Operation MOS MAIORUM - römisch kreativ?

Polizeioperation Seit Montag beteiligt sich die deutsche Polizei an einer EU-weiten Aktion, welche den lateinischen Namen MOS MAIORUM trägt

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Operation findet ab Montag, den 13.10. bis zum 26.10.2014 unter der italienischen EU-Ratspräsidentschaft statt. Ca. 18.000 Polizist*innen aus mehr als 20 Mitgliedstaaten werden in Einsatz gehen. Bei vorherigen Maßnahmen dieser Art wurden allein in Deutschland um die 1.900 Menschen ohne Papiere aufgegriffen. Viele dieser Personen stammten aus Syrien, Eritrea, Palästina, Gambia und Afghanistan. Die Operation trägt den lateinischen Namen MOS MAIORUM. Was hat ein solcher Rückgriff auf ein antikes Konzept zu bedeuten?

Nach offiziellen Angaben ist das Ziel der gemeinsamen Polizeioperation (Joint Police Operation, Abk. JPO) die organisierte Kriminalität zu schwächen, welche die unbefugte Immigration in die EU und den Schengenraum ermöglicht. Der Fokus liegt auf den Grenzübertritten. Es sollen Informationen über Hauptmigrationsrouten gesammelt werden und Erkenntnisse über die Operationsweise der "kriminellen Netzwerke, welche Menschen in EU-Territorium schmuggeln" gewonnen werden. Aufbauend auf diesen sollen gemeinsame Maßnahmen entwickelt werden, um die unbefugte Grenzüberschreitung zukünftig mehr einzudämmen [1].

Bereits seit einigen Jahren werden in fast jeder der halbjährig wechselnden EU-Ratspräsidentschaftsperioden derartige Operationen in die Wege geleitet. In Deutschland lag der Schwerpunkt jeweils auf Kontrollen an Autobahnen und grenzüberschreitenden Bahnverbindungen. In einem Artikel auf Heise Online [2] wird davon gesprochen, dass möglicherweise im Vorfeld Anwendungen der "Open Source Intelligence" zum Tragen kommen, d.h. dass offene Informationen im Internet ausgespäht und mithilfe von Data-Mining-Verfahren strukturiert und mit bereits in Polizeidatenbanken vorhandenen Informationen abgeglichen werden. Frühere Operationen dauerten meist um die fünf Tage, die aktuelle ist für volle zwei Wochen angesetzt. Die EU-Grenzagentur FRONTEX war auch bisher an den "Gemeinsamen Polizeioperationen" beteiligt, allerdings nur am Rande - ist sie doch eigentlich für die Sicherung von EU-Außengrenzen zuständig. Dieses Mal ist FRONTEX vollwertiger Partner, wie aus dem durch die NGO Statewatch veröffentlichten offiziellen Schreiben der italienischen EU-Ratspräsidentschaft zu MOS MAIORUM an die Mitgliedstaaten ersichtlich wird [1]. Weiterhin werden die Polizist*innen im Einsatz aufgefordert, möglichst kleinteilige Informationen festzuhalten: Transportmittel, Zielorte, bisherige Routen, Vorhandensein gefälschter Reisedokumente, gezahlter Preis, involvierte Personen... Eine Auswertung der Daten soll bis Dezember vorliegen.
Zahlreiche Journalist*innen und Blogger*innen äußern sich kritisch über die Maßnahme und rufen gleichzeitig zur Verbreitung der Informationen auf, um Menschen, welche ohne gültige Papiere unterwegs sind zu warnen. Es stellt sich natürlich die Frage, inwiefern die Betreffenden durch die genutzten Medien erreicht werden können. Ein mehrsprachiger Flyer mit einer kurzen Warnung findet sich beispielsweise unter [8].


