Kleines Salzkorn Wahrheit

Flucht und Gewalt Wie kann ich meinem Kind die Welt erklären, ohne es in Angst und Schrecken zu versetzen? Ein Versuch

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Wie erklärt man einem Kind die Nachrichten?
Wie erklärt man einem Kind die Nachrichten?

Foto-Illustration: Peter Macdiarmid/AFP/Getty Images

Wenn mich die Schreiblust überkommt, sitze ich oft da und frage mich: worüber denn? Klar, das gesellschaftlich relevanteste Thema sind momentan die flüchtenden Menschen. Aber was kann ich dazu sagen? Was kann man überhaupt sagen, wenn man nur noch sprachlos vor den verschiedenen Medien sitzt und sich die Tränen nicht mehr verkneifen kann? Die Sprachlosigkeit setzt sich fort, wenn ich die Bilder aus Dresden und Erfurt (et al.) sehe und in meinem Kopf die Bilder aus den tiefen meiner Erinnerung aufsteigen. Wenn die Kröte am Frühstückstisch sitzt und mich mit ihren drei Jahren fragt:

Mama, wer ist denn da gestorben?

Nach einem kurzen Moment der Irritation merke ich, dass sich die Frage auf die Nachrichten bezieht.

Da ist ein Boot untergegangen und dann sind die Menschen ertrunken.

Warum?

Es war vielleicht zu voll, oder zu klein.

Nein, warum sind die Menschen ertrunken?

Weil die Wellen im Meer einfach zu hoch sind.

Und was haben die Menschen da gemacht?

Die waren auf der Flucht. Sie konnten nicht mehr in ihren Häusern bleiben.

Warum denn nicht?

Diese Sprachlosigkeit.

Was soll ich denn einem Dreijährigen von Krieg, Angst, Hunger und Verzweifelung erzählen?!

Weißt Du, nicht alle Menschen leben so wie wir. Es gibt Gegenden auf dieser Welt, da haben die Menschen ein so anstrengendes Leben, dass sie einfach nur weg wollen.

Und wohin?

Dahin wo es ihnen besser geht. Hierhin zum Beispiel.

Jetzt ist die Kröte sprachlos. Sie runzelt die Stirn:

Aber Mami, hier wohnen wir doch schon und unsere Nachbarn.

Diese Sprachlosigkeit.

Am Frühstückstisch mit meiner dreijährigen Kröte über Krieg und Verfolgung und deren Gründe, sowie die daraus resultierende notwendige Solidarität zu sprechen, stand bisher nicht ganz oben auf meiner Agenda. Er ist doch noch so klein. Was muss man in dem Alter denn den Ernst und die Grausamkeit der Welt vor Augen geführt bekommen?

Ach, das ist wieder so eine Geschichte bei der ich die Waagschale herausholen muss.Oder, um in der Küche zu bleiben: den Salzstreuer. Den mit den kleinen Löchern. Es kommt hier vermutlich auf die Dosis an.

Wer fragt bekommt Antworten. Die Kröte fragt viel.

Aber alle Antworten kann und will ich ihm noch nicht geben. Noch ein bisschen die Welt fernhalten.

Nächste Woche packen wir gemeinsam die für den Flohmarkt aufgehobenen Winterklamotten, um sie einer lokalen Flüchtlingsinitiative zu geben. Dann werde ich wieder die eine oder andere Prise Realität ausstreuen.

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Geschrieben von

luzieh.fair

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