Da hilft auch nach 30 Jahren immer noch ein Blick in die Titanic.Sie begrüsst uns diesen Monat mit einem Bin Laden-Scherz.Der hatte sich ja gerade erst zum versuchten Terroranschlag des nigerianischen Unterhosenbombers an Weihnachten bekannt, was Jon Stewart dazu veranlasste zu fragen, ob Bin Laden an Prokrastination leide.Die neuen Fahndungsfotos des FBI jedenfalls zeigen das Racial Profiling in seiner ganzen Pracht.Von Sesamstrassen-Bert bis Lindenstrassen-Harry.Ein schöner Nonsensetitel,dem einige Textbeiträge zur Terrorproblematik folgen.Ein Pro und Contra zum bevorstehenden Verbot von Unterwäsche, eine Seite über die neue Gefahr der "Terrorneger" und das Foto des Tages,welches die Zukunft des Nacktscanners beschreibt.Den Beiträgen ist gemein, dass sie die Thematik des Titelbildes etwas überstrapazieren. Zumindest bei mir ist das komische Potenzial des Kampfes gegen den Terror schon vor einigen Jahren erschöpft worden.Aber gut, die Nachrichtenlage legte es nahe.
Auch naheliegend war der Startcartoon über Haiti.Einen Vertreter für Wackeldackel als Erdbebenfrühwarnsystem, das ist allerdings überraschend und amüsiert, auch weil die Realität zwischen Medienzentrum mit eisgekühlter Cola und verwesenden Leichen auf der Strasse schwerlich in ihrer ganzen Absurdität eingefangen werden kann. Für Dirk Niebel waren die Bilder ein ziemlicher Downer am Frühstückstisch, verrät uns eine Kampagnenanzeige seines Ministeriums.Damit ist man auch schon im Herzen der satirischen Finsternis angelangt: dem Personal der neuen Bundesregierung.Der Fotoroman diesen Monat versucht den Aberwitz, den uns diese Belegschaft Woche für Woche liefert, anhand eines nicht minder idiotischen Plots näherzubringen:James Camerons Avatar.Das ist einigermassen verwirrend und hat seine humoristischen Höhepunkte in einigen Namen, wie dem Colonel Gurkenberg oder der verrückten Wissenschaftlerin Merkelstine.Höchstens Ministerin Köhler, die Erdbeeren extremst lecker findet, weiss noch zu gefallen.
Schon auf ganz anderem Niveau ist da die Walserpersiflage "Im Schatten junger Besenblüte" über die unverwüstliche Birgit Homburger. Ein ziemliches Juwel ist da Stefan Gärtner gelungen, der in einer Huldigung an den Durchschnitt, die Liebe zu Birgit besingt.Ohne denunziatorisch oder herablassend zu werden, zeigt er hier wie man Bräsigkeit und Langeweile als Humorist für statt gegen sich arbeiten lassen kann.Das letzte Mal habe ich derartig Gelungenes bei Ingvar Ambjörnsen in der Figur des Elling und seiner Schwärmerei für die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland gelesen.
Ein weiteres Highlight der Ausgabe ist Gerhard Henschels kongeniale Reaktion auf die Resozialisierung von Helmut Kohl durch einige Medien im Zuge der Wiedervereinigungsfeierlichkeiten.Er berichtet von der Entdeckung der Grabkammer des Altkanzlers und den beschwerlichen Grabungsarbeiten durch Berge von Lebensmitteln.Als man endlich die versiegelte Feuerschutztür aufwuchtet, erblickt man das Inventar der geistig moralischen Wende.Die ewig andauernde Aufzählung von Markenartikeln wird nur unterbrochen durch die Spuren von Leben, die den schrecklichen Verdacht nähren, der Kanzler der Einheit könne als Untoter noch einmal auf den Thron zurückkehren.Das erinnert an den schönen Schmidteinander-Gag von der Beisetzung des Onkel Ludwig bei Diese Drombuschs, wo die Trauergemeinde statt Erde Sahnetorten ins Grab schaufelt.In jedem Fall ein gelungenes Stück wider die Verklärung.Desweitern erwarten den Leser diesen Monat unter anderem ein Malwettbewerb für Kinder über die Finanzkrise, neueste Erkenntnisse über das vielfältige Einsatzgebiet von Neuroenhancern und ein schöner Fragebogen über den Einsatz in Afghanistan.
Also, was kann, was soll man erwarten von Satire im Februar 2010?Dasselbe was man immer erwartet hat: einmal feucht durchzuwischen und auch in den übelriechenden Ecken noch die Reste wegzukratzen.Dabei benutzt man auch weiterhin alle Gerätschaften.Sicherlich entspricht es einer Zeitmarotte sich oft eher auf die Art der Berichterstattung als auf die tatsächliche Beschaffenheit der Dinge selbst zu fokussieren.Eine Problematik, die der Fussballreporter Günther Koch einmal mit dem Erwerb der Rechte an den Interviews nach Spielende erklärt hat.Das führe zwangsläufig zur Akzenzverschiebung weg vom Spiel, hin zum Gerede über das Spiel.Jetzt bleibt es auch bei der Satire immer noch die Aufgabe das Spiel weiterhin sichtbar werden zu lassen.
Kommentare 10
Danke für den Beitrag.
Für den Einkaufszettel:
Absätze sind aus.
