BestOf Kneipenarbeit - Teil 1: die erste Nachtschicht

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Das Setting

In den Hauptrollen: Hassan(40), Frankie(50), Moni(50)

Nebendarsteller: Joe-vannie(35), der Chef als Gast

Fünf bis sieben weitere Gäste (30-60) zwei Kollegen und eine Kollegin auch als Gäste (25-30) als Statisten.

Es ist etwa 3 Uhr. Ich wurde vor einer Woche eingearbeitet, hatte eine Tagschicht und nun darf ich meine erste Nachtschicht in Eigenverantwortung durchziehen. Ich bin ganz schön aufgeregt. Ganz alleine hinterm Tresen, die ganze Nacht…hoffentlich geht das gut. Das geht es. Alle sind freundlich, ich bin bestimmt. Was mir Sicherheit gab, war im Übrigen auch Joe-vannies Anwesenheit. Denn ich wusste: wenn was ist, der Chef ist da. Seine Motivation, war wohl weniger die Sorge um mich, als die Lust zu feiern, aber das erfuhr ich erst ein paar Tage später und freute mich über dieses Kompliment, zeigte es mir doch, dass ich verlässlich und selbstbewusst wirke.

Es ist also drei Uhr morgens. Ich spiele Juliette And The Licks. Hassan freut sich. Er mag das Lied. Mach mal n bisschen lauter! Seinem Wunsch kann ich nicht nachkommen, denn erstens ist es laut genug und zweitens haben wir Nachbarn, die sich ganz gern mal bei der Ordnungsmacht über die Lautstärke beschweren. An dieser Stelle möchte ich mein Unverständnis für Leute äußern, die in die Innenstadt, über eine der Kneipen, die am längsten geöffnet haben, mit dem gemischtesten Publikum ziehen und sich dann über die Lautstärke beschweren, aber das ist eine andere Sache.

Frankie und Moni sind zusammen da und sitzen neben Hassan am Tresen. Frankie mag die Musik auch und hat schon ganz schön Schlagseite. Seine Hand trommelt mit steigender Schlagfrequenz auf dem Tresen. Hassan guckt schon ein bisschen genervt (Er ist übrigens Türsteher - aber nicht der aus einer anderen Geschichte, denn als die passierte, war er schon im Ruhestand - Herzleiden, aber auch das: eine andere Geschichte und wohl eher dem Drogenkonsum, als dem Nachtleben geschuldet). Mich macht das Trommeln auch nervös. Ich schaue Moni fragend an. Sie stupst Frankie in die Seite und deutet auf seine Hand. Er reagiert in dem er noch vehementer trommelt. Da schaltet Hassan sich ein: Alter, das nervt!

Was dann passiert, kann man wohl als Transformation bezeichnen. Frankie hält inne, überlegt, schaut zu Moni und legt los. Aus dem bis dahin einfach nur betrunkenem Gast, der Lust auf Musik hatte und wenig empfänglich für die Bedürfnisse seiner Sitznachbarn ist, wird ein Stammtischrassist, wie er im Buche steht. Nicht, dass er sich nur über Hassans flapsige Art ärgern würde, das könnte jeder verstehen, denn Hassan ist nicht unbedingt der sensibelste Mensch der Welt. Nein, Frankie muss das ganze mit einer gelallten Integrationsdebatte verbinden. Da muss man sich…allllls deutscher….in seiiiiiinem eiiiiigenem Land….hicks…von solchen Arabern, sagen lassen, was man darf und was nicht….wo leleleeben wir denn?

Ich schaue wieder zu Moni, die mehr als unangenehm berührt scheint, aber nicht in der Lage ist, seinen Ausbruch zu stoppen. Ey, Frankie: ich kassier jetzt ab, ne? Frankie zückt ohne zögern seine Geldbörse und zahlt mich aus. Dann guckt er fragend. Jetzt geht’s nach Hause. Es reicht für heute. Ja? Ja, geh mal schlafen! Frankie ist einsichtig, ich war ganz schön stolz, meinen ersten potentiellen Konfliktfall so souverän gelöst zu haben.

Meine Souveränität geht leider an Hassan vorüber. Der hat in seiner, sich steigernden Rage, nicht mitgeschnitten, dass ich Frankie abkassiert und heraus komplimentiert habe. Noch während Frankie sich also murrend aufsteht, packt Hassan ihn am Kragen und fegt ihn aus der Bar. Alle anderen Gäste sprangen auf und folgten den beiden nach draußen. Joe-vannie packt Hassan und zieht ihn von Frankie weg. Frankie will jetzt auch aufdrehen, aber Joe-vannie weiß genau um Hassans Zustand und dass man ihn in einem solchen nicht berechnen kann: Man Junge, hau jetzt ab, geh! Hassan reist sich los und als hätte Joe-vannie ein Gummiband an ihm befestigt, hält er ihn kurz bevor er Frankie erreichen kann fest. Frankie flitzt.

Während dieser Minuten stehe ich so hinterm Tresen und harre der Dinge, die da kommen. Die Bar: vollkommen leer. Draußen diese tumultartigen Szenen. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Hassan kommt wieder rein und sieht meinen Blick. Ob Frankie bezahlt habe, fragt er verschüchtert. Bitte? Alter, Hassan! Geht’s eigentlich noch? Wenn ich das hier richtig verstehe, bin ich diejenige, die bestimmt, wer, wie rausfliegt, oder? Hassan guckt zu Joe-vannie rüber. Der nickt. Oh man…tut mir leid, ich dachte…man Lu! Der hat voll die Nazisprüche abgelassen! Ich weiß, Hassan. Deshalb hab ich ihn abkassiert und gebeten zu gehen. Ich dachte Du weißt vielleicht nicht was Du machen sollst, ich wollte Dir helfen…Hassan, wir machen das in Zukunft einfach so: wenn es eine Situation gibt, in der ich Hilfe brauche, werde ich es Dich wissen lassen. Dann darfst Du. Aber so…neee, echt nicht.

Die ohnehin niedrige Gästezahl hat sich derweil halbiert und wir sind im Prinzip fünf Leute aus der Belegschaft plus Hassan und Moni. Die regt sich sichtlich auf. Wird rot. Ärgert sich. Ihr Frankie ist sonst nicht so, sie versteht das alles nicht. Und noch dazu in ihrer Stammkneipe. Wie peinlich!

Nachdem nun alles vorbei ist, die Leute sich beruhigt haben und die Anspannung von mir fällt, merke, ich das ich zittere. Dieses Gefühl wird mich von nun an durch viele Nächte bringen. Nicht etwa das Gefühl zu zittern, sondern das Gefühl, eine Situation vollkommen im Griff zu haben, die ganze Zeit den Überblick zu haben, um dann -wenn alles vorbei ist- zu merken, dass ich ein Mensch und keine Maschine bin. Auf diese Erkenntnis trinke ich, zusammen mit Joe-vannie und Carla, meiner Kollegin, einen eiskalten Grasovka. Dann wird geputzt, denn das Leben geht weiter, genau wie die Arbeit.


Wie gehabt: Namen (wenn auch nur gringfügig) geändert, Situationen nicht. Die Altersangaben sind ungefähre Werte und sollen nur dazu dienen, sich die Gesamtsituation zu verbildlichen.

Ich habe beschlossen, aus dem BestOf eine Serie zu machen (Anzahl der Episoden: unklar). Nächstes Mal gibt es entweder eine Geschichte zur Wichtigkeit eines entwaffnenden Lächelns, oder etwas über den Pfeiffer. In Planung: eine kleine Geschichte über Prototypen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

luzieh.fair

work in progress

luzieh.fair

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