Familienforschung im Olymp

Mythos und Liebe Dem Vorwurf des Anthropomorphismus müssen sich die griechischen Mythen bis zuletzt stellen.

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Der aus schwierigen familiären Verhältnissen stammende kleine Zeus (sein Ur-Großvater: das Chaos selbst!) wächst bei seiner naturverbundenen Großmutter Erde auf der Insel Kreta auf. Nach einem großen Familienstreit lernt der junge Gott das Mädchen Metis kennen und weil sie so schlau ist, verliebt er sich in sie. Sie wird von ihm schwanger und Zeus verspürt auf einmal den großen Wunsch das Kind selbst auszutragen (weswegen er Metis kurzerhand verspeist). Bald leidet er unter großen Kopfschmerzen und bittet seinen Freund Hephaistos, ihm den Schädel zu spalten. Die vollgerüstete Athene entsteigt seinem Haupt und Zeus hat eine Tochter.

Hephaistos war im übrigen zuvor von Hera, Zeus' späterer Ehefrau, aus Wut über ihren Zukünftigen, ohne männliche Hilfe gezeugt und geboren worden. Dieses Ausmaß an Konfliktmanagment kann auch für damalige Verhältnisse schon als Glanzleistung gelten, waren doch zu Aphrodites Zeugung neben dem Samen Uranos' ins Meer geschleuderten Gliedes zumindest noch die Schaumkronen notwendig gewesen.

Während ihr Vater tatsächlich Polyamorie lebt (leider nicht in allen Fällen optimal kommuniziert), entspricht die kopfgeborene Athena dem, was heute als asexuell bezeichnet werden würde und geht keinerlei Liebesbeziehungen ein.

Nicht nur Zeus liebt ungeachtet jeglicher Standesunterschiede, ebenso handhaben es viele der Göttinnen. So verkehrt Demeter mit dem sterblichen Iasios auf "dreimal geackertem Brachfeld" Kretas und zeugt so Plutos.

Das Verhalten des kleinen Eros, der zu allen Göttern und Göttinnen ins Bett steigen darf, wird ebenso als normal wahrgenommen wie das von Kalamos, Sohn des Flussgottes Mäandros, der nach dem Tod seines Liebhabers wünscht, in ein Schilfrohr verwandelt zu werden.

Da wünschte mensch manchmal, dass der Kanon sonntäglich besprochener antiker Werke weiter wäre - möglicherweise stünden wir der Komplexität des emotionalen und sexuellen Verhaltens der Menschen etwas aufgeschlossener gegenüber.

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Geschrieben von

Lila Wendel

denkt wie ein ganz normaler weißer mitteleuropäischer typ

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