Oury Jalloh - Solidarität vs. (Un)rechtsstaatlichkeit

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Am vergangenen Samstag gab es in Dessau eine Solidaritätskundgebung für Oury Jalloh. Dieser ist vor sieben Jahren unter ungeklärten Umständen in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben gekommen. Also, die Umstände sind schon soweit geklärt, nur eben die Schuldfrage nicht. So zum Beispiel die Frage danach, ob ein Beamter, der den Feueralarm bewusst ignoriert sich schuldig macht, wenn danach jemand verbrannt ist, oder ob die Tatsache, dass der Verbrannte ohnehin schon vorher tot war, das ignorieren des Feueralarms nicht ganz so sein lässt.

Aber gut, zu den juristischen Sachen soll man nicht so viel sagen, solange es kein rechtskräftiges Urteil gibt. Das Urteil „Freispruch“ wurde in jedem Fall vom Bundesgerichtshof widerrufen, was nun zur Folge hat, dass der Prozess gerade neu verhandelt wird.

Das Urteil wird Experten zufolge wohl ähnlich ausfallen, aber vielleicht wird ja das, was der vorsitzende Richter nach dem ersten Prozess monierte, nicht mehr geschehen:

Das Gericht habe "nicht die Chance gehabt, das, was man ein rechtsstaatliches Verfahren nennt, durchzuführen". Polizeibeamte hätten im Zeugenstand "bedenkenlos und grottendämlich" falsch und unvollständig ausgesagt, die Freisprüche für die beiden Angeklagten beruhten nicht darauf, "dass wir herausgefunden hätten, was sich am 7. Januar 2005 im Polizeirevier Dessau abgespielt hat". - "Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen"

Zurück zu Samstag. Hier gab es nämlich im Rahmen der besagten Kundgebung die Ansage der zuständigen Polizei, dass man Plakate und Parolen, wie es sie in den Jahren zuvor gegeben hatte, nicht mehr hinnehmen würde.

Ansage bedeutet in diesem Fall, nicht die offizielle Verkündung von Demonstrationsauflagen, wie es üblich ist, sondern die Tatsache, dass Mouctar Bah, ein wichtiger Mitstreiter der Initiative, die die Aufklärung der Todesumstände seit Jahren fordert, in seinem Laden von zwei Beamten aufgesucht wurde, die ihm mitteilten, dass er für jeden Demonstrationsteilnehmer, der das Wort „Mord“ benutze, persönlich zur Verantwortung gezogen werden würde.

Oury Jalloh, das war Mord“ stand aber trotzdem auf einigen Transparenten und wurde auch von den sich Solidarisierenden skandiert.

Das nahm die Polizei nicht hin.

Und wie sie es nicht hin nahm. In üblicher Robocopmontur versuchten sie die PlakathalterInnen dingfest zu machen, anstatt -vielleicht auch aus Respekt gegenüber Oury Jalloh- den Slogan, wie in den sechs Jahren zuvor, zu tolerieren.

Die Demonstration eskalierte erwartungsgemäß. Im Zuge der Folgenden Auseinandersetzungen wurden mehrere DemonstrationsteilnehmerInnen schwer verletzt und/oder festgenommen und Mouctar Bah, wurde am Ende der Demonstration schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Nachdem er schon vor Beginn der Demonstration und auch im weiteren Verlauf immer wieder den gewalttätigen Übergriffen der Beamten ausgesetzt war, ahnte er schon, dass das die genannte Verantwortung war, die er zu übernehmen hatte.

Es ist relativ schwierig, in der bürgerlichen Presse Berichte über die Demonstration zu finden. Hier gibt es eine Pressemitteilung vom The VOICE Refugee Forum.

Die Mitteldeutsche Zeitung hat hier einen Artikel online .

Und nach der Lektüre von Berichten auf einschlägigen Blogs und Informationsplattformen, lassen sich Demoverlauf und Eskalationsstrategie der Polizei weiter erahnen.

Was bleibt dazu zu sagen, außer dem Hinweis auf einen treffenden Kommentar, der unter dem MZ-Artikel steht:

„Bei Migranten, die sich demütig wie Klischee-Exoten verhalten, da reißt man sich in Sachsen-Anhalt mittlerweile zusammen. Schließlich hat man gelernt, dass ein bisschen Folklore gut fürs Image ist. Sobald aber Migranten selbstbewusst ihre Rechte in Anspruch nehmen, da zeigt man dann, wo der Hammer hängt.

Der rabiate Auftritt der Dessauer Polizei ist eine Katastrophe für das friedliche Zusammenleben von Menschen. Und er verstärkt den Rassismusverdacht, der auf den dortigen Beamten nicht erst seit dem Tod Oury Jallohs liegt.

Und nicht zuletzt muss sich nun der neue Innenminister kritische Fragen gefallen lassen. Hat er selbst den Strategiewechsel im Umgang mit Transparenten veranlasst? Oder ermutigt er indirekt durch Auftritt und Worte zu dem rabiateren Umgang mit Demonstranten?“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

luzieh.fair

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