigen.

Vielleicht werden irgendwann die Fackeln gegen Mistgabeln und die Rauchbomben gegen Steine eingetauscht. Vielleicht werden dann bald eben jene Steine in die Scheiben örtlicher Dönerbuden geworfen und vielleicht werden irgendwann wieder Bücher verbannt. Natürlich ist das jetzt auch Schwarzmalerei. Aber es sind einfach Parallelen zu erkennen. Wir müssen aufpassen, dass unsere Geschichte auch in Zukunft der nötige und stärkste Ordnungshüter in unseren Köpfen bleibt. Noch mal zu sagen „wir haben davon nichts mitbekommen“ nimmt uns keiner mehr ab!

Zum Abschluss aber auch noch mal ein Dankeschön an alle die, die noch auf die Straßen gehen. Die, die Gegenveranstaltungen organisieren und die sich teilweise selbst in Gefahr bringen um für das Wichtige einzustehen. Es gibt sie. Aber sie werden leiser. Nicht weil ihre Stimmen leiser werden, sondern weil die anderen Stimmen lauter werden!

Aufstehen!

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Geschrieben von

Lutz Nickel

Interessiert an: #Politik, #Medien, #Kultur, #KorrekterKommasetzung, #Musik, #Ruhrgebiet

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