Liebe Lydia Esche,
Ich habe mir die neue Titanic heute früh gekauft und möchte folgendes Zwischenresultat vermelden. Die Seite "Vorsicht, Terror-Neger" fand ich schon wieder so kindisch, dass ich das Ding weglegen wollte. Man soll es mit der infantilen, pseudo politisch-unkorrekten Bezeichnung "Neger" doch einfach sein lassen.
Gerettet hat mich Stefan Gärtners Beitrag "Im Schatten junger Besenblüte". Danke für den Hinweis. Sie haben völlig Recht: Ein Juwel. Wer Sätze schreibt wie "wo das Rosarot des Traums für den Trick einer Hure gilt, mit der sie das verlebte Grau ihres Teints zu verdecken trachtet, obwohl sie ahnt, daß sie die Blicke damit erst recht auf ihren Verfall lenkt", hat nicht nur Proust vollkommen verstanden, sondern überhaupt viel vom Leben mitbekommen.
Jetzt wo er nicht mehr Redakteur bei der Titanic ist (siehe dazu auch die Klage von Erdl in seinem Artikel www.freitag.de/kultur/1003-satire-titanic-robert-enke-gernhardt) sollten wir diesen Mann unbedingt für den Freitag gewinnen. Falls er hier mitliest: bitte melden!
Lieber Michael Angele,
es fällt mir ein bisschen schwer einem Satiriker Worte vorzuenthalten, aber gelacht habe ich auch nicht wirklich über diese Seite.Wenn jemand unbedingt ein solches Wort benutzen muss, dann gibt es denke ich schon die Pflicht zur Verhältnismässigkeit.Schreit einen eine solche Überschrift an und dann folgen so leidig lustige Pointen wie, dass man nach Einschätzung des BND Roberto Blanco sofort das Maul stopfen soll.Ja, dann wirds schwierig mit der Rechtfertigung, weils unausgewogen wird.Aber ein schlechter und ein guter Witz entstammen demselben Ort wie man sagt und so wünsche ich mir halt für den Humoristen, dass er weiter die Möglichkeit hat alles auszuprobieren.
vorzuenthalten oder vorzuhalten? ;-)
@ Axel Henrici
Ja, der Versuch es möglichst unverfänglich auszudrücken treibt dann solche Sprachblüten.:-)
Der Satire Worte vorzuhalten ist sicherlich auch legitim.Nur die Argumentation verändert sich halt bei einem satirischen Text.
Schon gleich vorneweg Worte vorzuenthalten, also den Gebrauch eigentlich zu untersagen, da kommen wir allerdings gleich in schwierige Gefilde...
liebe lydia esche,
ich verstehe ehrlich gesagt diesen respekt vor den satirikern nicht. natürlich dürfen sie mit allem spielen, auch mit gefährlichen worten, aber damit sollte sich eben witz verbinden, kritik, erkenntnisgewinn. das alles fehlt auf der besagten seite, weshalb man das gefühl haben kann, der so genannte witz sei hier nur ein vorwand, sich mal schön rassistisch auszukotzen. und das kann man dem "satiriker" auch ins gesicht sagen.
Lieber Matthias Dell,
es geht mir nicht so sehr um den Respekt vor Satirikern.Aber man kann doch einen satirischen Beitrag nicht beurteilen wie ein ideologisches Flugblatt.Es muss doch davon ausgegangen werden, dass jemand einen Witz machen wollte.Dieser Witz hat nicht funktioniert und deshalb wirkt er rassistisch.
Jetzt die Sache umzudrehen und zu sagen, dass es sich um den Witz eines Rassisten handelt finde ich unfair.
liebe lydia esche,
die trennung, die sie vorschlagen, sehe ich nicht: satire ist doch auf eine weise auch ideologisch, auch wenn die ideologie (das klingt immer nur so fett, weil wir damit die "großen" ideologien des 20. jahrhunderts assoziieren, das alles, was nicht nationalsozialismus oder sozialismus ist gleich keine ideologie ist, möchte ich aber bezweifeln) nicht so offen zutage liegt wie auf besagtem flugblatt. und ich habe nicht gesagt, dass die besagte seite im titanic-heft von einem rassisten stammt, sondern dass das, was da unter satire firmiert, im grunde rassistisch ist.
dass alles.
Lieber Matthias Dell,
die Trennung existiert natürlich in der Art wie Satire gemacht wird.Schon in Erdls Artikel und der darauffolgenden Diskussion war nach einer Weile immer wieder die eigentümliche Denkfigur zu erkennen,dass man doch aufhören sollte mit all dem Lauten, die Welt sei doch so schön ruhig.Die ganze Argumentation über die angebliche Tabulosigkeit unserer Zeit wird dem Charakter von Satire nicht gerecht.Ausserdem, wenn wir schon über Ideologie reden wollen, ist das die klassische Denkfigur der Restauration.
Es wird immer Machtstrukturen geben und vorherrschende Denkweisen und gute Satire wird sich damit befassen müssen.Dabei wird sie immer auch Sachverhalte überbelichten müssen.All das, was wir jetzt gemeinsam bemängeln bei der infrage stehenden Seite, kann bei einer gelungenen Satire gerade ihre Durchschlagskraft ausmachen.
Ich will ja nicht vielmehr als dass wir das Kind nicht mit dem Badewasser ausschütten.