Wenn mich die Schreiblust überkommt, sitze ich oft da und frage mich: worüber denn? Klar, das gesellschaftlich relevanteste Thema sind momentan die flüchtenden Menschen. Aber was kann ich dazu sagen? Was kann man überhaupt sagen, wenn man nur noch sprachlos vor den verschiedenen Medien sitzt und sich die Tränen nicht mehr verkneifen kann? Die Sprachlosigkeit setzt sich fort, wenn ich die Bilder aus Dresden und Erfurt (et al.) sehe und in meinem Kopf die Bilder aus den tiefen meiner Erinnerung aufsteigen. Wenn die Kröte am Frühstückstisch sitzt und mich mit ihren drei Jahren fragt:
Mama, wer ist denn da gestorben?
Nach einem kurzen Moment der Irritation merke ich, dass sich die Frage auf die Nachrichten bezieht.
Da ist ein Boot untergegangen und dann sind die Menschen ertrunken.
Warum?
Es war vielleicht zu voll, oder zu klein.
Nein, warum sind die Menschen ertrunken?
Weil die Wellen im Meer einfach zu hoch sind.
Und was haben die Menschen da gemacht?
Die waren auf der Flucht. Sie konnten nicht mehr in ihren Häusern bleiben.
Warum denn nicht?
Diese Sprachlosigkeit.
Was soll ich denn einem Dreijährigen von Krieg, Angst, Hunger und Verzweifelung erzählen?!
Weißt Du, nicht alle Menschen leben so wie wir. Es gibt Gegenden auf dieser Welt, da haben die Menschen ein so anstrengendes Leben, dass sie einfach nur weg wollen.
Und wohin?
Dahin wo es ihnen besser geht. Hierhin zum Beispiel.
Jetzt ist die Kröte sprachlos. Sie runzelt die Stirn:
Aber Mami, hier wohnen wir doch schon und unsere Nachbarn.
Diese Sprachlosigkeit.
Am Frühstückstisch mit meiner dreijährigen Kröte über Krieg und Verfolgung und deren Gründe, sowie die daraus resultierende notwendige Solidarität zu sprechen, stand bisher nicht ganz oben auf meiner Agenda. Er ist doch noch so klein. Was muss man in dem Alter denn den Ernst und die Grausamkeit der Welt vor Augen geführt bekommen?
Ach, das ist wieder so eine Geschichte bei der ich die Waagschale herausholen muss.Oder, um in der Küche zu bleiben: den Salzstreuer. Den mit den kleinen Löchern. Es kommt hier vermutlich auf die Dosis an.
Wer fragt bekommt Antworten. Die Kröte fragt viel.
Aber alle Antworten kann und will ich ihm noch nicht geben. Noch ein bisschen die Welt fernhalten.
Nächste Woche packen wir gemeinsam die für den Flohmarkt aufgehobenen Winterklamotten, um sie einer lokalen Flüchtlingsinitiative zu geben. Dann werde ich wieder die eine oder andere Prise Realität ausstreuen.
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Kommentare 7
danke für´s aufschreiben und teilen von krötes welt 2015 * sehr gerne gelesen, wobei das thema krötenfragen für mich sehr far, far away ist - wegen keine kröte, keine fragen * dem feeling nachgedozzert könnte ich jetzt raushauen schwein gehabt (doggies stellen keine fragen) * den wahsinn der welt, in keine angst vorm leben machende, klare, einfache worte zu übersetzen ist eine ganz besondere herausforderung (alleine diese paar worte habe ich schon als not so easy empfunden) * wünsche ein feines restwochenende cp
Ach,es sind ja nicht alle Fragen thematisch so schwer. Warum die Blätter rot werden und abfallen, oder wieso alles runter fällt, was von oben kommt...
Und Ihr Hund stellt keine Fragen? Meiner fragt mich ständig was...die Antwortmöglichkeiten sind zwar eingeschränkt (Futter oder streicheln) aber naja...
Danke für den Kommentar!
Ja, so ist das, nicht ganz einfach. Doch klar ist, dass ihre eigene Angst sich unbewusst schon auf Kröte überträgt. Absichtslos. Automatisch. Alternativlos. Und ganz sicher hilft ein Helicopter-Mutti-Dasein Kröte nicht weiter, im Gegenteil. Vom Ende der Unschuld könnte die Rede sein. Behutsames Einführen in die reale Welt: Lügen & betrügen, hauen & stechen, Tipps & Tricks - ach ja, der Frédéric, der sammelt lieber schöne bunte Herbstblätter, für den Winter, damit er sich dann an ihnen freuen kann, wenn alles kalt und grau geworden sein wird.
