Die Tragik des männlichen Daseins

Toxische Maskulinität Wie ein nicht stattgefundenes Gespräch auf dem Spielplatz die große Fragen des Lebens ins Wohnzimmer trägt

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Dann eben nicht
Dann eben nicht

Foto: imago/Photothek

Meine Schwester hat mich vor einiger Zeit gefragt, ob in meinem Freundeskreis schon Phase drei begonnen hat.

Die Phase der Trennungen. Bei ihr ging es wohl bereits los.

Nach der Phase des studentischen Lotterlebens kam die Flucht in die bürgerliche Zweierbeziehung inklusive Familienplanung und Umsetzung selbiger.

Und dann eben: Phase drei.

Naja.

Kurz nachdem sie fragte ging es auch tatsächlich los.

Eine langjährige Freundin trennte sich.

Nach 10 Jahren Beziehung und einem fast dreijährigem Kind. Es gab viel hin und her und allen ging es schlecht. So eine Trennung ist ja immer auch eine Probe für den Freundeskreis.

Die Getrennte und ich haben in den nächsten Wochen viel besprochen und geschwiegen. Haben uns oft gesehen und in den Armen gelegen. Oder einfach mit den Kindern rumgehangen und die Nachmittage rumgebracht.

Eines Abends saßen mein Partner und ich auf dem Sofa und sprachen über den Tag. Er hat sich mit dem Getrennten und den Kindern auf dem Spielplatz getroffen. Ich hatte ihn etwas dazu gedrängt, weil ich das Gefühl hatte, dass er jemanden zum Reden braucht.

Ich: „Und? Wie geht es ihm?“

Er: „Dazu sind wir gar nicht gekommen“

Ich schaute ihn an und war einen Moment sprachlos.

Ich: „Dieser Dialog zwischen uns spielgelt die gesamte Tragik des männlichen Daseins wieder

Er: „hm….“

Er weiß, dass ich Recht habe. Ich sehe es.

Ich: „Das tut mir wirklich leid für Euch.“

Er: „Ich weiß.“

Es gab schon andere Momente, die mir das Dilemma deutlich vor Augen geführt haben. Mein Partner hatte zum Beispiel vor Jahren eine recht ausgeprägte Depression. Er war sechs Wochen zur psychosomatischen Kur und konnte dort Strategien entwickeln, die ihm auch heute (oft) noch helfen, seine Bedürfnisse und Gefühle zu verbalisieren. Das war und ist immer noch und immer wieder harte Arbeit. Für uns beide.

In der harten* Zeit, die wir durchgestanden haben, hat sich keiner seiner Freunde bei ihm gemeldet. Und ich habe lange gebraucht, dieses Verhalten zu deuten. Zu verstehen, dass es nichts mit der Qualität der Freundschaft oder dem Charakter der Freunde zu tun hat, was dort passierte. Oder eben nicht passierte.

Dieses Nichts-Sagen-Können.

Nichts-Wissen-Wollen.

Keine Schwäche zeigen und auch dem anderen diese nicht zugestehen, weil Mann sich sonst mit seiner eigenen Verletzlichkeit auseinander setzen müsste.

Dass ist wohl auch ein Aspekt der toxischen Männlichkeit, die derzeit in aller Munde ist. Wenn ich den Begriff in den Mund nehme denke ich weniger an Machos und Macker, die der Gesellschaft und dem Zusammenleben schaden. Ich denke an Männer, die sich selber nicht gut und nichts Gutes tun.

Es ist tragisch.

Und ich wünsche mir so sehr, dass es wirklich nur die Sozialisation ist. Dass es anerzogen und nicht angeboren ist.

Für unseren Sohn.

Aber auch für unsere Tochter.

*alle Synonyme, die Word mir für „hart“ vorschlägt, passen überhaupt nicht in diesen Kontext…"abgestumpft, abgebrüht, anteillos, unbewegt"???...ich meine: kräftezehrend, wofür Word bezeichnenderweise kein Synonym bereit hält.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

luzieh.fair

work in progress

luzieh.fair

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden