Was bringt Frauen dazu, sich den Gesetzen des Islam zu unterwerfen und darin eine Befreiung zu sehen? Kann der Koran von Feministinnen neu interpretiert werden? Sind es vor allem Duldsamkeit und Leidensdruck, die den Alltag der Frauen im Islam prägen oder stärkt nicht die Religion auch ihre Intellektualität und ihren Kampfgeist?
Eröffnet wird der Themenabend mit einem Beitrag der in Deutschland lebenden türkischen Filmemacherin Hatice Ayten, Mahrem - öffne dich. Der Mahrem ist in der traditionellen islamischen Kultur der private, vor der Öffentlichkeit verschlossene Ort, der Ort der Frau. Hatice Aytens These ist, dass die moderne islamische Frau den Mahrem verlassen hat. Die Regisseurin fragt sich nun, was die islamische Frauenbewegung den Frauen bringt un
Frauen bringt und begibt sich in Deutschland und in der Türkei auf die Suche.Dort wird sie zum Beispiel bei der AKP fündig, der türkischen "Gerechtigkeits- und Erneuerungspartei", die sich zwar ausdrücklich an die jungen kopftuchtragenden Frauen wendet, in ihren Führungspositionen aber keine Frau vorweisen kann. Er wolle "unser Land zum zivilisiertesten und ehrbarsten Land dieser Erde machen", verheißt die schüttere Stimme des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk. 1923 wurden Kalifat, Sultanat, Scharia und Polygamie abgeschafft und statt dessen der abendländische Kalender, das Alphabet und die Entschleierung der Frauen in Kraft gesetzt. An der Grenzlinie zwischen Orient und Okzident gab sich die Türkei eine Verfassung, die die Trennnung von Staat und Religion festschreibt. 1934 bekamen die Frauen das Wahlrecht. Es ist in der Türkei verboten, an öffentlichen Orten wie städtischen Einrichtungen, Universität und Parlament das Kopftuch zu tragen. Die Anwältin Hülya Gülbahar beschreibt, dass aber zum Beispiel die Frage von Gewalt in der Familie von jeher ausgeklammert wird. Erst seit 2002 gibt es ein Familienschutzgesetz, angewendet wird es allerdings sehr selten. "Man kommt nicht durch ein Stück Stoff ins Paradies," sagt die kopftuchtragende Mutter der Filmemacherin.Im Beitrag der Iranerin Rakshan Bani-Etemad Arezoo - Die Wunschkandidatin geht es um eine jener 48 Frauen, die 2001 mit ihren Kandidaturen zu den Präsidentschaftswahlen im Iran Aufsehen erregten und vom islamischen Wächterrat abgelehnt wurden. Die 25-jährige Arezoo lebt mit ihrer Tochter und ihrer blinden Mutter zusammen, rast zwischen zwei Arbeitsstellen hin und her, sucht verzweifelt nach einer bezahlbaren Wohnung, die ihr als geschiedener Frau mit den verschiedensten Begründungen immer wieder verweigert wird. Ein Darlehen des Filmteams trägt dazu bei, ein kleines Haus zu mieten, aber ihr unterbezahlter Job in einer Versicherungsagentur wird ihr gekündigt. Mit versteinertem Gesicht sieht man Arezoo am Ende des Films zufällig genau vor dem Bild der Kaaba in Mekka stehen.Zu Beginn des dritten Beitrags Ein Stück des Himmels sitzen vier Frauen auf einer Terrasse im Wind und diskutieren. Es geht um die rasante Islamisierung Pakistans, einem Staat, der einst im Zeichen der Trennung von Staat und Religion seine Unabhängigkeit erlangte. Jede der Frauen ist gesellschaftlich engagiert und setzt sich aktiv gegen die schleichende Entrechtung von Frauen ein. Eine von ihnen ist die Autorin des Films, Sabiha Sumar, die sich bereits mehrfach mit den Umständen des Umsturzjahres 1979 beschäftigt hat (und deren neuester Film Kamosh Pani vergangene Woche in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde). In Ein Stück des Himmels trifft sie frühere Freundinnen, wie jene junge Frau, die inzwischen tief verschleiert die vergossenen Blutstropfen ihres Djihad-Märtyrersohnes auf dem Weg ins Paradies beschreibt und einem verspielten fünfjährigen Kind in Babysprache die hübschen Dinge verspricht, die Allah den Märtyrern verheißt. Sumar spricht mit einem hohen islamischen Geistlichen, für den islamische Revolution und parlamentarische Demokratie im Widerspruch zueinander stehen. Sie besucht eine Islam-Lecture für Frauen der Oberschicht in einem Fünf-Sterne-Hotel, bei der lodernde Höllenflammen auf großer Videoleinwand die Anschaulichkeit für die religiöse Botschaft liefern, und spricht mit einer Hausangestellten, die nie die Zeit hätte, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, da sie einen Mann und einen Sohn zu versorgen hat, die beide immer schon nach einigen wenigen Arbeitstagen von ominösen Krankheiten befallen werden.Die komplizierte und doch auch wieder ganz einfache Frage des Themenabends lautet: Gestattet der Koran eine egalitäre Gesellschaft ohne Hierarchie zwischen Männern und Frauen? Sind die Debatten um Kleidungsvorschriften, Schleier und Kopftuch tatsächlich als Zeichen eines Widerstandes gegen westlichen Universalismus und Konsumismus zu lesen? Wird der Westen davon nicht fast zwangsläufig provoziert, denn nirgends sonst macht sich die Zurückweisung des Blickes von außen so deutlich wie an dieser Verhüllung, die eine strenge Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatheit demonstriert? Doch wer profitiert letzten Endes davon? Die Soziologin interpretiert die gegenwärtig vermehrt sichtbare Situation folgendermaßen: Das extremste Stadium der Kolonialisierung sei eingetreten, wenn das Subjekt sich selbst kolonisiert und dann noch sagt, es gehe ihm gut.Alle drei Beiträge des Themenabends verhandeln aus der Innenperspektive kenntnisreich, was es mit dem Versprechen des politischen Islam auf sich hat, den Frauen einen eigenen Raum zu geben. Laut einer in Großbritannien lehrenden Wissenschaftlerin soll es überhaupt nur sechs Verse in dem aus über 6660 Versen bestehenden Koran geben, die eine Hierarchie der Geschlechter proklamieren. Der Koran scheint Frauen anzusprechen. Weil er ihnen in einer extrem eingezwängten Situation verspricht, es gäbe eine Freiheit anderswo, in einem Paradies, für das der Tod erst eingetreten sein muss? Die vier Frauen aus Sabiha Sumars Beitrag sehen sich mit ihrer Position, dass Religion Privatsache sei, in der Minderheit.Töchter des Propheten - Islam aus Frauensicht. Themenabend auf Arte am 26. August.