Kritik an derartigen Operationen wurde vielfach geäußert. Nicht nur werden so sukzessive die Errungenschaften des Schengener Grenzkodex unterlaufen [3], auch kommt fast ausschließlich racial profiling zur Anwendung, womit es sich um u.a. durch Art. 14 der europäischen Menschenrechtskonvention verbotene rassistische Diskriminierung handelt. Weiterhin herrscht schon in offiziellen Dokumenten ein tendenziöser kriminalisierender Sprachgebrauch vor. Weitere Diskussion der fragwürdigen Maßnahme als solcher ist mittlerweile im www zugänglich. Ich möchte an dieser Stelle einen anderen, nur scheinbar marginalen, Aspekt fokussieren:
Wie einige der bisherigen Operationen (MITRAS, HERMES) weist auch die aktuelle einen Namen mit offensichtlichem Bezug auf die klassische Antike auf: MOS MAIORUM. Für die Namensgebung ist die Ratsarbeitsgruppe "Strafverfolgung", welche auch die Vorbereitung der Operation innehat, zuständig. Ein lateinischer Begriff, welcher in einigen Artikeln zur Polizeiaktion mit "Sitten der Vorfahren" übersetzt wird. Tiefer schürft allerdings kaum eine Autor*in hinsichtlich der Namensgebung. Warum aber immer diese Rückgriffe auf die klassische Antike und warum dieser im speziellen?


Die klassische Antike ist präsent als Referenzmoment der europäischen Kultur: im Alltag, in der Wissenschaft, in der Sprache. Von jeglichen Überresten anderer Epochen bereinigte Monumente wie die Akropolis in Athen sind touristische Anziehungspunkte, in politischen Streitfragen wie der Mazedonienfrage wird mit aus der Antike abgeleiteten Autoritäten argumentiert und nicht zuletzt hinsichtlich eines momentan gefragten gesamteuropäischen Zusammengehörigkeitsgefühls, das nach außen klar begrenzt ist, wird die klassische (griechische und römische) Antike konsultiert.
So stellte eine Publikation von 2011 [4] unter Beweis, dass in deutschen Schulbüchern für den Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I Klischees über die griechische Antike als Bezugspunkt "westlicher Kultur" reproduziert werden, die in der Wissenschaft nicht mehr haltbar sind, wohingegen Informationen zur Wirkungsgeschichte meist ausgeblendet werden.
In diesen Kontext ist wohl auch die Namenswahl für die gemeinsamen Polizeiaktionen einzuordnen. Mit MOS MAIORUM kann der italienische Ratsvorsitz gleich noch seinen exklusiveren Bezug zum alten Rom betonen, der jedoch gerne mit anderen Partizipierenden geteilt wird.
Was MOS MAIORUM im alten Rom wirklich bedeutete, legt eine Dissertation von 2012 [5] dar: "Ein" Mos Maiorum ist eine beliebige Sitte der Vorfahren, beispielsweise das von Cato überlieferte Besingen großer Männer, während "der" Mos Maiorum ein vergleichender Maßstab ist, welcher auf eine beliebige Handlung einer Zeit angewendet werden konnte. D.h. die aktuelle Handlung wurde mit einer der Vorfahren verglichen; entsprach sie derselben, war sie somit quasi gerechtfertigt. Die Mores Maiorum sind zwar in ihrer Anwendung- wie vielleicht jegliche Bezüge auf die Vergangenheit - flexibel, in sich jedoch starr, weil der Vergangenheit angehörend. "Sie sind nicht, sie waren."


Ist es auch müßig, immer wieder Inkoherenzen in aktuellen Rückgriffen auf antike Motive nachzuspüren, möchte ich doch auf die Bedenklichkeit des Namens hinweisen, nimmt man eine durchdachte Wahl dessen an und denkt bis zum Ende. Soll es etwa durch die Autorität der Vorfahren gerechtfertigt werden, Menschen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung auf möglicherweise ungültige oder nicht vorhandene Papiere zu kontrollieren? Eine Sitte der Alten, an den Grenzen innerhalb des Schengenraums Identitäten zu überprüfen? Könnte fast als implizite Polemik gegen die momentane Gesetzeslage gedeutet werden. Dem Namen wohnt die Idealisierung eines vergangenen Zustands inne, was genauso wie der Bezug auf bisherige Sitten im vorliegenden Kontext als äußerst problematisch angesehen werden kann, erfordert eine sich stetig ändernde Welt, deren Komplexität zu mindern so gut wie unmöglich ist, doch vielmehr einen wachen flexiblen Geist als eine alte Sitte. Allein das Alter sowie die Autorität der Alten können eben gerade kein Grund für politische Handlungen im aktuellen Europa sein. Der eindringliche moralische Appell mit resigniertem Unterton passt zu konservativen Politiker*innen, die sich vor dem eigentlichen Europa verschließen.


