Dein Weg

Kunibert Hurtig. Ein Nachruf.

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Ich muss mich outen. Er hat es sich gewünscht. Nicht das Outen, aber den Nachruf. Ohne Outing, kein Nachruf. Kunibert Hurtig war mein

Vater. Hans. Walter.

Am Morgen des fünften Februars hat er seine letzten Atemzüge getan und ist friedlich eingeschlafen.

Dem Tod gingen Entscheidungen voraus. Wir haben diese Entscheidungen vorausgesehen. Besser vorbereitet waren wir deshalb nicht. Zehn Tage zuvor hatte Hans einen Schlaganfall.

Er kam ins Krankenhaus und es gab Optionen. Am Ende einer jeden Option stand der Rollstuhl. In ihm saß Walter. Das wollte er nicht. Unter keinen Umständen. Er entschied sich also für Tor 3: nichts unternehmen und das Ende kommen lassen.

Wir sind sechs Geschwister. Das macht zwölf Schultern, die diese Last tragen. Hans hatte vier Enkel. Alle seine Kinder konnten sich von ihm verabschieden. Jedes auf seine Weise. Im Krankenhaus hat Kunibert mich gebeten "darüber" zu schreiben. Weil ich das so menschlich mache. Deshalb, und weil es mir gut tut, erfülle ich ihm diesen Wunsch.

Unser Verhältnis war ambivalent. Meines zu ihm wohl mehr als seines zu mir. Ich bin sehr froh, dass er die letzten Jahre Frieden hatte vor familiären Querelen. Dass er Opa sein konnte und am Leben seiner Kinder und Enkel mehr oder weniger teil hatte. Im Sommer wollte er kommen und für die Kröte eine Holzbude bauen.

Unser letztes Gespräch war ein authentischer Abschied. Hans ist bis dahin er selbst geblieben. Er zitierte einen Menschen von früher, der über den Verlust eines anderen sagte: "Er ist doch nicht gestorben, er hat nur aufgehört zu leben...ja, so ist es, ich höre einfach nur auf."

Gestern war nun die Trauerfeier.

Weil er den nächsten Frühling nicht mehr erleben wird, habe ich ihm Knospen mitgebracht. Sie kommen immer früher in den letzten Jahren. Bis zum Schluss war die Natur eine Konstante in seinem Leben und immer wenn ich in den nächsten Jahren auf die Knospen schaue, die wieder zu früh sind, werde ich an ihn denken.

Denn so wie die Pflanzen zu früh blühen, bist Du zu früh gegangen. Zu früh, um Deine Enkel aufwachsen zu sehen. Zu früh, um ihnen das Schnitzen beizubringen, oder mit ihnen Pfeil und Bogen zu bauen. Zu früh, um ihnen heimlich ein Eis zu kaufen. Zu früh, um ihnen zu erklären, was es bedeutet, wenn die Knospen immer früher kommen.

Jetzt werde ich Krötes Fragen nicht mehr mit das müssen wir den Opa mal fragen beantworten. Der Opa, der hätte das gewusst, ich muss da erstmal nachschlagen.

Wissen. Das war für Hans immer das Wichtigste. Er wusste eigentlich immer alles. Er kannte die Wahrheit. Sie war, zugegeben, nicht immer die Wahrheit der anderen Menschen, aber er war von ihr überzeugt.

Was mich sehr gerührt hat war, dass er um Verzeihung gebeten hat. Alle. Mögen die, denen ich gegen das Schienbein getreten bin mir vergeben...es waren viele, oder? Ja. Es waren viele getretene Schienbeine. Er war gnadenlos in seinen Urteilen. Schon immer. Aber die Menschen konnten sich immer aussuchen, ob sie damit klar kommen, oder nicht. Es sei denn sie waren mit ihm verwandt. In diesem Fall war das Leben mit ihm mitunter ganz schön aufreibend.

Bevor ich das Zimmer endgültig verlassen habe, sagte ich ihm, dass ich ihn als den Vater in Erinnerung behalten werde, der mir erklärt hat, wie die Natur funktioniert und das man Füchse nicht einfach streicheln kann. Mein im Sterben liegender Vater sagte mit leichtem Spott in der Stimme: Wie die Natur funktioniert, siehst Du gerade an mir.

Ja, das hast Du mir auch beigebracht. Sie ist gnadenlos.

Walters Lebensgefährtin hat ihm alles gegeben. Am Ende auch die Möglichkeit zu Hause zu sterben. Dafür hat sie meinen Respekt. Nicht jeder würde das für den Menschen tun, den er liebt.

Er war nicht nur hier in der Community umstritten. Er stritt sich. Mit Menschen. Mit Ämtern. Das Tat er gerne. Das gehörte zu ihm.

Hans, Du bist Dir bis zum Schluss treu geblieben. Das mag nicht jedem gefallen haben. Du magst nicht jedem gefallen haben. Deine Meinungen erst recht nicht. Auch mir nicht immer. Aber genau dieser konsequenten Linie ist es zu verdanken, dass wir Geschwister am Ende nicht miteinander streiten mussten. Du hast entschieden, dass Dein Weg nun zu Ende sein soll. Sollte er woanders noch weiter gehen (woran Du nie wirklich geglaubt hast) wünsche ich, dass Du dort glücklich bist.

Das Lied, das Du Dir im Falle Deines Ablebens gewünscht hast, passt. Das war Dein Weg.

Alles Liebe, Deine Tochter luzieh.fair

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Geschrieben von

luzieh.fair

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luzieh.fair

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