Der Frédéric sammelt Farben, damit alle sich an ihnen erfreuen können, wenn es ungemütlich wird.
Helikopter-Mutti hat mich bisher noch keiner genannt. Und bevor sie sich mit der Ettikettiermaschine durch die Schubladen wühlen, gucken sie sich das was drin liegt doch erstmal genau an.
Die Kröte wird die Härten der Welt erleben. So oder so. Ich kann sie mit dem nötigen Handwerkszeug ausstatten, diesen zu begegnen: Urvertrauen, Selbstbewusstsein und -achtung, Einfühlungsvermögen...so was halt.
Ja, wir Eltern müssen in dieser medialen Flut Leuchtturm und Wellenbrecher sein. Wir müssen erklären und auch vieles kindgerecht vorkauen. Dabei begeben wir uns zwangsläufig wieder in diese magische Kinderwelt, das Paradies, aus dem wir selbst schon längst vertrieben wurden. Es ist wirklich auf exakte Dosierung, mit viel Fingerspitzengefühl, zu achten.
Bei mir selbst hat sich folgende Erinnerung eingebrannt : Anfang der achtziger, ich im Kindergartenalter, habe ich zusammen mit meiner Oma einen meiner Onkel zum Ostermarsch gebracht. Ein kühler, sonniger Frühlingsmorgen. Ich sehe noch die vielen Leute auf dem Platz und die Fahnen mit der weißen Friedenstaube vor mir. Auf dem Rückweg fragte ich meine Oma, warum die ganzen Leute da zusammen irgendwohin marschieren. Meine Oma, trocken wie sie war : " Damit sie uns keine Atombomben auf den Kopf schmeißen. " Ich wusste natürlich nicht, was eine Atombombe ist und warum irgendjemand jemand anders so etwas auf den Kopf schmeißen sollte, aber irgendwie hat diese Antwort gesessen. Ich weiß noch, dass ich bis nachmittags auf der Couch gelegen und Rotz und Wasser geheult habe und meine Oma sich nicht mehr zu helfen wusste ( " das ist doch nur ein Märchen, so wie der gestiefelte Kater. ..")
Oje...ja ich erinnere mich an eine Situation, vermutlich 1990. In unserem Badezimmer lief das Radio. Die Nachrichten dieser Tage schienen sehr wichtig, wurden wir doch zu absoluter Stille verdonnert und es herrschte eine nicht zu begreifende Anspannung. Meine Eltern jedenfalls unterhielten sich und es fiel der Satz: ich habe Angst. Ich fragte: Woor hast Du Angst? Mein Vater, der heikele Fragen hin und wieder mit "Du darfst zwar alles essen, aber nicht alles wissen" beantwortete sagte nur: vorm 3. Weltkrieg.
Ich war 8 Jahre alt, hatte schon vom 2. Weltkrieg gehört ( meine Oma hatte ihn schließlich erlebt)und ein wages Konzept von dem, was es bedeuten könnte wenn der 3. WK kommt. Nur das mein gerne fatalistischer Vater keinen Hehl daraus machte, das bei den Waffen, die dann benutzt würden nicht mehr viel übrig bleiben würde von der Welt. Eine ganze Zeit wartete ich auf Flugzeuge und Bomben und fragte mich immer, wo ich mich verstecken könnte.
Danke für den Kommentar.
Danke für Ihren Beitrag! Sicherlich ist es schwer - als aufmerksame und sensible TV-Konsumentin, muss man heutzutage viel Weinen. Und dann die Bilder ... diese Bilder. Aber ich habe einen Trost für Sie: seien Sie froh, dass Sie nur die paar für das TV ausgewählten Bilder sehen. Sie sehen nicht wie es den Syrer in Syrien geht, auch dank der EU-Sanktionen. Sie sehen nicht wie das jemenitische Volk von amerikanischen Drohnen und den Waffen der freundlichen Nachbarstaaten zerfetzt wird. Und Sie sehen auch nicht, wie türkische Bomben die Kurden massakrieren. Denn auch das könnte einen sprachlos machen, wenn man es denn als Bilder im Kopf hätte. Apropos "aufgehobene Winterklamotten", da hätte ich noch ein Salzkörnchen für Ihren Salzstreuer: von den 2,6 Mio. armen/ von Armut bedrohten Kindern in D haben 10% keine ausreichende Winterbekleidung! Kommt nicht im TV, deshalb kümmert sich ja auch keiner darum. Ist aber deswegen nicht weniger wahr. Oder um es kindgerecht auszudrücken: Klingt komisch, ist aber so!