Es ist schwer zu sagen, wie bewusst solche Namen tatsächlich ausgewählt werden. So rief beispielsweise die griechische Regierung 2012 ein Programm namens ZEUS XENIOS ins Leben. Xenios ist der Beiname des griechischen Göttervaters Zeus, welcher ihn als den Gastfreundlichen charakterisiert. Als Ziel der Operation war die Vorbeugung von Kriminalität in Großstädten formuliert, letztlich fand eine auf racial profiling basierende Suche nach Menschen ohne gültige Papiere statt. Der Archäologe Yannis Hamilakis hat hierzu einen lesenswerten Blogeintrag verfasst [6]. Die Paradoxie die dem Namen in diesem Kontext innewohnt, ist offensichtlich. Lediglich stellt sich die Frage ob Selbstironie, euphemistische Bestrebungen oder gar Dummheit zur Auswahl bewogen. Auch der Name MARE NOSTRUM für die Operation der italienischen Küstenwache und Marine zur Rettung von Flüchtlingen (und Aufgriff von "Schleppern") ist fragwürdig, bedenkt man, dass ihm klar der vormalige römischen Herrschaftsanspruch über "unser Meer", das Mittelmeer, innewohnt.
Der Aufruf der Philologin Page Du Bois: Save the classics from conservatives! [7] gewinnt hier an Tatsächlichkeit. Jegliche Inanspruchnahme von Vergangenheit ist von Selektivität geprägt, jede*r kann sich aus dem Fundus extrahieren, was immer die aktuelle Situation nötig macht. Klar ist hierbei jedoch auch, dass selbst eine scheinbar willkürliche Herauslösung eines kontextlosen Stückes Vergangenheit präzisen Kriterien gehorcht und sich nur unter bestimmten Umständen nahtlos in ein Konstrukt einfügen kann.
Im konkreten Beispiel bedeutet das, dass an das Wort MOS MAIORUM verwendet im hiesigen Kontext Konnotationen gekoppelt sind, die sich durch die Rezipierenden vage in den Bereich Moralischer Verfall und Europa einordnen lassen. Europäischen Urahnen wird eine Autorität zugestanden. Der Begriff selbst ist hierbei zu fremd um ihn wirklich zu hinterfragen - wie die Erklärungsversuche in der Presse und auch der Wikipedia-Artikel zeigen - jedoch auch irgendwie vertraut genug um als passend empfunden zu werden. Die Namensgeber inszenieren sich gewissermaßen als Herrscher*innen "unserer" Symbole, was nicht einfach so hingenommen werden sollte.


[1] http://www.statewatch.org/news/2014/sep/eu-council-2014-07-10-11671-mos-maioum-jpo.pdf
[2] http://www.heise.de/tp/artikel/42/42375/1.html
[3] http://www.heise.de/tp/artikel/35/35315/1.html
[4] Gorbahn, Katja. Die Geschichte des antiken Griechenland als Identifikationsangebot: Untersuchungen zur Konstruktion sozialer Identität in neueren Schulgeschichtsbüchern. Vol. 3. Vandenhoeck & Ruprecht, 2011.
[5] Kuhnert, Anne. Der römische Senat im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr: Entscheidung, Konflikt und Konsens; zum Verhältnis von Senat und Senator. Leander Wissenschaft, Fachbuch-und Wiss.-Verlag, 2013.
[6] http://www.lrb.co.uk/blog/2012/08/08/yannis-hamilakis/hospitable-zeus/
[7] DuBois, Page. Trojan horses: saving the classics from conservatives. NYU Press, 2001.

[8] http://fluechtlingsrat-bw.de/files/Dateien/Dokumente/INFOS%20-%20EU-Fluechtlingspolitik/Vorischt%20Kontrolle%20Flyer%20mehrsprachig.pdf .

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lila Wendel

denkt wie ein ganz normaler weißer mitteleuropäischer typ

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden